Tagebuch von Matthias Huth 2012
Tagebuch von Matthias Huth 2012
26. Oktober 2012
Zu gut für diese Welt
Der vor zwei Jahren gegründete Thüringer Theaterverband hat ein neues Festival geboren, welches unter dem Titel „Avant Art“ am Donnerstag eröffnet wurde. Als Wanderfestival geplant, versteht es sich vor allem als Leistungsschau der 23 angeschlossenen freien Profi- und Amateurtheater des Landes.
Aus zwanzig Einsendungen wurden sechs Stücke von einer Fachjury nominiert, und kommen, bis auf eine Ausnahme, in den nächsten Tagen in Weimar zur Aufführung. Ein Fach- und zwei Publikumspreise sind ausgelobt, ersterer geht an „Fall Out Girl“, eine Produktion der Theaterscheune Teutleben. Das Stück, welches den Bühnenreigen vor ausverkauftem Saal im „mon ami“ begann, ist in vieler Hinsicht überwältigend, und darin liegt auch sein Problem.
Antonia Labs und Johannes Geißler, zwei Theaterprofis, spielen diese rasante und comic-hafte Collage zur Atommüllproblematik so intensiv und atemberaubend gut, dass hier jede „normale“ Liga nur mutlos werden kann. Es hieße, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, wenn man hier Laienmaßstäbe ansetzen würde, denn sowohl das Bühnenbild, das instrumentale und mimische Können der Darsteller, die Größe der Produktion und letztlich die eigenverfasste, sehr dichte Vorlage sind im Amateurstatus nicht zu leisten. Und es wäre bei dieser Nominierung zu fragen, ob diese Form, die mit ständigen Brüchen und viel Insiderwissen aus amerikanischer Pop- und Comicwelt spielt, nicht formal den Inhalt erschlägt. Trotzdem war der starke Applaus für das Stück hochverdient.
Am Samstag wird im „stellwerk“ das Kinderstück „Ente, Tod und Tulpe“ der „stadt im art“ aus Gotha vorgestellt, gefolgt von „Wenn Du mich rettest“ der „Dramazone“ aus Bad Frankenhausen. Zum Finale werden abends die beiden Publikumspreise vergeben.
21. Oktober 2012
Historische Delikatessen
Zwei Flaschen Champagner hätte der Silbertaler von 1763 in seinem Prägungsjahr erbracht. Der 80. Geburtstag des streitbaren Publizisten Prof. Trilse-Finkelstein gab Anlass, ihm diese Ehrengabe des Anna-Amalia-Freundeskreises zu überreichen und damit auch die Herbsttagung der Gesellschaft im Weimarer „Russischen Hof“ würdig zu eröffnen. Gastgeber Ettore Ghibellino besitzt bei seinen Einladungen ein exzellentes Gespür für Wissenschaftler, welche engagiert geschichtliche Überlieferungen hinterfragen, und mit ihrer Forschung überraschende Erkenntnisse zutage fördern.
So verblüffte Dr. Gabriele von Trauchburg mit der historischen Delikatesse, dass Bayern 1778 von Preußen vor österreichischer Invasion gerettet werden konnte. In Reportageform schilderte die Forscherin die geheimdiplomatischen Bemühungen des Weimarer Graf von Görtz, die letztendlich kriegerische Auseinandersetzungen vereitelten.
Für eine kleine Sensation sorgte Jan Ballweg mit einer gerade erschienenen ersten Biografie über Josias von Stein. Ballweg bewies mit trockenem Humor, dass der Stallmeister Anna Amalias entgegen dem Goetheschen Diktum ein erfolgreicher Manager und intelligenter Mann war.
Und bei seiner Erforschung des Eheverhältnisses der Steins, kann nun im Ausschlussverfahren bestätigt werden, dass Charlotte keinesfalls die Geliebte des Dichterfürsten war, sondern höchstens eine platonische Beziehung pflegte, welche der Ehemann pragmatisch duldete. Ballwegs unterhaltsames und akribisch recherchiertes Buch wird sicherlich noch für Aufregung in den Schreibstuben der Goetheforscher sorgen.
Jan Ballweg: „Josias von Stein – Ein vergessener Aspekt der Weimarer Klassik“, 250 Seiten, 24,90 € , ISBN 978-3-932313-51-6
Göttertreffen
Schon als Gastgeber Thomas Fellow mit seiner Interpretation des „Earth Wind & Fire“-Klassikers „September“ die dritte „Guitarmania“-Ausgabe eröffnete, waren die Maßstäbe hoch gesetzt. Vor fast ausverkauftem Saal im Weimarer „mon ami“ zelebrierte er am Freitagabend mit seinen Gästen ein gitarristisches Gipfeltreffen der Sonderklasse. Fellows Art Eigenkompositionen zu spielen und zu covern bietet ein virtuoses instrumentales Feuerwerk, welches Basslinien, akkordischen Einfallsreichtum und rasante Melodieführung zeitgleich verbindet.
Zu toppen war das nur von seinem Gast Jon Gomm aus Blackpool. Wie dieser Shooting-Star seine Konzertgitarre behandelt, kann man nur als sensationell bezeichnen, da er klassische Spielweisen außer Kraft setzt. Gomm gleitet mit beiden Händen über die Saiten, stimmt während des Spiels die Wirbel tonal weiter, schlägt auf dem Korpus den Rhythmus und singt auch noch dazu. So etwas hatte das Publikum noch nicht erlebt, und Thomas Fellow kommentierte humorvoll von der Bühne, dass diese Art von Gitarrenspiel wohl erst in zweihundert Jahren Standard wäre.
Dritter im Saitenbund war die Steelstring-Institution Peter Finger, ein versierter Tausendsassa, der seit Jahren die bundesdeutsche Gitarrenszene prägt. Der ehemalige Weimarer Finger setzt auf Melodie und impressionistische Spannung, die er beispielsweise mit „Onkel Frederic“, einer Hommage an Chopin zu Gehör brachte. Das abschließende Zusammenspiel der drei Virtuosen mit Zawinuls „Mercy“ und einem Radiohead-Cover erntete denn auch ekstatischen Beifall und erinnerte ein bisschen an die legendäre „Friday Night in San Francisco“. Ein Konzertereignis, welches schwer zu steigern ist.
23. August 2012
Einzelsieger
Wenige Künstler weltweit verdienen wirklich das Prädikat „genial“. Bei Jarle Bernhoft scheint dies durchaus angebracht. Der schlaksige Norweger mit Hornbrille und sorgfältiger Punkfrisur saß solistisch auf der Kulturarenabühne in Jena zwischen Konzertgitarren, einem Fender-Piano, einem Synthesizer und zwei Mikrofonen und füllte das gut besuchte Areal am Mittwochabend doch vollständig aus.
Das lag zunächst an seiner Stimme, die sowohl im Falsett, als auch in kraftvoller Tenorlage und im souligen Bariton überzeugte. Dazu kommt die virtuose Multiinstrumentalität. Die Gitarren dienten als Percussion und wurden mit ausgeklügelter Akkordik gespielt. Bernhoft benutzt dabei analoge Sampletechnik. Die beherrscht er so punktgenau und virtuos, dass dies internationale neue Maßstäbe setzt. Bernhoft ist eine Blues-Funk-Soul-One-man Show, die ihresgleichen sucht. Zumal er auch als humorvoller Entertainer glänzt, wie bei der Schilderung einer „nocturalen Handelsfrau“.
Das Konzert stützte sich größtenteils auf sein Erfolgsalbum „Man“, wobei er seine Kompositionen wie „Fly away“ durch noch ausgeklügeltere Satzgesänge verfeinerte. Bernhoft erinnert manchmal an Stevie Wonder, definiert aber durch sein Durchbrechen von tradierten Taktschemen die Genres neu. Und es groovt so herrlich, dass es die 1300 spätestens bei den zwei Zugaben von den Sitzen riss. Ein Arenahighlight!
1. August 2012
Behäbiger Sommergaudi
Es liegt ein Fluch auf der Thüringer Bratwurst. Zumindest behauptet das Ronald Mernitz in seinem gleichnamigen Stück, welches im Hof der Erfurter Musikschule am Dienstagabend seine Premiere erlebte. Gedacht ist es wohl als eine Art Sommergaudi und gleichzeitig als historischer Rundumschlag. Barbarossa, dessen Relief den Bühnenhintergrund bestimmt (Bühnenbild: CoCo Ruch), lässt den Knappen (Ronald Mernitz) und die Köchin (Katrin Heinke) achthundert Jahre warten, nachdem er von ihrer Kamelbratwurst entschlummerte und keine „deutsche Herrlichkeit“ herstellt. Der Grillwagen wird Teilbühne verschiedenster Geschichtsstationen. Da wird Luther fingerfertig verführt, der Lauch dient als Sinnbild deutscher Kleinstaaterei, Napoleon streitet sich um ländertypisches Gemüse und auch Hitler und Walter Ulbricht dürfen in diesem Sammelsurium nicht fehlen. Mernitz und Heinke spielen das Ganze sehr beherzt und agieren mit Objekten und wenigen Puppen. Doch irgendwie fehlt es der Geschichte an Schwung und witzigen Ideen. Die Lutherepisode gerät sehr langwierig, das Tempo ist eher behäbig und der Wortwitz selten, was einige Zuschauer bewog, schon in der Pause die lauschige Spielstätte zu verlassen. Anerkennenswert ist das Bemühen, Gegenwart kritisch zu spiegeln. Als letztendlich der Kyffhäuser zum Eventpark verkommt, sprengt es Barbarossa vom Stuhl und es folgt herzlicher Applaus. Insgesamt ein langwieriger Abend mit engagierten Spielern, dem die Regiearbeit von Volker Wachholtz nicht anzumerken ist.
nächste Aufführungen von heute bis 4. August sowie 7.-11. August im Hof der Erfurter Musikschule, Turniergasse 18