Tagebuch von Matthias Huth 2007

 

Lieber Leser, nachfolgend in chronologischer Folge meine Zeitungs- und Radioartikel und kleine Zusatzkommentare. Die Artikel waren meist vollständig im Feuilleton der "Thüringer Allgemeine" abgedruckt, Beiträge bis November 2007 erschienen u. a. bei weimareins.de.

Viel Spaß beim Schmökern...



26. November 2007


Viel Akkuratesse, wenig Leidenschaft


Der Anlass war ernst, das Angebot klassisch. Die Thüringer Gleichstellungsbeauftragte Johanna Arenhövel hatte anlässlich des Tages  „Nein zu Gewalt gegen Frauen“ zusammen mit der Weimarer Gleichstellungsbeauftragten Andrea Wagner sowie dem Frauenzentrum und Frauenhaus Weimar engagiert zu einem Liederabend eingeladen. Das kulturübersättigte Weimarer Publikum füllte zwar nicht den stimmungsvollen Coudray-Saal der Musikschule, aber für den nasskalten Totensonntagsabend war die Veranstaltung vertretbar gut besucht.


Ein wenig mehr Interesse hätte man dem Konzert allerdings schon gewünscht, denn die erschütternden Fakten sprechen für sich: Jeden Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners, und die Polizei rückt in Thüringen fünf mal am Tag wegen häuslicher Gewaltdelikte aus. Das sind alarmierende Zahlen, denen man mehr Thematisierung in lokalen Medien wünschte, damit die leidvoll Betroffenen eine öffentliche Stimme bekommen.


Das Konzert war trotzdem ein achtbarer Schritt ins Rampenlicht. Die Mezzosopranistin Eva Wenniges, welche seit diesem Jahr zu den Erfurter Neubewohnern zählt, und die japanische Pianistin Izumi Kawakatsu mit akademischem Arbeitssitz in Karlsruhe hatten den Liederabend der deutschen Romantik verschrieben. Nach beeindruckendem Einstand mit dem „Mignon-Zyklus“ von Robert Schumann folgten populäre Schubert-Kompositionen wie „Das Heidenröslein“, „Die Forelle“ und das „Ave Maria“. Letzterem fehlte dann etwas Innigkeit, und auch die „Junge Nonne“ hätte bei der dynamischen Gestaltung etwas mehr Mut vertragen können. Bei Dvoraks Zigeunerliedern war da schon mehr Feuer zu spüren. Hugo Wolf geriet dagegen etwas akademisch, was dem hochromantischen Duktus entgegenlief.


Doch unter dem Gesichtspunkt musikalischer Perfektion war der Konzertabend durchaus gelungen. Eva Wenniges sang intonationsrein, textverständlich und mit warmem Timbre. Izumi Kawakatsu begleitete gestalterisch und rhythmisch genau und beherrschte ihr Instrument ebenso souverän wie die Sängerin.


Was dem Abend fehlte, war Leidenschaft. Es muss ja nicht das Netrebko-Temperament sein, aber ein wenig unkonventionellere Bewegung hätte dem Liederreigen sicher gut getan. Doch letztendlich gab es für die musikalisch akkurate Leistung verdienten Applaus und ein paar Spenden für das engagierte Weiterwirken des Frauenzentrums. Insofern hat sich das Engagement von Künstlern und Veranstaltern auf jeden Fall gelohnt.




19. November 2007


Meister ihres Fachs


Zwei künstlerisch hochkarätige Kulturabende im mon ami


Was für ein Wochenende! Während am Samstagabend ein exzellentes Streichquartett die Ohren verwöhnte, gab es einen Tag später kräftige Zwerchfellmassagen...


Das „radio.string.quartet“ ist ein junges innovatives Streichquartett aus Österreich. Seine Berechtigung, im Rahmen der Thüringer Jazzmeile zu spielen, begründete sich im Repertoire des Ensembles. Denn die hochmotivierten Musiker hatten sich die Kompositionen John McLaughlins vorgenommen, speziell die Werke, welche der Supergitarrist für das “Mahavishnu-Orchestra” komponierte.


“Mahavishnu” war gewissermaßen Kult, obwohl dieses Wort ja mittlerweile inflationär verwendet wird. Doch diese Band vereinigte in den frühen Siebzigern erstmals Sinfonik, Jazzrock und indische Folklore und produzierte zwei Vinyle, die fast jede Sammlung der Jazzfreaks schmückten. Selbst im Osten gab es damals eine der begehrten tschechischen Lizenzplatten.


McLaughlin ist nicht nur Perfektionist, sondern auch mit seinen Harmonien und Rhythmen höchst anspruchsvoll. Insofern bestand das “radio.string.quartet” vor ca. 70 Zuhörern schwierige Aufgaben: Die legendären Titel wurden neu interpretiert und hielten dem Vergleich durchaus stand, und die Besetzung erschuf neue Aspekte und Sichtweisen, ohne sich in den fast zwei Stunden in den Stilmitteln zu wiederholen.


Irgendwo zwischen minimal music, Rocksequenzen und freier Improvisation angesiedelt, stifteten die Geiger Bernie Mallinger, Johannes Dickbauer und  Cynthia Liao, sowie Asja Valcic am Cello virtuos eine kammermusikalische Gleichwertigkeit zu den Vorlagen und machten zudem Lust auf die Originale. Besonders eindrucksvoll die Interpretation von “You know, you know” mit ostinatem Cello und dynamischen Violinflächen.


Zwei verdiente Zugaben beendeten die faszinierende Begegnung. Sicherlich kein Konsens für Jeden, aber für Jazz-Feinschmecker ein Highlight.



Er kam wieder und siegte am Sonntagabend vor restlos ausverkauften Haus sofort: Gerhard Polt, das bayerische Urgestein zog sogar Besucher aus Erlangen. Tosender Applaus empfing den intelligenten Kabarettisten, der mit seiner unverwechselbaren Art eine Typensammlung darstellt.


Polt karikiert auf bezwingende Art und mit originellen Ansätzen CSU-Sammler, kriminelle Metzgermeister oder überforderte Sponsoren. Er schwadroniert und lässt sich viel Zeit zur Entwicklung seiner Pointen, die dann um so mehr reinhauen (“Der Auswurf ist die Auster des kleinen Mannes...”). Seine Methode ist ebenso wirksam wie entlarvend: Er rechnet große Themen auf dumpfe Provinzebene. Und er trifft seine Ziele sicher, ob sie nun Hohlmeier, Strauß oder Wiesheu heißen und schaut der Volksseele auf den morastigen Grund.


Polt ist einer der ganz Großen, das muss er nicht mehr beweisen. Wer bei seinem letzten Auftritt im “mon ami” dabei war, erlebte zwar drei seiner kleinen Kammerstückchen noch einmal, aber bei Polt macht eben auch das Wiederhören Freude. Viel Applaus, zwei Zugaben, grandioser Abend!




17. November 2007


Musischer Tiefenbohrer


Robert Schneider stellte in der Herderkirche sein aktuelles Buch "Die Offenbarung" vor


Er bekam leider nicht den Besucherandrang, den er verdient hätte. Die Herderkirche war mit siebzig Zuhörern akzeptabel gefüllt, und die erlebten eine der gehaltvollsten Lesungen in diesem Jahr...


Der Schriftsteller Robert Schneider ist den meisten Lesern durch seinen Bestseller "Schlafes Bruder" bekannt. Das ist fast sträflich, denn sein "Der Papst und das Mädchen" ist ein ebenso genialer Wurf.

Auf Einladung von Stadtkulturdirektion und evangelischer Kirchgemeinde stellte er am Donnerstagabend sein aktuelles Buch „Die Offenbarung“ vor. Pfarrer Frank Hiddemann leitete die Lesung kenntnisreich ein, und erinnerte an den Autographenfund der „Anna-Amalia-Bibliothek“, denn Schneiders Buch dreht sich um eine ähnliche, allerdings fiktive Entdeckung.

Der Naumburger Organist Jakob Kemper findet 1992 im anhaltinischen Naumburg durch Zufall ein großes Oratorium von Johann Sebastian Bach. Kemper, eine gescheiterte und durch mangelnde Anerkennung geschundene Seele, sieht zunächst seine große Chance. Doch er ergründet dabei sein Selbst, und so wird sein Fund zu einer intensiven Ich-Erfahrung.

Schneider ist ein begnadeter Erzähler und akribisch in seiner Recherche. Der österreichische Autor schafft es, sensibel in die DDR-Geschichte und ihre Befindlichkeiten einzudringen, und sie so verblüffend authentisch zu schildern, als sei er selbst Zeitzeuge gewesen. Sein feinsinniger ironischer Ton über die Mühen der Ebene, lässt seine Figur Jakob Kemper ebenso unterhaltsam wie plastisch auferstehen. Schneider denunziert seinen unglücklichen Helden nicht, sondern schafft ein durchdachtes, tiefenpsychologisches Porträt des Scheiterns und thematisiert damit, ähnlich wie in „Schlafes Bruder“ wieder das verkannte Genie in der Provinz.

Neben sparsam dosierten mystischen Elementen fokussiert Schneider auch die selbstreferentiellen Auswüchse einer Musikwissenschaft, welche die Forscherseele verloren hat. Und er tut dies so kenntnisreich, dass man sich immer wieder fragt, woher Schneider dieses fundierte Wissen hat.


Die „Offenbarung“ ist erkenntnisreiches Lesevergnügen. Zudem ist Schneider ein talentierter Vorleser. Wie er sein Buch mit bezwingender Dramaturgie und sparsam gestaltender Raffinesse darstellte und die Zuhörer damit in seinen Bann zog, ist in der deutschen Autorenlandschaft sicherlich beispielhaft. Zudem hatte Schneider sich mit Jürgen Natter eines Musikers  versichert, der auf der Herderorgel dem Buchinhalt kongenial assistierte, Komponisten wie Nikolaus Bruhns der Vergessenheit entriss und sich auch virtuos bei der   Improvisation bewies.

Das Publikum dankte dem eindrucksvollen musikalisch-literarischen Vortrag mit herzlichem Applaus, und Robert Schneider erwies sich mit diesem Auftritt wieder als einer der wichtigsten Autoren deutschsprachiger Szene.


Matthias Huth


Robert Schneider, „Die Offenbarung, Roman, Aufbau-Verlag, 19,95 €





11. November 2007


Der Knef


Ein Komödienabend der besonderen Art im mon ami


Wussten Sie schon, dass die Hildegard Knef eine verkannte Zwillingsschwester hatte? Sie kennen also Irmgard Knef noch nicht? Das wird Irmgard aber gar nicht gefallen...

Kann sein, dass es daran lag, dass Irmgard Knef alias Ulrich Michael Heisig in diesem Jahr schon im Spiegelzelt gastierte, und deshalb der mon-ami-Saal am Freitagabend nur halb gefüllt war. Das tat dem Programm nur unwesentlich Abbruch, abgesehen davon, dass die Atmosphäre trotz guter Lichtregie etwas unterkühlt blieb.

Heisig traut sich als profilierter Star der Kleinkunst-Comedy-Szene, gesellschaftliche Tabus zu thematisieren: Das Alter und das Scheitern eines Lebensentwurfs. Seine Kunstfigur Irmgard hat Grandezza und wirkt verblüffend authentisch. Denn Irmgard Knef erzählt von der Würde und Tragik des Altwerdens, den  Verlust einer UFA-Welt und dem Neid einer Zukurzgekommenen. Die Fiktion macht dies witzig, aber es gibt kaum flache Pointen. Dieses Tragikomische hat eine seltene Qualität in der Comedyszene, denn Ulrich Michael Heisig nimmt seine Figur ernst. Und er scheut sich nicht, Kapitalismuskritik zu üben, wenn auch in lebensweiser Verpackung.

So bleibt das Ganze überwiegend amüsant, wenn er beispielsweise Plattitüden auskostet wie: „Wer damals nicht dabei gewesen war, der hat es nicht erlebt“ oder rhetorische Fragen stellt: „ Wann erwischt die Vogelgrippe die Kastelruther Spatzen?“

Überhaupt ist Irmgard gerne mal bösartig mit ihren Schwesterfreundinnen Frau Rökk und Clara Leander. Sie hat Sehnsüchte nach ihrem Paul von Schell, einem Tankstellenwart, mit dem sie sich das Leben schöntrinkt. Aber Irmgard lässt sich trotz aller Lebensenttäuschungen nicht unterkriegen, und dieser Stolz ist ein Knef-Gen, das man ihr abkauft.

Ein bindender Baustein ihres „bunten Abends“ ist die Musik. Heisig interpretiert Standards in Knefscher Manier, macht „Fever“ zum Rentensong und „Hit the road, Jack“ zu „Schmeiß es weg“.

Irgendwann regnet es in ironischer Brechung die „Roten Rosen“, und das ist so schön fatalistisch, dass man diese Kunstfigur unwillkürlich bewundert, ob der ungeschminkten Weltsicht. Leider hatte der unfähige Tontechniker nicht mal nach Aufforderungen in der Pause vermocht, einen klaren Sprachsound hinzubekommen, sodass die Hälfte der Gags akustisch verschluckt wurde.

Trotzdem zwei verdiente Zugaben.



26. Oktober 2007


Gefälliges Geschwätz


Lars Reichow bescherte seinem Publikum einen überwiegend wohltemperierten Abend


Lars Reichow beherrscht sein Metier: er kann gut Klavierspielen und arrangieren, er versteht zu erzählen und er hat Sinn für die Pausen. Dass sein Auftritt am Donnerstag im Saal am Palais nicht überzeugen konnte, lag an seiner Verbindlichkeit...

Das Programm „Glücklich in Deutschland“ war als Musik-Kabarett angekündigt. Aktuell war es nicht, eher zeitlos, da man es vor längerer Zeit schon in großen Passagen auf dem heimischen Bildschirm verfolgen konnte. Und auch die Genre-Bezeichnung ist problematisch, denn Reichow ist eher im sanften Comedy-Bereich und Chanson zu verorten.

Im quasi akademischen Rahmen der Musikhochschule fühlte er sich sichtlich wohl. Er kennt das Terrain, da er vorher einen Leitungskurs mit den Schulpraktikern absolviert hatte. Der Saal war voll und gewogen, es war also gewissermaßen ein Heimspiel.

Reichows Stärke, für die er schon diverse Kleinkunstpreise einheimste, ist das Entertainment. Er erzählt mit Vorliebe absurde Geschichten aus dem Ehealltag, wenn beispielsweise die Frau an der Deko-Manie erkrankt, und die „Strohstoffnusspuppe“ die Beziehung belastet. Er referiert über die Qual von Reisebildern und karikiert den Deutschen als pedantischen Weltreisenden. Das ist alles sehr lustig, tut keinem weh, und lebt von der Klischeeausbeute. Es gibt ein paar originelle Ausflüge in die Globalisierungswelt, und auch die Bürokraten bekommen ihr Fett. Die Geschichten sind gut aufgebaut, aber es fehlt die kabarettistische Schärfe, welche beispielsweise Andreas Rebers mit ebensolchen Mitteln so grandios macht.

Reichow hat eine tolle Stimme, die stellenweise an Stefan Gwildis erinnert. Auch seine Chansons könnten mit diesen gut gesetzten Halbplaybacks aus dieser schmusigen Ecke kommen, mit der brillanten Ausnahme „Alles über Deutschland“, einem Song, der absurden Wortwitz mit überbordender sprachlicher und instrumentaler Virtuosität verbindet.

Die Zugabe ist ein großes Kabinettstück, in der er die Eitelkeit des Künstlers (die er allerdings auch nicht ganz abgelegt hat) genüsslich persifliert. Als Überraschung präsentiert er am Schluss die Studenten Robin und Andreas mit einer Art Weimarhymne, die aber mit Klavier und Gesang höchstens ein internes Achtungszeichen setzen können.

Insgesamt ein zu gefälliger Donnerstag-Abend, den das universitäre Insiderpublikum zwar begeistert quittiert, der aber den Spiegelzeltvergleichen nur bedingt standhalten könnte. Lars Reichow wird uns als Juror im April 2008 beim 9. Bundeswettbewerb Schulpraktisches Klavierspiel wieder begegnen. Und das, so darf ich versichern, kann er richtig gut.



25. Oktober 2007


Anmutige Kraftkehle


Kristin Asbørnsen gab mit ihrer Band einen überwältigenden Weimareinstand


Natürlich muss man, wenn sie singt, sofort an Janis Joplin denken. Doch die wandlungsfähige Stimme mit dem rauchigen Timbre stammt nicht aus den heißen  Südstaaten, sondern aus dem kühlen Norwegen...

Während sich einige hundert Meter wahrscheinlich einige besoffen feierten, dass sie die Verantwortlichkeit für den Amaliabrand vertuschen konnten, gab es im Weimarer mon ami im Rahmen der Jazzmeile eines der spannendsten Konzerte dieses Jahres. Kristin Asbørnsen ist in hiesigen Breiten nahezu unbekannt, aber das könnte sich nach dieser Konzerttour und ihrer wunderbaren CD „Wayfaring stranger“ schlagartig ändern.

Die Sängerin (Jahrgang 1971) ist ein Bühnenereignis. Völlig unspektakulär kommt sie barfuss auf die Bühne und singt sich mit „Oh Glory“ sofort die Seele aus dem Leib. Mit sparsamen Gesten greift sie ihre Musik mit den Händen und hat dabei eine Energie wie eine Raubkatze vor dem Sprung. Sie interpretiert unbekanntere Gospels und Spirituals so intensiv und minimalistisch, dass man sich diesem Zauber kaum entziehen kann. Mit „Now we take this feeble body” trägt sie eine so berührende Beerdigungshymne vor, dass man fast sterben möchte, um das noch einmal zu erleben.

Aber es gibt neben den leisen und gefühlvollen Balladen natürlich auch viel Kraftvolles, wie beispielsweise den Anfangssong ihrer CD “Trying to get home” oder den zündenden Blues “Ride up in the chariot”. Und spätestens hier sei auch ihre fantastische Band zu loben. Jostein Ansnes zaubert mit Akustik- und E-Gitarre meditative Flächen und leise Impressionen. Olav Torget sorgt mit einer ungewöhnlichen Akustik-Gitarre für die mitreißenden Riffs. Vier Saiten seines Instruments sind die typischen Akustiksaiten, die beiden Anderen stammen vom Bass. Und last but not least: Knut Aalefjœr, der mit einer Mischung aus Drums und Percussion markant die Grooves zaubert. Das ist intelligentes Hörkino und der ideale Soundtrack zu verregneten Novembertagen.

Der gutgefüllte Saal im mon ami forderte zwei Zugaben, die mit dem Bluesrock “Bye and bye” und dem Reggeae “Go over” bestens bedient wurden. Ein tolles Konzert für alle Freunde handgemachter Musik, und der Beweis, dass Intelligenz und Intensität sich nicht ausschließen müssen.



21. Oktober 2007


Schwülstiger Zombietrash


Der zweite Teil des Grindhouse-Doppels „Planet Terror“ kann nicht restlos überzeugen


Manchmal ist der Erste eben doch der Beste. In Amerika gab es Tarantinos „Death Proof“ und Rodriguez „Planet Terror“ im Doppelpack, in Europa werden sie getrennt gespielt. Und das ist gut so...

Grindhouse war Trash und lief in den kleinen amerikanischen Schmuddelkinos. Haupthelden waren tapfere Kämpfer gegen Zombies, Aliens und Monster, begleitet von aufreizenden Schönheiten, die viel Haut zeigten. Die Regisseure Quentin Tarantino und Robert Rodriguez hatten dort ihre Wurzeln. Beide gelten mittlerweile als Kult, haben sie doch mit Kinohits wie „Pulp fiction“ oder „Sin City“ im Cinema-Himmel schon ein Plätzchen erarbeitet. Nachdem Tarantinos „Death Proof“ Kurt Russel als Obermacho und Killer schmerzhaft die Macht der Frauenpower lehrt, und ein furios spannender Film war, konnte man von Rodriguez Pendant sicher Einiges erwarten. Doch diese Erwartungen werden etwas enttäuscht.

Was beide Filme eint, ist die witzige Ästhetik. Da werden vorher fiktive Trailer gezeigt, mal gibt es künstliche Filmrisse, Tonstörungen und Überbelichtungen, sodass der Eindruck entsteht, man hat es mit einer alten Filmkopie der Sechziger zu tun. Außerdem gibt es  natürlich massenhaft Zitate aus alten B-Movies.

Doch während Tarantino diese Zitate kreativ wandelt bleibt es bei „Planet Terror“ doch eher bei der Verehrung. Natürlich setzen beide Regisseure die Frauen sexy und faszinierend in Szene, und der aufregende Table-Dance, den Hauptheldin Cherry Darling (Rose McGowan) hinlegt, knistert nur so vor Erotik. Bis sie dann mit ihrem Ex-Lover El Wray (Freddy Rodriguez) vereint gegen Zombies ballert, verliert sie noch ein hübsches Bein, doch das kann diese Frau nicht erschüttern. Bruce Willis als durchgeknallter Commander, Tarantino als sexbesessener fieser Soldat und Michael Biehn als strenger Dorfpolizist genießen ihre Trash-Rollen sichtlich, und wenn die sexy Ärztin Dr. Dakota Block (Marley Shelton) ihre Spritzen rausholt, dann sollten sich die Männer halt in Acht nehmen.

Doch trotz irrer Charaktere bleibt die Story seltsam vorhersehbar. Die Dialoge sollen cool sein, sind aber eher schwülstig. Man merkt halt allzu deutlich, dass hier alles auf Kult angelegt ist, und das wirkt auf Dauer nicht witzig, sondern eher angestrengt.

Trotzdem ist „Planet Terror“ durchaus ein sehenswerter Film, kann aber halt mit „Sin City“ weder vom Rodriguez Script, noch seiner optischen Umsetzung mithalten. Für Fans sicher ein Muss, für die anderen überfrachtetes Zitatenkino.



17. September 2007


Der sanfte Eroberer


Till Brönner und seine Band gaben in der Viehauktionshalle ein stimmungsvolles Konzert zum Kunstfestabschluss


Till Brönner steht eigentlich für entspannten Popjazz. Dafür geriet er ins Kreuzfeuer der Puristen, aber weil er ein guter Musiker und Arrangeur ist, hat er sich auf dem engen Jazzmarkt durchgesetzt. Und da er nach eigenem Bekunden zu selten im Osten Deutschlands spielt, bot der Kunstfestabschluss eine der seltenen Begegnungsmöglichkeiten.

Rund 800 Zuhörer kamen in die sanft ausgeleuchtete Viehauktionhalle, und konnten sich vom Charme der Spielstätte überzeugen. Zwar waren das wesentlich weniger Besucher als bei Brönners Jena-Gastspiel vor sechs Jahren, aber dafür wurde er durch die Anwesenheit der Kunstfest-Intendantin geadelt. Der sympathische Trompeter begeisterte sich spontan für den Ort, und warb sogleich für ein mögliches Jazzfestival. Und begann mit dem relaxten Blues „Bumpin“ von Wes Montgomery, welcher auch seine aktuelle CD „Oceana“ einleitet.

Hinter ihm sammelte sich die wohl teuer-erlesenste Elite des bundesdeutschen Jazz. Kontrabassist Dieter Ilg sorgte mit Schlagzeuger Wolfgang Haffner, dem Perkussionisten Roland Peil sowie dem Pianisten Hendrik Soll für exzellente Rhythmusgruppenarbeit zwischen treibendem Swing und groovigen Latino. Akustik-Gitarrist Johan Leijonhufvud erinnerte mit seinen Solis an George Benson und Lee Ritenour und garantierte damit entspannte Szenen.

Schmusige Balladenversionen wie Leonard Cohens „In my secret life“ oder „Your way to say goodbye“ von der „That summer“-CD (die Brönner auch als guten Fenderpiano-Spieler zeigten), ließen den Spätsommer in die hohen Hallen ein; und an dieser Stelle sei wieder einmal der perfekte Sound und das stimmungsvolle Licht von Adapoe zu loben. Lässiger, schneller Bop wie „I hear music“ von Frank Loesser, sowie die swingenden Versionen von Franz Grothes „Wenn ein junger Mann kommt“ und dem „Charade“-Soundtrack bildeten schnelle und dynamische Gegenpole und ließen viele freie Chorusse von Band und Frontmann zu.

Brönners charismatische Stimme, die virtuosen Chorussoli und ausgefeilten Harmoniken erwirkten allerdings eher gespanntes Zuhören als Emphase. Denn  irgendwie wollte der Funke nicht so recht von der Bühne zum Publikum überspringen, weshalb auch nur eine Zugabe den Abend beendete. Das lag vielleicht doch an den gebrochenen Erwartungshaltungen, denn wer Brönner für seinen entspannten Kuscheljazz liebt, kann sich vielleicht nicht so sehr für die Swing- und Bebop-Ausflüge begeistern. Und für die Fans letzterer Jazzspielarten kam das Konzert vielleicht etwas zu soft daher.

Tja, Brönner sitzt zwischen den Stühlen, aber er ist unbestreitbar einer der kreativsten Köpfe der deutschen Jazzszene, was seine Arbeiten für Hildegard Knef und Manfred Krug und seine durchaus kongenial-spielerische Nähe zu Chet Baker beweisen. Vielleicht deshalb gab es einen magischen Moment vor der Pause: Brönner, Ilg und Peil spielten unplugged den „Basin street blues“ und deckten damit eindrucksvoll die akustische Potenz der Viehauktionshalle auf.

Und dies war vielleicht die beste und verpflichtendste Anregung dieses Abends: Das Kunstfest sollte diesen, von Kauffmann entdeckten Spielort ausgiebiger nutzen statt sich wieder einmal die Besucherzahlen schönzurechnen...



16. September 2007


Stille Ohrwürmer


Die aktuelle CD „Crystal“ des Duos „Friend’n Fellow“ ist ein überragendes Gesamtkunstwerk aus Weimar


Manche CDs wirken bei mehrmaligem Anhören immer besser. Und irgendwann will man sie gar nicht mehr missen, weil alle Titel wie aus einem Guss kommen, und man sich die Scheibe nicht überhört. Zugegeben, solche Produktionen sind selten, aber umso erfreulicher, dass so ein Gesamtkunstwerk aus Weimar kommt.

„Crystal“ heißt die aktuelle CD des Duos „Friend’n Fellow“, die ich anlässlich des überwältigenden Konzerts zur Kunstfesteröffnung im Weimarhallenpark in die Hand gedrückt bekam. Und seitdem hat die CD meine Player kaum mehr verlassen. Denn  man kann sagen, dass sich das Duo mit dieser Produktion quasi neu erfunden hat, ohne seine Wurzeln zu verlassen.

Sängerin Constanze Friend hat ihre Stimme wandelbarer gemacht. Mal klingt sie wie im Titelsong nach Marianne Faithfull, mal erinnert sie an Diana Krall („Far away“), doch immer bleibt ihr etwas unverkennbar Eigenes: ein warmer, intensiver Alt, der den Blues ergreifend singt, und ihn so in seiner Wirkung ständig aktualisiert.  Und trotz intellektueller Kalkulation ihrer stimmlichen Mittel bekommt man keinen Moment den Eindruck, dass hier irgendetwas aufgesetzt wird.

Thomas Fellow hat sein gitarristisch-orchestrales Spiel so vervollkommnet, dass man in dieser Duoarbeit von einer perfekten Symbiose sprechen kann. Einerseits gibt es da seine  Virtuosität und harmonische Raffinesse, aber ebenso reagiert er dynamisch auf die kleinste stimmliche Nuancierung seiner Bühnenpartnerin („Flyin’ high“). Die elf Songs plus Reprise sind zudem stille Ohrwürmer. Sie bohren sich nicht aufdringlich in den Gehörgang, manche Melodien sind durchaus dem klassischen Bluesschema verhaftet („8x3“), aber werden völlig neu erlebt.

Und wer bei dem übermütigen „My favorite girl“ nicht fröhlich wird, oder bei der coolen „Beauty Queen“ keine Kraftströme bekommt, der hat vielleicht den Blues noch nicht gefühlt.

Wohlgemerkt: „Crystal“ ist kein typisches Bluesalbum. Man könnte es genauso einer anspruchsvollen Folktradition einer Suzanne Vega oder der melancholischen Jazzelite Skandinaviens zuordnen. Aber genau diese Vielseitigkeit macht dieses Album so überragend und international konkurrenzfähig.

Dazu kommt der kristallklare Sound, abgemischt von Jannique in den Leipziger Fachwerkstudios. Hier waren einfach mal Ohrenprofis am Werk, die auch die Hifi-Freaks ins Schwärmen bringen werden. Sparsamster Einsatz von Effekten und die punktuellen Cellopassagen, einfühlsam arrangiert von Christoph Schenker, runden den Klangeindruck eindrucksvoll ab. Insofern ist „Crystal“ auch als Referenz-CD für hochwertige Tonanlagen bestens geeignet.

Letztlich sind die Texte Constanze Friends nicht nur Beiwerk. Sie verarbeitet Träume, Impressionen und familiäres Erleben zu einer kraftvollen Melange. Und so wollen wir als Frühlingskinder beim Lauschen des mitreißenden „Child of spring“ die Regenbogenfarben sammeln und uns einfach gut fühlen. Und da auch das Auge außerhalb der Bühne seinen Genuss braucht: das Cover (Fotos: Alexander Busch, Artwork: Ulrike Mönnig) kann sich mehr als sehen lassen.

Und sollte mir jetzt jemand zu große Begeisterung vorwerfen: einfach mal in „Crystal“ reinhören und dann urteilen. Denn oft lobt man sich in Weimar ungebührend viel, aber manchmal sollte man eben mit Lob nicht allzu sehr sparen. Denn es gibt hier ja nicht nur klassische Propheten, die im Lande bleiben sollten...



12. September 2007


Bourne, baby, burn


Heißes und intelligentes Actionkino bietet das „Bourne-Ultimatum“ mit Matt Damon


Eigentlich waren ja schon fast alle Geheimnisse gelüftet, aber nun holte Paul Greengrass zum dritten Bourne-Sequel Beachtliches aus der Thrillerkiste. Und hat einen pulstreibenden Film gemacht.

Nachdem die "Bourne-Identität" und die "Bourne-Verschwörung" zu dem Besten gehörten, was intelligentes Actionkino in den letzten Jahren zu bieten hatte, lasteten auf dem "Bourne-Ultimatum" beträchtliche Erwartungshaltungen. Und zugegeben: ein wenig hat Greengrass inhaltlich bei "Fletchers Visionen" abgekupfert, doch das ist legitim. Das "Ultimatum" legt schon anfangs ein rasantes Tempo vor und steigert sich kontinuierlich.

Matt Damon spielt den perfekten  Einzelkämpfer Jason Bourne, der eigentlich David Webb heißt, und durch ein unmenschliches geheimes Regierungsprogramm ziemlich gut kampftrainiert aber auch psychisch verkorkst wurde. Bourne rächt sich an seinen Peinigern, aber die sind auch nicht auf den Kopf gefallen. Und so entbrennt ein ungleicher Kampf zwischen der Kampfmaschine David/ Jason gegen das System Goliath.

Und bevor Bourne die geheimdienstlichen Sauereien entlarvt, muss er sich eindrucksvoll durch Tanger prügeln, einen Journalisten perfekt, aber letztlich erfolglos an Überwachern vorbeischleusen, und eine ehemalige Feindin neu einschätzen. Dabei kommt er aber mit wenigen Gesichtszügen gut aus, und erinnert dabei ein wenig an Kiefer Sutherlands Jack in „24“.

David Strathairn ist der kalte und effektive Gegenspieler Bournes, der sein Opfer nur tot akzeptiert. Doch in seinem Stab regt sich Widerstand gegen diesen Eliminierungsbefehl, besonders von Pamela Landy (Joan Allen). Auch die attraktive Nicky Parsons (Julia Stiles) wird wieder aktiviert, und so verläuft das spannende Katz-und-Maus-Spiel im totalen Überwachungsstaat mit vielen Fronten und Wendungen. Die treibende Musik von John Powell und die schnelle Kamera von Oliver Wood tun ein Übriges, um den Puls der Zuschauer am Rasen zu halten.

Und da Oberbösewicht Scott Glenn noch immer im Regierungssattel sitzt und Julia Stiles noch eine unerklärte Beziehung zum Helden hat, wird man wohl einen vierten Teil in Planung haben. Zumal der deutsche Jungstar Daniel Brühl als Martin Kreutz, Bruder von Bournes verstorbener Frau, auch nur ein kleines verrätseltes Gastspiel hat, welches sich durchaus ausbauen lässt.

Das „Bourne-Ultimatum“ ist jedenfalls spannendes und intelligentes Thrillerkino ohne Kompromisse und durchaus empfehlenswert. Allerdings sollte man sich die beiden Vorgänger noch mal ansehen, um die vielen Anschlüsse nicht zu verlieren.



2. September 2007


Blauer Dunst und freie Geister


Der „letzte Zug“ als nachdenklicher Smoke-out und humorvoller Kneipenbummel


Nun ist der Zug abgefahren. Denn seit September tritt das Nichtrauchergesetz des Bundes in Kraft und in Bälde soll das Rauchen in Gaststätten auch thüringenweit verboten werden. Mag man dazu stehen wie man will: ein kulturhistorischer Einschnitt ist das schon. Den witzigen und niveauvollen Kommentar dazu lieferte am letzten Freitag die literarische Gesellschaft in Thüringen.

Es war ein überschaubarer Trupp der sich zunächst in der „Creperie am Palais“ einfand, um den „letzten Zug“ zu beginnen. Christoph Schmitz-Scholemann, stellvertretender Vorsitzender der literarischen Gesellschaft erklärte zunächst die Intention der Veranstaltung: „Wir veranstalten hier keine gesundheitspolitische Demonstration. Wir machen auch keine Werbung, weder für Zigaretten, noch für Nikotinpflaster“. Nein, es ging um einen lockeren Abgesang vom gesetzlich ungeregelten Tabakgenuss, der in insgesamt sieben Kneipen-Stationen mit literarischen Texten sinnfällig gemacht wurde.

Dieses leicht wehrhafte Ansinnen hatte der selbsternannte „Commander“ der „Anti-Tabak-Aktivisten“ Klaus Klages wohl falsch verstanden. In einer unsäglichem Schmähschrift, die er ebenso aufdringlich wie nutzlos verteilte, wollte er den „thumben Thüringer Leseratten ins Gesicht spucken“ (Originalton Klages), was er dann wohl mangels Feindbildes nicht  ausführte. Dafür stellte er seinen Porsche trotzig in Parkverbote, was ihm zwar keinen Abschleppwagen, aber dafür sarkastische Kommentare des Publikums über Verkehrstote einbrachte. Nach vier Stationen war dann seine lächerlich-rebellische Begleitung beendet, wobei sein Protest gegen den Lobbyismus der Tabakindustrie inhaltlich durchaus diskussionswürdig war.

Denn die vorgelesenen Texte setzten sich humorvoll und kritisch mit dem Laster des Rauchens auseinander, ohne den Rauchgenuss anklagend zu verteufeln. Michael Helbing von der "Thüringer Allgemeine“ eröffnete den Lesereigen mit einem schwarzhumorigen Einar-Schleef Text und der Schriftsteller Hubert Schirneck sekundierte mit Ausschnitten von Christopher Buckleys „Danke, dass sie hier rauchen“. Übrigens dürfte letzteres Buch sicher einigen Kinogängern bekannt sein, lieferte es doch das Script für die herrliche Satire „Thank you for smoking“.

Nachdem Literaturgourmet Konrad Paul im „Resi“ mit kraftvoller Brecht-Prosa unterhielt, lieferte Schauspieler und Regisseur Hans Lucke einen humorvollen autobiografischen Abriss seiner gewesenen Raucherleidenschaft und erntete mit seiner professionellen Darbietung bei den rund dreißig Mitpilgern verdienten Zwischenapplaus. Auch der Weimarer Autor Wolfgang Held ließ es sich im „Wieland-Cafe“ nicht nehmen, einen eigenen Text beizusteuern, um mit der heiteren Eröffnungsthese „Kolumbus ist schuld“ bis zum Ende seinen Vortrags die Lacher auf seiner Seite zu haben. Arbeitsrichter Christoph Schmitz-Scholemann stellte an selbem Ort Tagebuchaufzeichnungen Italo Svevos vor, die skurril von den vergeblichen Versuchen erzählten, das Rauchen aufzugeben. Leider schaffte es das „Wieland-Cafe“ nicht, das ewige Popgedudel während der Lesung abzustellen, während alle anderen Gaststättengastgeber optimale Bedingungen boten.

Nachdem im „Henrys“ Jens Kirsten über die Geheimnisse der Zigarrenherstellung referierte, und der durch die „Literaturlounge“ örtlich bekannte Tony Pacyna mit Heinrich Böll und Friedrich Torberg satirisch punktete, erwarteten die Mitwanderer in der „Brasserie“ Krönungen des Literaturmarathons. Lotte-Moderator Shanghai Drenger las einen skurrilen Eigentext über den Kampf einer rauchenden Rentnerin gegen das Zollsystem und Musikgymnasiums-Chef Wolfgang Haak brachte den „Max- und Moritz- Streich“ gegen Lehrer Lämpel von Wilhelm Busch in Erinnerung. Unbestrittener Höhepunkt des Abends war allerdings der schauspielerisch-perfekte Ausflug von Stiftungspräsident Hellmut Seemann in die Gefilde von Thomas Manns „Zauberberg“. Pointiert und effektvoll in seiner Spracharbeit zog er mit diesem anspruchsvollen und hintergründigen Text auch die Zufallsbesucher am Rollplatz in seinen Bann und ließ den literarischen Antihelden Hans Castorp lebendig werden.

Das edle Ambiente der Bar im „Elefanten“ bot den Rahmen für den Monolog „Der Schaden des Tabaks“. DNT-Schauspieler Bernd Lange machte aus der Tschechow-Vorlage ein kleines Kabinettstückchen und begeisterte die Zuhörer zu späterer Stunde. Im „Anno 1900“ fand dann der Rundgang ein gefälliges Ende mit gitarristischen Tönen von Heiner Donath und Texten von Zeitgenossen Goethes und Erik Satie („Rauchen sie, mein Freund. Sonst raucht ein Anderer an ihrer Stelle.“), vorgetragen von Martin Stiebert aus Jena. Gleichzeitig war dieser mitternächtliche Abschluss ein zufälliges Geburtstagsgeschenk für „Anno-Chef“ Sebastian Loy.

„Die starre Objektivität des Gesetzes tritt an die Stelle persönlicher Achtsamkeit“, formuliert Schmitz-Scholemann. Gegen diesen Sinn bot „Der letzte Zug“ einen literarisch-kurzweiligen Abschied von einer Kultur und regte zum Nachdenken über die Welt des blauen Dunstes an. Wenn man in Rechnung stellt, dass diese Veranstaltung ohne Budget und durch den Idealismus der Organisatoren und Vorlesenden getragen wurde, bekommt man einen Eindruck von den schlummernden Ressourcen dieser Stadt. Und an solchen Abenden kann ich mich durchaus in Weimar verlieben...



26. August 2007


Ein Hauch von Arena in Weimar


Stimmungsvolles und gut besuchtes Jazz-Open-Air im Weimarhallenpark


Manche Erkenntnisse bedürfen der Zeit. Oder des öffentlichen Drucks. Jedenfalls wollen wir dankbar sein, dass sich bei der Weimarer Kunstfestleitung offenbar die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass abseits der angestammten Konzert- und Theatersäle einheimisch Kreatives durchaus  zu präsentieren lohnt.

"Messages in Jazz" hieß der erneute Versuch, an die  legendären Kunstfest-Eröffnungen  Bernd Kauffmanns anzuschließen. Und da Nike Wagner immer mal Niveau verkündet, gab es statt Umzugszirkus lokalen Jazz mit Spitzenklasse. Der Weimarhallenpark erwies sich dabei wieder einmal als Veranstaltungsort erster Güte und die Wettergötter waren am Freitagabend gewogen und zauberten  eine lauschige Sommernacht. Mehr als 2800 Besucher folgten der Melange aus Musik und Illumination, und erlebten insgesamt einen stimmungsvollen Abend. Auf drei verschiedenen Bühnen konnte man fünf verschiedene Bands erleben.

Nach einem kurzen Dixie-Auftakt der landeshauptstädtischen „Combo Gurilly“ zogen Silke Gonska und Frieder Bergner (der übrigens dem Abend den Namen und das kluge musikalische Konzept gab) die Zuhörer mit einem anspruchsvollen Mix aus neuen Covern und bewährten Eigenkompositionen in ihren Bann. Dabei bewies das ungewöhnliche Vokal-Posaunenduo seine virtuose Vielseitigkeit und die sinnvollen Einsatzmöglichkeiten elektronischer Sampler. Mit den humorvollen Ansagen Bergners und der erfrischenden Stimmgestaltung Gonskas wurde Anspruch und Spielfreude verbunden und das konzertante Konzept locker ins Grüne übertragen.

Das „Istropolis Dancetett“ setzte dagegen auf flotten Balkanjazz. Das junge  Sextett aus den kreativen Dunstkreisen der Weimarer Musikhochschule erwies sich als stilsicher und musikalisch versiert. Sängerin Peggy Herzog lieferte Scat und Stimm-Improvisation zum Aufhorchen, die Bläser waren perfekt aufeinander eingestimmt. Allerdings wünschte man der Band noch eine Prise mehr balkanisches Feuer, doch das wird sich  nach vielen wünschenswerten Auftritten sicher finden.

Pianist Matthias Bätzel und sein Trio mit „Matze“ Eichhorn am Bass und Schlagzeuger Heiko Jung bot entspannten modern Jazz auf exzellentem Niveau. Obwohl oder gerade weil das Trio mittlerweile zu den "alten Hasen" gehört, wirkt Nichts routiniert. Improvisatorische  Einfälle und intelligente Harmoniestrukturen in der Ausdeutung erlesener Popstandards lassen durchaus Vergleiche zu New Yorker Jazzkellern zu.

Unbestrittener Höhepunkt des Abends war allerdings "Friend'n Fellow" auf perfekt ausgeleuchteter Bühne über den Terrassen. Das Duo vorzustellen hieße Eulen nach Weimar zu tragen, gilt es doch schon seit Jahrzehnten als bester Exportschlager der lokalen Szene. Sängerin Constanze Freund und Gitarrist Thomas Fellow definieren sich permanent neu und das im Bereich internationaler Spitzenklasse. Das begeisterte Publikum bekam sowohl beeindruckende Kostproben der CD "Crystal" sowie mitreißende Coverversionen geboten. Stellvertretend seien hier "Light my fire" und die witzige Zugabe "Mathilda" genannt. Das fast zweistündige Konzert gehört zu dem Besten. was ich in den letzten Jahren gehört habe. Das lag natürlich auch am perfekten Sound und der ausgefeilten Lichtregie, für die Thomas Adapoe verantwortlich zeigte.

Und damit kommen wir zu den Reserven des Abends. Denn obwohl der Lichtdesigner  York Wegener beeindruckende Referenzen aufweisen konnte, blieb seine Park-Illumination doch sehr dem gängigen Erwartungsbereich verhaftet. Trotz einiger gelungener Stimmungen war das Ganze sehr statisch und erwies sich durch ungünstige Scheinwerferstellung für viele Besucher als gleißendes Blendwerk. Zudem setzte der Künstler zwar die Baum- und Wasserlandschaft in Szene, aber hatte dabei wohl die Musiker als Hauptakteure vergessen.

Auch die Musikbühnen waren nicht optimal gestaltet.  Manche Podeste hätten im Blick-Interesse der Zuschauer durchaus höher sein können, während die "Friend'n Fellow" - Bühne in solchen Höhen schwebte, dass manche komödiantische Geste der Sängerin für viele Besucher in den unteren Reihen verloren ging.

Konzentriertere „Ehringsdorfer“-Bierstände und eine etwas dezentere Bewerbung des Sponsors wären wohl auch denkbar gewesen. Dafür punktete die leckere „Estragon“-Suppenbar mit leckerem Angebot abseits der Bratwurst.

Letztlich ließ sich Kunstfest-Intendantin Nike Wagner bei ihrer eigenen Außeneröffnung nicht blicken. Das mag an gewissen Einstellungen liegen, aber wir wollen das nicht unbedingt als Minuspunkt verbuchen. Schließlich war man ja wegen der Musik und nicht wegen roten Teppichen gekommen...



21. August 2007


Silbermann ist ein Goldjunge


„Fantastic Four 2: Rise of the Silver Surfer“ überzeugt als unterhaltsames Sci-fi-Sequel


Vier gegen Einen ist eigentlich feige. Aber da der Einzelgegner Silver Surfer heißt, und das Ganze aus den unendlichen Weiten des Marvel-Universums kommt, ist es ein durchaus redlicher und spannender Kampf. Und das Sequel über die Comic-Fantas ist trotz des erwartbaren Sieges des Guten über die bösen Mächte durchaus sehenswert.

Eigentlich müsste es ja „Alle gegen Einen“ heißen: denn wie „Rise of the Silver Surfer“ in den Kinofeuilletons durchgängig verrissen wurde, ist schon erstaunlich, da es in dieser Hinsicht wirklich viele schlechtere Filme gibt. Nun also eine versuchte Ehrenrettung. Der zweite Teil der „Fantastischen Vier“ baut ein wenig auf das Wissen des Vorgängers auf.

Das Mutantenquartett „Mr. Fantastic“ (Ioan Gruffudd), „Invisible Woman“ (Jessica Alba), „The Thing (Michael Chiklis) und „Human Torch“ (Chris Evans) hat sich auf der Erde und ihrer Medienwelt häuslich eingerichtet, Nummer eins und zwei wollen heiraten, der Nächste hadert mit seiner Körperlichkeit und der Vierte im Superheldenbunde entflammt sich und einen Großteil der erdlichen Weiblichkeit.

Jessica Alba erotisiert in Hochzeitskleidern, die Männer feiern Abschiedsabende in der Edeldisco und der zukünftige Ehemann bastelt im heimischen Computerstudio schnelle Fahrzeuge und Computeranalysen und verweist besorgte Militärs auf sein linkisches Privatleben.

Alles könnte also schön friedlich und langweilig sein, aber die bösen Mächte wollen ja auch einen Platz im Leben So wird „Dr. Doom“ (der „Nip/Tuck“-Schönheits-Chirurg Julian McMahon) reaktiviert und ein übergroßes Wesen namens „Galactus“ hat seinen übermäßigen Planetenappetit auf die Erde gelenkt, den es mit Hilfe des „Silver Surfers“ (Doug Jones) stillen will.

Da dieser „Silver Surfer“ seinen Job zwar verheerend gründlich, aber nur gezwungenermaßen ausführt, zudem faszinierend animiert ist und dabei ein wenig an „Terminator 2“ erinnert bleibt es nicht aus, dass er schnell zum Helden des Films mutiert. Denn der „Silver Surfer“ ist ein melancholisches und tragisch umflortes Lichtwesen, dass durchaus gefühlsähnliche Regungen zeigt und nicht so eindeutig dem Gut-Böse-Schema zuzuordnen ist.

Regisseur Tim Story (was für ein Name!) hat sich nach seinem „Fanta“-Erstling durchaus verbessert und spielt ironisch mit Superman-Images und geschickt mit Spannungsbögen. Die 92 Kinominuten werden nie langweilig und sind stellenweise sogar witzig. Der Plot bietet durchaus spannende Wendungen und spektakuläre Effekte wie das Loch in der Themse haben Blockbusterqualitäten.

Für die Comic-Puristen ist der „Silver Surfer“ vielleicht etwas entzaubert worden, und die Handlung bietet keine großen intellektuellen Herausforderungen. Doch dafür ist das „Fantastic Four“-Sequel nicht gedacht. Aber als Popcorn-Kino für den verregneten Sommer ist dieser Film bestens geeignet.



3. August 2007


Orient im Thüringer Wald


Die Waldbühne Legefeld begeistert auch in diesem Jahr mit einer Märcheninszenierung Zuschauer aller Altersstufen


Tapferkeit, Edelmut, Großzügigkeit und Intelligenz: nein, wir reden hier nicht von den „Transformern“ und erst recht nicht von lokaler Politik. Sondern von einem Märchen, mitten im Thüringer Wald. Dort wird von einem pfiffigen Häuflein die „Errettung Fatmes“ wiederbelebt.

Unweit von Weimar, in der Nähe Legefelds spielt die Großfamilie Arenhövel im Wald  Theater. Das ist in Europa einmalig. Zwar gibt es in Frankreich und England ähnliche Familienprojekte. Doch hier inszenieren sie eigene Stückfassungen; sie singen und musizieren, und vereinen auf der Bühne drei Generationen.

Die Waldbühne Legefeld ist ein seit 53 Jahren bestehendes Projekt von spielwütigen, theaterbesessenen Idealisten, und deshalb gerade in unseren Zeiten ein hohes Gut. Zwar wäre nachzufragen, warum man in der Kulturpolitik solch seltene Pflanzen nicht intensiver fördert, aber wer Weimar und Thüringen kennt, der weiß, dass hiesige Breitenkultur meist ohne finanzielle Hilfe existieren muss.

„Wir haben mal den Thüringer Verdienstorden bekommen“, merkt Winfried Arenhövel, der Regisseur des Familienunternehmens schmunzelnd an, „und als wir mal 2000 Euro Sponsoring erhielten, mussten wir das als gemeinnütziger Verein gleich wieder abführen, weil wir ja Eintrittsgelder genommen haben“. Da schütteln selbst die bösesten Zauberer und Hexen den Kopf, denn schließlich opfern die Mitspieler alle zwei Jahre ihren Urlaub. Doch den Waldbühnendrang der Arenhövels kann kein Widerling bremsen.

In diesem Jahr steht als zehntes musikalisches Märchen die Adaption der „Errettung Fatmes“ von Wilhelm Hauff auf dem Programm. Der ungewöhnliche Erzähler, der schon mit 25 Jahren starb, zählt zu den Lieblingsschriftstellern der Großfamilie, und deshalb hat man sich vor zwei Jahren entschieden, diese Fabel aufzuführen. Die gereimte Textfassung wurde von den Familienmitgliedern gemeinsam erarbeitet. Für die anspruchsvollen Chorsätze und die Instrumentalmusik zeichnet Winfried Arenhövel verantwortlich, und man staunt, wie die Amateure die schwierigen Vorlagen bravourös meistern.

„Die Errettung Fatmes“ ist die Mär einer Entführung, und listigen Rettungsversuchen. Und es ist eine Geschichte vom Edelmut des Räubers Orbasan und dem tapferen Retter Mustapha. Und natürlich spielt auch die Liebe eine Rolle, und es gibt auch ein paar Wendungen, welche das Märchen durchaus mit Spannung versehen.

Die Exotik des alten Orients wird mit einem imposanten Bühnenbild und liebevoll angepassten Kostümen (Erna und Margarita Arenhövel sowie Elisabeth Oeser mit Unterstützung des DNT) in Szene gesetzt. Dem Zauber des Ortes kann man sich nur schwerlich entziehen, und deshalb haben die Aufführungen der Waldbühne Legefeld auch ein zahlreiches Fanpublikum, welches von In- und Ausland anreist. Es gibt keine Kartenreservierung, da die Sitzplätze nicht nummeriert sind. Und man sollte frühzeitig kommen, denn bei „Des Kaisers Nachtigall“,  der Aufführung vor zwei Jahren, mussten zum Leidwesen der Akteure über einhundert Interessierte wieder weggeschickt werden.

In diesem Jahr kreisen die Blicke der Amateurschauspieler etwas sorgenvoll in den Himmel, denn bei schlechtem Wetter gibt es keine Variante, sondern aufgeweichten Waldboden und nasse Füße. Und so hofft man, dass die Wetterhexen dem Projekt nicht allzu arg zusetzen. Doch ein echter „Waldbühnengänger“ wird sich von Regentropfen sowieso nicht abhalten lassen. Und die erfahrenen Besucher statten sich sowieso mit wärmender Kleidung, Sitzkissen und Taschenlampen (für den unbeleuchteten Rückweg durch den Wald) aus.

Neben dem Reiz der Natur und der familiären Bühnenatmosphäre ist natürlich die Märchenaufführung für alle Publikums-Generationen unterhaltsam. Und es gibt viele witzige Anspielungen zur gegenwärtigen Bürokratie, und eine, durch ihren unverstellten Anspruch reizvolle Inszenierung mit vielen Musik- und Tanzeinlagen. Zudem ist es spannend, wie die verschiedenen Familienmitglieder mit ihren Rollen und den Jahren wachsen. Clemens und Sophie Arenhövel sind da stellvertretend eindrucksvolle Beispiele

Wer hier professionelle Bühnenperfektion erwartet, sollte sich zu Recht enttäuscht sehen, denn das ist nicht die Intention der über dreißig Spieler. Es geht um den Spaß an der Sache, und das ist in diesem Falle das höhere Gut. Und auch wenn mancher Vers etwas ruckelt und nicht jeder Übergang wie geschmiert läuft, so tut das dem klassischen Vergnügen keinerlei Abbruch.

Und so bleibt zu hoffen, dass diese ungewöhnliche Theatertradition fortbestehen kann. Und wenn man eine derzeitige Wertedebatte führt, sollte man die Beispielrolle solcher inzwischen selten gewordenen Großfamilien nicht vergessen...



28. Juli 2007


Norwegischer Sommerzauber


Silje Nergaard und Band sorgten in dieser Saison für ein Jenaer Kulturarena-Highlight


Ja, es gibt sie noch, diese lauen Sommerabende, doch sie sind in diesem Jahr in der Kulturarena noch selten. Umso schöner, dass der skandinavische Charme Silje Nergaards auf wohltemperiertes Genießerpublikum traf.

Die norwegische Sängerin, die vor sechs Jahren ihren Arenaeinstand gab,  begann vor 2600 Zuschauern zunächst solistisch, und begleitete sich auf einem Fender-Piano. Und schon bei den ersten Tönen hatte sie das Arenarund für sich gewonnen. Silje Nergaards Stimme besticht nicht durch ihre Virtuosität, und ist damit von den Jazzwelten einer Maria Joao meilenweit entfernt. Nergaards Trumpf ist ihre Ausdrucksstärke.

Mit minimalistischen Scat und emotionaler Vokalise interpretiert sie intensiv ihre Songgeschichten zwischen Pop und Jazz, ohne seichte Täler zu beschreiten. Sie erinnert an Joni Mitchell, Al Jarreau, ihr Landsmann Bugge Wesseltoft hat sie sicher beeinflusst. Doch auch die Woodstock-Generation wird sich bei einigen Arrangements angenehm an Crosby, Stills, Nash & Young erinnert fühlen.

Das junge neue Quartett unterstützt die musikalischen Visionen der Frontfrau optimal. Der Einstand von Helge Lien an Flügel und Rhodes, der mit sparsamen akkordischen Kommentaren und intensiven Impressionen begeistert, sowie Bassist Finn Guttormsen, Bjørn Charles Dreyer (git) und Jarle Vesperstad (dr) erfolgt mit der jazzigen Version von Nergaards Hit "Be still my heart". Später wird das Ensemble mit Countryklängen überraschen, mit pianistischen Stimmungsbildern glänzen und sich  witzige Yukule-Amigos wandeln. Und wenn Jarle Vesperstad sein Schlagzeug bei der stimmigen Ballade „Dance me love“ in ein melodisches Instrument wandelt, gehört das zu den eindrucksvollsten instrumentalen Szenen des Abends. So vergehen die leider nur 100 Minuten im unterhaltsamen Schnellflug.

Dazu kommt die sommerhaft-schwingende Atmosphäre, die durch den gelungenen Umbau der Arena für luftige Reihen sorgt. Nicht zu vergessen der klare und ausgewogene Ton sowie die augefeilte Lichtregie der Adapoe-Techniker, die den Musiker optische Schwingen verleihen.

Im Gastronomiegürtel wünschte man sich etwas mehr kulinarische Bandbreite, aber wenigstens dominiert nicht die ewige Bratwurst. Und so bleibt die Arena verlässlicher kultureller und geselliger Sommertreffpunkt für Thüringen, was Silje Nergaards Wohlfühl-Jazzkonzert wieder einmal eindrucksvoll unterstrich.



26. Juli 2007


Zwei Minuten Zukunft


Mit „Next“ ist ein kleiner, feiner Thriller in die Kinos gekommen


Es ist die Zeit der Sommerkino-Blockbuster. Während der neue Potter für Kinder kaum geeignet und durch seine Bravheit enttäuscht, und der neue Tarantino einer seiner Besten ist, gerät „Next“ ein bisschen in den Hintergrund - und das hat dieser Film nicht verdient.

Regisseur Lee Tamahori hat eine spielerische Lust, die Sehgewohnheiten seiner Zuschauer zu verunsichern. Schon bei Bond hat er sich mit „unsichtbaren“ Autos versucht, und nun nahm er sich einer Geschichte des legendären Philip K. Dick („Blade runner“, „Minority report“) an. Zwar ist von der literarischen Vorlage „The golden man“ nur ein Teil übrig geblieben, doch das schadet dem Unterhaltungswert des Actionthrillers nicht.

Chris Johnson (John Cage) ist ein kleiner Illusionist in Vegas, der seine Gabe für zwei Minuten in die Zukunft sehen zu können für kleine Zaubershow und das Austricksen von Black-Jack-Tischen nutzt. Diese Fähigkeit bleibt auch der engagierten FBI-Agentin Callie Ferris (Julianne Moore) nicht verborgen, und so versucht sie ihn für die Auffindung einer Terroristen-Bombe zu gewinnen.

Johnson interessiert sich allerdings zunächst für die schöne Liz (Jessica Biehl), die seinen Träumen keine Ruhe lässt. Und so entwickelt sich ein mehrfaches Katz- und Maus-Spiel: die Terroristen jagen Johnson, das FBI jagt Johnson und die Terroristen, und Johnson jagt und erobert Liz, um dann Terroristen zu jagen.

Das klingt, zugegeben, etwas simpel gestrickt, doch Tamahoris Trick besteht darin, den Zuschauer ständig mit zusätzlichen Wendungen zu verwirren. Man weiß nie, ob etwas in der Phantasie Johnsons, oder in der Realität passiert, und das macht „Next“ bis zu hammermäßigen Schlusspointe ungemein spannend und temporeich.

Thomas Kretschmann gibt Johnsons Gegenspieler cool und routiniert, Cage und Moore sind in gewohnt guter Form und Jessica Biel kauft man die vorsichtige Sprödigkeit durchaus ab. „Next“ ist kein tiefenpsychologisches Kammerspiel, sondern intelligente Action ohne Pappfiguren. Der spannende Soundtrack und die pfiffigen optischen Lösungen runden dieses Sommerkino optimal ab.


Fazit: Empfehlenswertes intelligentes Actionkino für den Sommerabend.



14. Juli 2007


Ritter ohne Herz und Feuer


Die moderne Adaption von Don Quijote im DNT serviert Langeweile im Brettl-Format


Manche Stücke sind vorrangig für einen Hauptdarsteller geschrieben. So auch „Don Quijote, Herr Ritter von der traurigen Gestalt“ in einer Adaption des Autorenkollektivs Soeren Voima. Die Textvorlage lässt den zeitlosen Cervantes-Klassiker-Ritter in aktueller Welt gegen Prekariat, Staatsmacht, Medien und Neureiche antreten, und so ist der tragische Ausgang sinnfällige Fügung. Der Plot ist durchaus zeitgemäß, die Idee nicht unsympathisch, und trotzdem fährt die Inszenierung von Udo van Ooyen voll gegen die Wand.

Das liegt zuerst einmal daran, dass Wolfgang Häntsch als Herr Ritter mit seinem schauspielerischen Können die Hauptrolle nicht trägt. Zwar ist er relativ kurzfristig für den erkrankten Detlef Heintze eingesprungen, doch das entschuldigt letztendlich nicht, dass er als anachronistischer  Ritter die Präsenz eines müden Bankangestellten hat, der weder mit Sprache, noch mit Gestus die idealistisch-gebrochene Figur herausarbeitet.

Aber auch die Stückvorlage ist dem fast dreistündigen Abend nicht gewachsen. Sie zerfasert sich in vielen Episoden ohne Tiefgang, eine Art kalauerndes Panoptikum mit kleinen Paraderollen aber ohne dramaturgischen Schliff (Susanne Winnacker/ Winnie Karnofka). Schon der Eingangsmonolog des Helden lässt eher Langeweile als Empathie entstehen. (Warum beispielsweise sitzt Häntsch vor Stückanfang mit dem Rücken zum Publikum, da hätte man doch gleich den versenkbaren Keller, in dem die Anfangssequenz spielt, hochfahren können?)

Die nachfolgende Szene auf dem Campingplatz lässt etwas Dynamik erkennen. Hier kann Petra Hartung als Erika ihr komödiantisches Talent ausspielen. Später wird sie mit ihrer „Sorry“-Interpretation einen kleinen Lichtpunkt ins Inszenierungsdunkel setzen (auch wenn die Idee nicht ganz neu ist...).

Christoph Heckel und Bernd Lange gelingt es, aus den Nebenrollen etwas herauszukitzeln. Lange als bezopfter Kleinstadtmafiosi versammelt mit seinem Kurzauftritt mehr Ausstrahlung als Häntsch am ganzen Abend.  Susann Günther als die „Seele des Theaters“ verkörpert sanglich und physisch überzeugend ätherisches Wesen und auch Elke Wieditz mit Mut zur tragischen Hässlichkeit bleibt als positiver Eindruck der Vorstellung haften.

Die Musik rettet die Inszenierung nicht, doch die witzigen und virtuosen Arrangements des Saxophonisten Bertram Quosdorf von Mozart-,  Wagner-, und Verdi-Hits, ausgeführt von einem exzellenten Sextett, karikieren treffend und trösten über die textliche Substanz hinweg.

Die mediale Verwurstung des Mythos wird bei der kulminierenden Festmahlszene am historischen Rittertisch mit einem Filmchen von Bahadir Hamdemir illustriert. Nur fehlt diesem Video jegliche bildliche Vision, und man gewinnt den Eindruck dass man hier unbedingt multimedial auftreten wollte.

Der quälend lange Schluss, bei dem Quijote sich seines Wahns bewusst scheint, und ihm sein Knappe Günther (Karl Albert, der dringend an seiner Textverständlichkeit arbeiten müsste) mühselig zu letzten Missionen auf einem Pegasus-Fahrrad drängt, summiert das Regie-Debakel. Man kann mit Don Quijote nicht fühlen, weil er kein Inneres hat, und mit Pansa nicht lachen, weil alles Komische längst ausgereizt ist.

Sicher gibt es Premierenapplaus, man ist ja höflich in Deutschland, doch ist dieser von frenetischen Ovationen weit entfernt. Der Kampf gegen Windmühlenflügel ist ein wichtiges Zeichen der Zeit, doch diese DNT-Premiere dient eher dem flachen Brettl als den idealistischen Welten der Bretter.



28. Mai 2007


Macht der Musik und schwache Bilder


Franz Schmidts „Das Buch mit sieben Siegel“


Das ist ein Buch mit sieben Siegeln - diese Redewendung ist im deutschen Sprachgebrauch selbstverständlich. Kaum jemand weiß, dass dies das Kernstück der Offenbarung des Johannes ist: eine apokalyptische Vision, die von jeher auch den Bibeldeutern Probleme bereitet...


Zu Pfingsten bewies das DNT in Zusammenarbeit mit der Jenaer Philharmonie sowohl Leistungsfähigkeit als auch Fingerspitzengefühl. Mit der Aufführung von Franz Schmidts 1937 entstandener monumentaler Chorfantasie „Das Buch mit sieben Siegeln“, wagte man sich an ein selten aufgeführtes schwieriges Stück heran, und forderte zudem mit zwei Stunden Aufführungszeit ohne Pause das feiertägliche Sitzfleisch des Publikums. Und obwohl sich das musikalische Erlebnis sehr empfehlen lässt, hat man sich mit der Visualisierung keinen Gefallen getan.

Schmidts wuchtiges Eingangsthema erinnert stark an Strawinskys „Feuervogel-Suite“, und überhaupt ist das mächtige Chorwerk sehr dieser Harmonik verpflichtet. Sehr sinnfällig und melodisch sind die schweren Visionen auskomponiert, Schmidt ist ein Meister der Dynamik und der Konzeptkunst. Und das Werk fordert den Musikern eine ganze Menge ab, sei es bei den chorischen Rhythmen oder den Sätzen für die Bläsergruppe (da bekommt die Tuba mal richtig was zu tun!)

Von den sechs Solisten sei stellvertretend Erin Caves gefeiert, der mit bestechend klarem und ausdrucksvollem Tenor den Erzähler Johannes gab. Annette Reißig überzeugte mit mehreren komplizierten Orgelsoli (wobei das Letztere mit der Bildführung durch ein mittelalterliches Apokalypse-Gemälde noch an Intensität gewann).

Der Opernchor des DNT und der Philharmonische Chor Weimar waren der Herausforderung durchaus gewachsen, auch wenn man sich manchmal noch ausgewogenere Stimmverhältnisse wünschte. Die Jenaer Philharmonie zeigte sich in Höchstform, was sicherlich auch der dynamischen Stabführung ihres Generalmusikdirektors Nicholas Milton geschuldet ist. Ich hätte diesem musikalischen Wagnis an den zwei Weimarabenden ein ausverkauftes Haus gewünscht, doch leider blieben bei den Aufführungen doch noch ein paar Stühle leer.

Sehr hilfreich war auch das Laufband mit den biblischen Texten, die zeitlos in ihrer Wucht und Visionskraft beeindrucken. Und die Idee der Visualisierung hat Reiz und Berechtigung, und erschließt sicher auch neue Zuschauergruppen. Soweit die lobenswerte Intention.

Für einen Filmregisseur müsste es eigentlich eine der spannendsten Aufgaben sein, diese Komposition und diese Verse zu bebildern. Leider haben das Dirk Schattner (Regie und Buch) und Bahadir Hamdemir (Schnitt, Kamera und Postproduktion) so gründlich vergeigt (mit Ausnahme der oben erwähnten Orgel-Solo-Bildbetrachtung), dass sie damit dem Gesamteindruck massiv schadeten.

Der im Apoldaer Eiermann-Bau entstandene Begleitfilm lässt sich kaum auf die zwingende Symbolik der Vorlage ein. Stattdessen liefert er eine diffuse Deutung, die dem fesselnden musikalischen Geschehen mit einer drögen Industrieästhetik der siebziger Jahre begegnet. Die drei Models, welche durch ihr Alter verschiedene Erscheinungsformen der Himmelsmacht bedeuten könnten, sind so lieblos ausgesucht und ausstaffiert, dass man dieses höchstens einem Billigetat verzeihen könnte. Aber dann hätte Schattner ja auch ablehnen können.

Da wird viel zu lange das Bild der KZ-Schuhberge bemüht, und die endlos ausgebreitete Schlusssequenz (die man auch schon anfangs gesehen hat) bügelt langweilig alle weiteren Visualisierungsmöglichkeiten des Textes ab. So verfolgt das Publikum ins Bild gesetzte gestelzte kalte Selbstfindung in einem fremden, billigen Kinouniversum, während Orchester und Chor die impulsive Materie meistern.

Der Schlussapplaus fiel dennoch stark und verdient aus, denn das Auditorium hatte ja keine Möglichkeit, die Regiearbeit Schattners auszubuhen, ohne damit die exzellenten Musiker zu treffen. Diese Kritik blieb den Foyerräumen vorbehalten.

Insofern empfiehlt sich für die Aufführung in Jena, das Ereignis mit geschlossenen Augen zu genießen...



24. Mai 2007


Anstrengendes Popcornkino


Der Blockbuster „Fluch der Karibik 3“ bietet viele Bilder und setzt intensiv auf seine Vorgänger


Um es vorwegzunehmen: dieser Film wird sicher ein Massenpublikum finden. Und das hat er durchaus verdient - so wuchtig wird mit Ausstattung, Stars, Pyrotechnik und Ideen geklotzt. Deswegen sollte man auch nicht nach Handlungssträngen fragen, sondern sich eher betäuben lassen...


Jack Sparrow, der genial verschlagene Piratenhauptmann ist wieder da. Und Johnny Depp gibt dieser affigen Figur in allen Zwischen-, Unter- und Realwelten Zucker. Natürlich fehlen auch keine großen Liebesgeschichten. Keira Knightley und Orlando Bloom trauen sich in der Schiffsschlacht nicht nur die Gegner zu dezimieren, sondern nebenbei auch sich selbst. Der fliegende Holländer liebt Calypso, und die versetzt statt Bergen ganze Meereswelten. Die Bösewichter und Machtgelüste sind zahlreich und wer will, kann sich seine Parallele zum G8-Gipfel in Heiligendamm zimmern.Produzent Jerry „Krachbumm“-Bruckheimer und Regisseur Gore Verbinski schaffen es mit schnellen Schnitten und Ortswechseln das Publikum fast drei Stunden im Kinosessel zu fesseln. Aufwändige Tricktechnik, ein paar „Matrix“-Anleihen, atemberaubende Kamerafahrten, verschwenderische Ausstattung sowie der bombastische Soundtrack Hans Zimmers (der manchmal doch etwas zu pathetisch daherkommt) machen die dritte Fortsetzung der Piratensaga durchaus zu einem Kinoerlebnis mit hohem Schau- und Hörwert.

Doch wer den Fehler begeht, die Zusammenhänge der Handlung aufzudröseln, sollte die beiden Vorgängerfolgen sowohl gesehen, als auch in lebendiger Erinnerung behalten haben. Denn warum die vielen Hauptfiguren zu solchem Handeln gezwungen sind, erschließt sich ohne dieses Vorwissen schwer oder gar nicht. Es gibt keine erhellenden Rückblenden, und auch die Dialoge erschließen nur spärlich den Wust an Vater-Sohn-Beziehungen und mannigfaltigen Verwünschungen.

Der kurze Gastauftritt der Stones-Legende Keith Richards als cooler Oberpirat Teague huldigt denn auch mehr dem Rock’n Roll dieses Films. Und so sollte man diesen teuren Kinospaß wohl auch nehmen: Lass krachen, Alter!


Fazit: Gute Unterhaltung



15. Mai 2007


Der Film zum Theatersterben


Robert Altmans letzter Ruf vereint Stars mit intelligenter Wehmut


Der sperrige Titel „Robert Altman’s Last Radio Show“ sollte niemanden davon abhalten, diesen Film im Weimarer „Lichthaus“ anzusehen. Obwohl er mit scheinbaren Belanglosigkeiten beginnt, zieht er das Publikum geschickt immer mehr in seinen Bann, um es schließlich gerührt und gestärkt zu entlassen.

Man weiß von Anfang an, dass es ein Abgesang sein wird, denn der Privatdetektiv Guy Noir (Kevin Kline) verrät in seinem Eingangsmonolog, dass die Radioshow, die er bewachen soll, ein letztes Mal über die Provinztheaterbühne geht. Doch Moderator Garrison Keillor (schrieb das Drehbuch und spielt sich selbst) und sein Bühnenensemble üben sich zunächst in bewusster Verkennung der Realitäten, während der Todesengel (Virginia Madsen) mit sanfter Präsenz arbeitet. Es wird geplaudert, geträllert, gewitzelt und der alten guten Zeiten gedacht.

Aber „the show must go on“, und so sorgt die dreißigjährige Routine der Truppe letztendlich für ein würdiges Sterben.Yolanda (Meryl Streep) und Rhonda (Lily Tomlin) sind die Johnson-Schwestern in diesem herzlichen Beziehungsgeflecht, die als Countryduo eine Familientradition fortleben, der sich Tochter Lola (Lindsay Lohan) nicht stellen will. Die Brüder Dusty (Woody Harrelson) und Lefty (John C. Reilly) üben sich derweil am prolligem Witz und lässiger Aufreißermanier. Der Moderator gibt äußerlich unerschüttert den Fels im Chaos und lässt seine alte Flamme Yolanda schmoren, während Guy Noir dem Todesengel Avancen macht. Der glückliche Hinterbühnentod des Seniorstars Chuck Akers (L.Q. Jones) ändert an diesem Abend für alle ein wenig die Perspektiven, ohne den Ablauf zu stören.

Und der böse Investor (Tommy Lee Jones), der aus dem Theater ein Parkhaus machen will, wird trotz seines vermeintlichen Sieges eine tödliche Überraschung erleben...Natürlich birgt ein solcher Film Parallelen. Und da „The Last Radio Show“ sehr weises Kino ist, kann man es durchaus auch als Kommentar zum Thüringer Theatersterben oder der deutschen Wende interpretieren.Altman führt uns in seinem letzten Film zielsicher und unverfälscht in das Herz des Country und des Radios. Das Staraufgebot spielt lustvoll und unprätentiös, die Songs sind kraftvoll und die deutsche Untertitelung hilfreich, und es sei soviel verraten: mit dem nüchternen Ausräumen der Showbühne ist der Film noch nicht beendet.

Eine besondere Qualität des Films macht aus, dass Altman nichts beschönigt. Er heroisiert keine Sänger, er feiert das Off nicht als heimlichen Olymp, und er schmalzt auch keine unrealistische Mutter-Tochter-Beziehung herbei. Insofern ist „Last Radio Show“ ein kluges Vermächtnis, dass die genaue Beobachtungsgabe des Regisseurs noch einmal bewiesen hat.

Fazit: Sehenswertes Kino alter Schule.



30. April 2007


Beklemmendes aus der Vorstadt


„Little Children“ seziert gnadenlos und fesselnd die Abgründe spießiger Idyllen


Wer die „Desperate Housewives“ nicht wegen ihrer Oberflächen sondern dem subversiven Witz liebt, wird bei „Little Children“ voll auf seine Kosten kommen. Es wäre aber ein Fehler, dieses filmische Meisterwerk nur als lustige Vorstadtgeschichte zu werten.

Sarah liebt Brad, und Brad liebt Sarah. Beider sind verheiratet, aber eben nicht miteinander. Sarahs Mann lebt seine sexuellen Fantasien vor dem Computer aus, während sie ab und zu mit der Mutterschaft und ihrem Umfeld hadert. Hausmann Brad bastelt ohne Überzeugung an einem Anwaltsexamen, während seine Frau sich durch filmische Dokumentationen beruflich verwirklicht. Und dann gibt es noch die kontrollsüchtige Hausfrauengruppe, den resozialisierten Entblößer und einen verstörten Polizisten, und diese Melange in der Bostoner Familienidylle rast unaufhaltsam in die finale Katastrophe.

Während man sich anfangs noch über die spießigen und sexuell verklemmten Hausfrauen amüsiert, durchsetzt sich die Geschichte im Verlauf immer mehr mit verstörenden Elementen. Im Gedächtnis wird sicher die beängstigende Szene im Schwimmbad bleiben, das schockierende Ende eines Dates, oder die anrührende Aussage eines Kindes, dessen Vater im Irak-Krieg gefallen ist.

„Little Children“ arbeitet durchaus auch mit Wendungen, aber der Blick des Regisseurs Todd Field geht mehr in die Seelentiefe, als sich in oberflächlichen Wertungen zu verlieren. Die lakonische Erzählerstimme erinnert natürlich an „Desperate Housewives“, doch ist „Little Children“ eher eine verstörende Hardcore-Variante dieser Serie.

Field kann sich zudem auf ein exzellentes Schauspielerensemble verlassen. Allen voran Kate Winslet, welche als unerfüllte Hausfrau brilliert. Wenn sie sich im Kränzchen über „Madame Bovary“ selbst verteidigt und der Gouvernante der Gruppe die Stirn bietet, oder wenn ihre Blicke Sehnsüchte und Enttäuschungen spiegeln, dann merkt man, dass hier ein Profi am Werk ist. Patrick Wilson spielt den Brad als zerrissenen Schönling, der erst langsam zur kleinen Rebellion wächst.

Jackie Earle Harley spielt den zwielichtigen Pädophilen mit so intensivem Understatement, dass er dafür durchaus einen Oscar verdient hätte. Den hat „American Beauty“ mit ähnlicher Kulisse schon bekommen, doch die Filme verbindet auch ein wunderbarer, einfühlsamer Soundtrack von Thomas Newman.

Bleibt zu hoffen, dass die Weimarer Kinos dieses Juwel nicht verschlafen. Momentan muss man zu diesem Kinohighlight noch nach Jena reisen...


Fazit: Kleines, böses, intelligentes Kino. Unbedingt ansehen.



21. April 2007


Immer lebe die Sonne


„Sunshine“ klaut originell, aber vorhersehbar aus anderen Filmen


Noch immer brennt seine aufdringliche Werbung Löcher in unsere schöne weimareins-Site. Doch auch wenn „Sunshine“ ein durchaus sehenswertes Kinoerlebnis ist - zum Burner taugt er nicht.

Danny Boyle hat sich mit „The Beach“ und „28 Days later“ als verstörender Erzähler profiliert. Seine Filme waren stets ambitioniert und ungewöhnlich, bewegten sich zwar im Stil des konventionellen Erzählkinos, aber hatten immer ein interessantes Etwas, was sie aus dem Mainstream hervorhob.

Auch „Sunshine“ ist im Genre der Sci-fi-Thriller ein durchaus beachtlicher Neuzugang, auch wenn man das Gefühl hat, vieles davon schon in anderen Produktionen gesehen zu haben. Doch der Mix ist durchaus bezwingend, und lässt die spezielle Handschrift des Regisseurs erkennen.

Worum geht es? In fünfzig Jahren wird die Sonne verlöschen, und eine Raumschiffbesatzung soll mit einem Sprengsatz einen Stern im Stern entzünden (kennen wir aus „The Core“). Die achtköpfige Crew besteht aus gebrochenen Helden und geht sich ab und zu mal gegenseitig an die Gurgel (kennen wir aus „Alien“) Natürlich geht mal was Dramatisches am Raumschiff kaputt (kennen wir aus „Apollo 13“), birgt das Vorgängerschiff nicht nur Angenehmes (kennen wir aus „Even Horizon“) und der Computer macht auch nicht immer das, was er soll (kennen wir aus Kubricks „Odyssee“ und vom heimischen PC). Dazu gibt’s noch ein menschliches Alien, ein paar evolutionsphilosophische Exkurse und Anschauungsmaterial über die Macht der Temperaturen. Mit Wage- und Opfermut wird die stetig dezimierte Truppe den menschenrettenden Auftrag schließlich heldenhaft erfüllen, sonst gäbe es ja gar keinen Lichtblick im düsteren Weltenraum.

Die Darsteller agieren allesamt glaubwürdig, allen voran Cillian Murphy als zerrissener Physiker Capa, der zuletzt in dem feinen bösen Thriller „Red eye“ überzeugte. Dazu kommen atemberaubende Sonnenbilder und eine faszinierende Lichtregie. „Sunshine“ wird relativ atemlos erzählt, die Crew schlittert von einer Katastrophe in die nächste, und wird nicht nur vor physische, sondern auch harte moralische Entscheidungen gestellt. Insgesamt sind die 107 Minuten auf atemlose Spannung getrimmt, und halten den Puls am Flattern.

Dass „Sunshine“ letztendlich doch nicht zum Meilenstein der Science-fiction-Filme wird, liegt an seiner letztendlichen Vorhersehbarkeit. Obwohl die Versatzstücke durchaus originell kombiniert sind, ergibt sich letztendlich kaum Überraschendes für die Kenner des Genres.


Fazit: Sehenswertes, spannendes Kino ohne wirklich neue Akzente.



3. April 2007


Vielfältige Spurensuche im Reithaus


Von Ergebnissen und öffentlicher Wahrnehmung eines Symposiums in Weimar


In Schatten und Nachbarschaft der aktuellen Großausstellung im Weimarer Stadtschloss fand ein kleines, interdisziplinäres Treffen statt. Und es bleibt dazu festzustellen, dass sich das wahre „Ereignis Weimar“ am Wochenende im Reithaus ereignete.

Der rührige Autor und Forscher Ettore Ghibellino hatte Koryphäen aus verschiedensten Bereichen der Wissenschaften unter der ordnenden Hand von Fachfrau Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt aus Leipzig zusammengetrommelt, um seine These zu untermauern, dass Goethes große Liebe Anna Amalia galt, und Frau von Stein als öffentliche Anstandsdame fungierte. (Ghibellinos Buch hatte ich bei weimareins.de vor einem Monat besprochen.)

Während das offizielle Weimar und fast alle  ortsansässigen Medien diese These immer noch geflissentlich ignorieren, ließen sich die eingeladenen Geistesgrößen nicht von hiesig eingefahrenen Goethe-Seilschaften beirren und trugen in dreizehn spannenden Vorträgen dazu bei, die wahre Adressatin der über 1700 Liebesbriefe Goethes herauszufinden. Ghibellino hatte auf argumentative Vielfalt gesetzt.

So brachte Prof. Hubert Speidel aus Kiel die psychoanalytische Sicht auf Goethes Verhältnisse dar. (Es soll ja tatsächlich noch bei einigen Biografen des Dichtergenies die Meinung bestehen, dass Goethe erst mit 38(!) Jahren mit einer Frau geschlafen hat.) Der launige Dr. Stefan Weiß referierte sehr präzise und lebendig über die Geheimdienstarbeit im klassischen Weimar, und sparte dabei nicht mit humorvollen Verweisen auf die Gegenwart. Mit Prof. Dr. Jörg Drews hatte man einen der profiliertesten Literaturwissenschaftler Deutschlands gewonnen, welcher der Hauptthese durchaus kritische Einwände entgegensetzte, sie aber prinzipiell als richtig bestätigte.

Dr. Manfred Ludwig aus Jena skizzierte mit seiner physikalischen Beweislehre die mögliche Methodik von Forschung und Wahrheitsfindung. Und von kunst- und musikwissenschaftlicher Seite brachten Erkenntnisse über Tischbeins Stolz und Anna Amalias kompositorische Begabung wesentlich mehr Würdigendes und Erhellendes über die Person der Großherzogin, als die stattlich subventionierte Ausstellung im Stadtschloss.

Durch die Bildhauer Heinz-Georg Häusler und Ulrich Barnickel wurde das Treffen zusätzlich mit ernsthaften künstlerischen Impulsen und Vorhaben bereichert, wobei man Häusler eine Verwirklichung seiner „Säulen“ in dieser Stadt durchaus wünschen würde, um endlich wieder eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit Goethes Werk ohne billigen Eventcharakter zuzulassen.

Das abendliche Kulturprogramm konnte leider dem Anspruch der Vorträge nicht gerecht werden. Das Litera-Theater Badenweiler konnte mit der Uraufführung von „Goethe und Anna Amalia - Eine geheime Liebe“ an einigen Stellen schauspielerisch überzeugen, das Stück selbst bleibt in der Konstruktion dramaturgisch laienhaft und selbst für Insider gähnend langweilig. Ähnliches gilt für die epigonal geschwollene  Rezitation der Lyrikerin Susan-Nathanael Andersen, der zunächst einmal ein kritischer Lektor anzuraten wäre. Einzig die Darbietung mehrerer Arien aus der Feder Anna Amalias durch die Weimarer Musikerinnen Julia Martinova (Klavier) und Anna Kellnhofer (Sopran) setzte würdige Akzente.

„Wir haben ein Tor aufgestoßen“, konstatierte abschließend ein zufriedener Ghibellino. Natürlich konnte man nicht erwarten, dass zum Abschluss dieser Tagung eine endgültige Wahrheit steht. Denn zunächst muss noch in Archiven und Nachlässen geforscht werden, ob noch weitere Anhaltspunkte für die Liebe zwischen Anna Amalia und Goethe zu finden sind. Und das kostet natürlich Geld.

So liegt die These nahe, dass die offensichtliche Ignoranz der Weimarer Klassikstiftung gegenüber diesem Treffen vielleicht auch finanzielle Gründe hat. Doch auch für Außenstehende sollte klar sein, dass diese längst fällige Forschungsarbeit kein Hinterzimmerwissen für Insider erbringt, sondern das Schaffen Goethes und seine menschlichen Beweggründe erhellt und die momentan verbreitete Geschichte des klassischen Weimar zwingend neu erzählt.

Die zahlreichen Teilnehmer des Symposiums wissen natürlich um die „Mühen der Weimarer Ebene“. Doch wird sicherlich sowohl die englische Übersetzung als auch die dritte Auflage des fundiert recherchierten Ghibellino-Buches dazu beitragen den Schlaf der Weimarer Siegelbewahrer nachhaltig aufzustören.



28. März 2007


Vom Ende eines Landes und seiner Suppe


Ein neues humoristisches Buch vom altgedienten Weimarer Journalisten Bernhard Hecker


Hat es wirklich ein Ende mit der Soljanka? Oder hat es vielmehr ein Ende mit dieser unwürdigen DDR-Gastronomietradition, das „Zusammengekehrte“ des Kneipenvortags als Ersatz für die ursprünglich sehr leckere ukrainische Suppe anzubieten?

Bernhard Hecker gibt in seinem neuen Buch „Die letzten Tage der Soljanka“ dieser Frage eine untergeordnete Bedeutung. Ihm geht es eigentlich um ein vorwiegendes heiteres Protokoll der Wendetage sowie Erinnerungen an die alltäglichen Misslichkeiten der DDR. Die Unmöglichkeit, ohne Beziehungen einen Glaser zu bekommen. Die Macht, von kritisierten Kombinatsdirektoren. Die Irrfahrten bei der Hotelsuche im deutschen Sozialismus.

Die ersten, zaghaften Kollektiv-Westreisen und die Auseinandersetzung mit festgefahrenen Ideologen und westlicher Arroganz. Und letztendlich die Dokumentationen verfasster Eingaben an die Staatsorgane der DDR und die absurd gestelzten Antworten. Ein Sammelsurium eines Journalisten, dessen Herz immer dem Feuilleton zugetan war, was man im wöchentlichen Rhythmus in der Lokalausgabe der „Thüringer Allgemeine“ nachlesen kann.

Hecker ist ein Moralist, und das merkt man dem Buch auch leider an. Die Dialoge gehen oft ins stelzend Belehrende. Manche Verletzung ist noch nicht so verwunden, dass sie für das Satirische taugt, und stellenweise schaut ein schmunzelnder „Besserossi“ zwischen den Seiten hervor.

Insgesamt ist Heckers Buch durchaus lesenswert, aber es plätschert etwas lau dahin. Die wirklich kritischen Kenntnisse des Autors über alte und neue Seilschaften bleiben leider verborgen, vielleicht wollte er sich auch nicht der Macht der Anwälte aussetzen. Deutliche Anlehnungen gibt es an Kishons „beste Ehefrau“, doch die Leichtigkeit des Vorbilds weicht der Erdenschwere politischer Realität und sanfter Verbitterung.


Fazit: Leichte Nachwende-Lektüre mit zu sanftem Biss.


Bernhard Hecker „Die letzten Tage der Soljanka“, Verlag Neue Literatur, 9,90 €



24. März 2007


Fantasiereiche Freundschaft zweier Außenseiter


„Die Brücke nach Terabithia“ ist eine sensible Reise in jugendliche Fantasien


Einem wirklich guten Film für Jugendliche gelingt es meist auch, Erwachsene anzusprechen. Und so ist „Die Brücke nach Terabithia“ beileibe nicht nur dem jungen Zielpublikum zu empfehlen.

Es geht um die Geschichte zweier schulischer Außenseiter: der Junge Jesse Aaron (Josh Hutcherson), der seine Welt in Zeichnungen erfindet und das Mädchen Leslie Burke (AnnaSophia Robb), die mit überbordender Fantasie und Witz ihr Umfeld deutet. Die Freundschaft der Beiden ist nach anfänglichem Misstrauen geprägt von gegenseitiger Achtung und Inspiration und endet mit einem verhängnisvollen Unglück.

Frei vom üblichen Kitsch wird hier ein Beziehungsgeflecht zwischen Schülern, Eltern und Lehrern gezeigt, welches Konfliktstrukturen nicht scheut. Trotzdem bleibt der Erzählton locker und nah am jugendlichen Empfinden, meidet Aufgesetztes und Gekünsteltes und hält bis zum Filmende die Spannung.

Problematisch ist, dass der Film sich mit den faszinierenden Spezialeffekten bewirbt, und damit falsche Erwartungshaltungen weckt. Wer Fantasy wie „Herr der Ringe“ oder „Narnia“ erwartet, wird sicherlich enttäuscht werden. Die uneingeschränkte Altersfreigabe erweist sich zudem als Fehlentscheidung, Kinder unter sechs Jahren dürften sich mehr gruseln, als der warmherzigen und sensiblen Geschichte inhaltlich zu folgen. Letztlich hat sich auch die deutsche Synchronisation keine Lorbeeren verdient, die Stimmen der beiden Helden sind teilweise sehr steif und schlecht geführt.

Trotz allen ist „Die Brücke nach Terabithia“ ein packendes und intelligentes Kinoerlebnis, dass einen Platz im Abendprogramm souverän verteidigen könnte.



12. März 2007


Tödliche Magie


„The Prestige - Meister der Magie“ ist ein kleines Kinojuwel


Als eine der besten Kinoproduktionen des Vorjahres erwies sich „The Prestige - Meister der Magie“.  Regisseur Christopher Nolan, bekannt vor allem durch seinen genial rückwärts erzählten Krimi „Memento“, lässt diesmal zwei Zauberkünstler im Zeitalter der jungen Elektrizität zu erbitterten Rivalen werden, und schildert in verschiedenen Rückblenden ihren erbitterten Kampf um Bühne und Platzierung.

Hugh Jackman und Christian Bale geben  überzeugend die unerbittlichen Kontrahenten, die sich unter ihrem Lehrmeister (großartig: Michael Caine) wegen eines Unfalls entzweien. Es geht um Faszination, Verrat und um neue technische Welten, und irgendwann stellt sich eine attraktive Gehilfin (wieder einmal die viel beschäftigte Scarlett Johanson) zwischen die Beiden.

„The Prestige“ ist ein filmisches Meisterwerk, von dem man im Vorfeld möglichst kaum mehr wissen sollte, als diese Empfehlung. Vielleicht noch, dass David Bowie in einer Nebenrolle zu sehen ist, und dass der Schluss des Films einen echten Überraschungseffekt bietet. Eine stimmige Dramaturgie, ein außergewöhnliches Sujet und Drehbuch sowie tolle schauspielerische Leistungen lassen den Film zu einem spannenden und nachhaltigen Erlebnis werden. Zwei Oscar-Nominierungen gereichen „Prestige“ zwar zur Ehre, doch hätte der Film eigentlich noch mehr Auszeichnung verdient.



24. Februar 2007


Kartell der Ignoranz


Wie eine verbotene Liebe in Weimar noch in der Gegenwart totgeschwiegen wird


Fünf Jahre hat er akribisch recherchiert. Und er hat etwas gefunden, was bestallte Historiker bewusst oder nachlässig unterschlagen hatten. Aus dem Verdacht wurde Gewissheit, und vor vier Jahren wurden seine Recherchen in Buchform veröffentlicht. Und seitdem versucht man diese spektakulären Erkenntnisse in Weimar weitestgehend totzuschweigen.


Das Buch, von dem hier die Rede sein soll, heißt „J. W. Goethe und Anna Amalia - Eine verbotene Liebe“. Sein Verfasser Ettore Ghibellino vertritt darin die spannende These, dass die Geliebte Goethes nicht Frau von Stein, sondern Herzogin Anna Amalia war. Wenn man das Buch vorurteilsfrei liest, stellt sich relativ schnell Verblüffung darüber ein, wie diese plausible Wahrheit so lange geheim bleiben konnte.

Ghibellino recherchiert nämlich nicht nur gut, er kann das auch sehr packend niederschreiben. Es handelt sich nicht etwa um eine trockene Abhandlung, sondern um eine mit fast kriminalistischer Akribie geführte Beweiskette. So erklärt sich die bevorzugte Anstellung des bürgerlichen Goethe am Weimarer Hofe trotz intriganter Widerstände. Oder Goethes überstürzte Italienreise, welche das Resultat seines Geständnisses gegenüber Amalias Sohn Carl August war. Carl August unterband diese Liebesbeziehung sofort, da sonst eventuell sein Fürstentum kassiert worden wäre. Denn eine Verbindung zwischen einem Bürgerlichen und einer Adligen dieser Position hätte politischen Sprengstoff bedeutet. Weiterhin beschreibt das Buch Goethes und Amalias Entsagen, enthüllt die aufgegebenen Fluchtpläne nach Amerika und das letztlich platonische Verhältnis, welches durch hohe künstlerische Produktivität und eine reife menschliche Wertschätzung beider gekennzeichnet war.

Ghibellino hat einfach genauer als die bisherigen Historiker und Goetheforscher hingesehen. Und das scheint man ihm in hiesigen Akademikerkreisen nicht zu danken. Denn Ghibellino ist keine ausgewiesene Fachkraft. Der freie Autor (Jahrgang 1969) kommt von der Juristerei, studierte unter Anderem in Oxford, Tübingen und Rom. Und er beherrscht die wissenschaftlichen Werkzeuge. Er analysiert zeitgeschichtliche Gemälde und findet die Wahrheit hinter scheinbar beiläufigen Accessoires. Der „Torquato Tasso“, eines der rätselhaftesten Schauspiele Goethes, wird als Schlüsselstück enträtselt, und die geheimen Botschaften in Handzeichnungen des Staatsministers sichtbar gemacht. Insgesamt alles schlüssige Indizien, welche die Geschichte der Weimarer Klassik neu schreiben.

Dazu kommt, dass Goethe von seinem unnahbaren Sockel gehoben wird. Er wird uns in Ghibellinos Buch als fühlender Mensch nahe gebracht - entthront, aber nicht gestürzt. Und Anna Amalia wird endlich als die Lichtgestalt gewürdigt, welche das geistig wohl fruchtbarste Zeitalter Weimars ermöglichte. Eine kluge, tolerante und bis zur Selbstaufgabe disziplinierte Frau. Kein verwöhntes Fürstenmütterchen mit kulturellen Ambitionen, sondern eine gezielte Förderin kreativer Geister.

Was für ein Buch! Spannend und engagiert geschrieben, auch wenn sich manches wiederholt. Ein faszinierender Weimarkrimi mit wahrem Hintergrund. Und Weimar verschläft das! Es ist einfach so unglaublich wie leider wahr. Man hat das Gefühl, dass hier, um mit Christian Morgenstern zu sprechen: „nicht sein kann, was nicht sein darf“.

Da schreibt ein sonst geschätzter Journalist in der auflagenstärksten Thüringer Tageszeitung eine billige Polemik, bei der nicht mal im Ansatz eine Auseinandersetzung mit den Thesen des Buches stattfindet, sondern Ghibellino eher als spinnerter Tausendsassa belächelt wird. („Keiner hat’s gesehn“ in der „Thüringer Allgemeine“ vom 19. 4. 2003) Da wird von der Stiftung Weimarer Klassik ein „Anna-Amalia-Jahr“ offeriert, welches sich nicht im Mindesten um Ghibellinos spektakuläre Erkenntnisse schert. Da verschenkt ein von Eitelkeiten geprägtes Kunstfest die Chance, mit dieser Thematik einer heimlichen Liebe weltweit Touristen zu locken. Die aktuelle „Tasso“-Inszenierung des Deutschen Nationaltheaters schert sich keinen Deut um Ghibellinos Thesen, ergeht sich lieber in künstlerischem Manierismus. Und die hiesigen Goetheaner scheinen besorgter um ihre Reputation, als der historischen Wahrheit die längst verdiente Chance zu geben. Selbst wenn man einräumen sollte, dass die Liebe zwischen Goethe und Amalia nur ein Hirngespinst wäre, so könnte man doch wenigstens erwarten, dass man diese gut belegte These wenigstens einmal diskutiert.

Fazit: Nicht Ghibellinos Buch, sondern die gegenwärtige Rezeption sind der Skandal. Deshalb sei die Lektüre dringend anempfohlen, um den Schlaf der gegenwärtigen Weimarfürsten wenigstens intellektuell zu unterwandern.



Ettore Ghibellino „J. W. Goethe und Anna Amalia - Eine verbotene Liebe“, 2. stark erweiterte Auflage, Weimar 2004, A. J.  Denkena Verlag, Weimar, 368 Seiten, 19,90 €



17. Februar 2007


Kinotipps Februar 2007



Zwischen großem Gefühlskino, realistischem Kriegsbild und psychologisierendem Täterprofil bietet der Februar der Kinolandschaft wieder große Bandbreiten.


Er ist wieder da, der Hannibal Lecter. Und diesmal erzählt Peter Webber, der sich mit dem wunderbaren „Mädchen mit dem Perlenohrring“ einen Platz im kollektiven Kinogedächtnis verdiente, die Vorgeschichte des feingeistigen Kannibalen. Um es kurz zu machen: wer wie ich das Buch vorher gelesen hat, dem wird „Hannibal Rising - Wie alles begann“ wie eine kluge Illustration vorkommen. Die Spannungselemente erschöpfen sich meist schon deshalb, weil man ja um das Überleben Lecters weiß.

Herausgekommen ist eine mit edler Optik versehene Rachegeschichte, dessen Held, diabolisch gespielt von Gaspard Ulliel durch ein Kindheitstrauma zum Monster wird. Leider erliegt auch Webber der Faszination Lecters, sodass der Film mehr die schlächterischen Aspekte betont, als sich auch auf den Feingeist zu konzentrieren. Lecters rätselhafte Tante, gespielt von Gong Li, sieht eigentlich immer nur anmutig fatalistisch drein, und kann den Appetit des Neffen nicht bremsen. Gutes Konfektionskino, keine Überraschungen.


Fazit: kann man ansehen, muss man aber nicht



Die vorjährige Berlinale barg so manches kleine Filmjuwel, eines davon ist „Snow Cake“. Der verschlossene Alex (Alan Rickman) nimmt an einer Raststätte eine quirlige Anhalterin mit, die wenig später in seinem Auto durch einen Unfall stirbt. Alex ist zwar am Geschehen unschuldig, fühlt sich aber verpflichtet, der Mutter Linda (Sigourney Weaver) die Todesnachricht zu überbringen. Doch Linda ist eine Autistin...

Was sich hier unter der Regie von Marc Evans entspinnt, ist zunächst einmal großes Schauspielerkino. Rickman ist mal nicht der Bösewicht vom Dienst und darf seine sensiblen Seiten ausspielen. Weaver hat einen faszinierenden Mut zur Schlichtheit und Carrie-Anne Moss darf als lebenskluge Nachbarin Maggie mehr, als mit Neo durch die Matrix zu wirbeln.

Zudem ist der originelle Plot an keiner Stelle zu schmalzig, und zeigt intelligentes Gefühlskino mit überraschenden Wendungen. Die sanfte Musik von „Broken-Social-Scene“ tut ein Übriges, dass man sich eventueller Taschentücher nicht zu schämen braucht.


Fazit: sehr empfehlenswert



Zugegeben: Kriegsfilme sind eigentlich nicht so mein Ding. Doch da bei „Flags of our fathers“ der Regisseur Clint Eastwood heißt, kann man anderes erwarten. Und das bekommt man auch.

Eastwood erzählt vorrangig die Geschichte eines Fotos, welches bei der amerikanischen Eroberung der Pazifikinsel Iwo Jima im Jahre 1945 entstand. Im Kampf gegen die Japaner wird dieses Bild als Symbol eines Sieges, als Heldendenkmal verkauft. Die zynische Rechnung der amerikanischen Militärs geht zwar auf, doch Eastwood entzaubert präzise und ohne Zeigefinger den Mythos. Der Film zeigt mit schneller Handkamera und zwingender Totale die Schrecken des Krieges. Spätestens, wenn der erste Rekrut beim Jubel ertrinkt, wird aus dem Soldatengeplänkel bitterer Ernst. John (Ryan Phillippe), Rene (Jesse Bradford) und Ira (Adam Beach) die drei GIs aus dem Foto, die Iwo Jima überlebten, sollen an der Heimatfront für Kriegsanleihen werben, doch sie werden auch hier an der amerikanischen Realität scheitern. Ein berührender Film, dessen Pendant „Letters from Iwo Jima“, der das Geschehen dann aus japanischer Sicht erzählt, ein Oscar-Kandidat werden könnte.


Fazit: Sehenswert, berührend, aber nicht überwältigend.



4. Februar 2007


Musik für die Seele


Der Mitteldeutsche Rundfunk bot mit „Briten und Meer“ ein faszinierendes New-Classics-Konzert in der Weimarhalle


Was seit ein paar Jahren als „Moderne Klassik“ oder „New Classics“ durch verschiedene Radiosender und Chill-out-Programme geistert, hält nun endlich Einzug in die mitteldeutschen Konzertsäle. Obwohl man der Weimarhalle am späten Samstagnachmittag noch mehr Besucher gewünscht hätte, blieb letztlich ein überwältigender Konzerteindruck.

„Briten und Meer“ hieß das Motto, und wurde vereinzelt in Weimar durch ein intelligentes und witziges Plakat angekündigt. Hinter dem dritten Konzert der Reihe „Zauber der Musik“, dargeboten vom mdr-Sinfonieorchester und mdr-Rundfunkchor sowie Solisten unter dem Dirigat von Howard Arman, verbarg sich eine Begegnung mit zwei englischen Komponisten, die leider in unseren Breiten noch weitestgehend unbekannt sind: Gustav Holst (1874-1934) und Ralph Vaughan Williams (1872-1958)

Sicher hat die Weimarer Staatskapelle auch beim Neujahrskonzert ein Stück von Williams gespielt, und vereinzelt tauchen auch Holst „Planeten“ im Spielplan auf. Aber am Samstag war den Komponisten endlich ein ganzes Konzert gewidmet. Eröffnet wurde mit Holst „The ballet from the perfect fool“, einem frischen Aufmacher mit viel Raffinesse in der Orchestrierung. Und schon hier merkte man, wie viele aktuelle Soundtracks von dieser Art Musik zehren, die so gar nichts mit Zwölftönern oder experimenteller Elektronik zu tun hat, sondern ziemlich eindringlich emotionale Zustände illustriert und auf tonale Wirkung setzt. Darüber haben die Klassik-Puristen und Neutöner ziemlich lange und verächtlich die Nase gerümpft, aber letztlich setzt sich Qualität eben doch durch.

Der finnische Bariton Tommi Hakala hatte deswegen auch leichtes Spiel, mit den „Fünf mystischen Gesängen“ von Ralph Vaughan Williams das Publikum zu erobern. Die rund 150 Zuschauer waren sichtlich ergriffen von dem intensiven Zusammenspiel von Orchester und Solisten, hauptsächlich aber von dieser Art gefühlvoller Musik fasziniert. Wer beispielsweise die Filmmusiken von „Herr der Ringe“ oder „Awakenings“ mag, der wird es sicherlich bedauern, dieses Konzert verpasst zu haben.

Höhepunkt des Abends war zweifellos die Aufführung der „A sea simphony“ von Ralph Vaughan Williams, seinem ersten chorsinfonischen Werk aus dem Jahre 1910. Verbunden mit der romantischen und tiefsinnig spirituellen Lyrik Walt Whitmans, die in dem sehr informativen Programmheft als Original und Übersetzung vorlag, gelang den Musikern eine derart geschlossene und eindrucksvolle Interpretationen, dass manche Zuhörer sich verstohlen eine Träne aus den Augenwinkeln wischten. Sopranistin Geraldine McGreevy fügte sich ebenso wie Tommi Hakala perfekt in die Ensembleleistung ein. Hier gab es kein Startheater sondern ein tiefes Erleben einer Musik, die viel öfter den Weg in unsere Konzertsäle finden sollte.

Trotz meines überschwänglichen, aber verdienten Lobes für diesen Konzertnachmittag, gab es allerdings auch ein paar Punkte in der Präsentation, die empfindlich störten bzw. ein Überdenken fordern.

Erstens wäre da die sehr gewöhnungsbedürftige Anfangszeit (17 Uhr) zu nennen. Auch wenn das Programm am nächsten Tag in Leipzig um 11 Uhr bei einer Matinee noch einmal gegeben wurde: wer plant so etwas? Warum verlassen die Orchestermusiker beim Schlussapplaus die Bühne, als ob sie ihren Bus nicht erreichen könnten? Bei allem Verständnis für eventuelle gewerkschaftliche Erwägungen: das Konzert war keine öffentliche Probe.

Zweitens: Die Gestaltung der Weimarhalle war bei diesem Konzert völlig unangemessen. Nicht ein einziger Blumenschmuck, geschweige denn eine adäquate Bühnengestaltung hoben die nervende Sachlichkeit des Saales auf. Und weder der Dirigent, noch die Solisten bekamen einen Strauß überreicht, obwohl sie das mehr als verdient hatten.

Letztlich wäre bei solcherart bildhafter Musik überlegenswert, ob eine multimediale Darbietung den Eindruck steigert. Bei der architektonischen Nüchternheit der Weimarhalle sollte man sich über das Visuelle durchaus mal Gedanken machen. Ich meine damit keine billige Lasershow, sondern beispielsweise eine sparsame, aber effektvolle Ergänzung per Dia mit inhaltlich passenden Gemälden der Epoche. Wenn man die Konzertsäle wieder mehr füllen möchte, wäre dies sicher ein effektiver Weg. Solch lieblos nüchterne Präsentation hatte das Konzert jedenfalls nicht verdient.


Fazit: Ein Musikerlebnis, welches noch lange nachwirkt, aber Potenzen bei der Präsentation offen legte.


29. Januar 2007


Kinotipps Januar 2007


In dieser Woche läuft in Weimars Kinos unter anderem „Babel“, „The Queen“ und „Mein Führer“. Ich sage Euch, welcher Film sich lohnt.


„Babel“ von Alejandro González Iñárritu wird schon als Oscar-Anwärter gehandelt, obwohl er das nicht so ganz verdient hat. Denn Iñárritu hat diesen Film eigentlich schon mal gedreht, da hieß er „21 Gramm“ und war ähnlich eindrucksvoll. Denn der Regisseur erzählt in beiden Streifen eine verschränkte Geschichte, die sich allerdings bei „Babel“ aufs Globale ausdehnt.

Drei Kontinente, drei Handlungsstränge verknüpfen sich ineinander, Auslöser ist ein kindliches Spiel mit einem Gewehr, mit dem quasi zufällig eine amerikanische Touristin fast getötet wird. Cate Blanchett spielt dieses Opfer, welches durch diesen Schicksalsschlag wieder behutsam zu ihrem Mann (Brad Pitt) findet.

Wer bei diesen Namen Starkino erwartet, wird enttäuscht werden. Iñárritu inszeniert die Episoden eher als präzise Kammerspiele. Das taube asiatische Mädchen, dass trotz Wohnstandskulisse keine sexuelle Erfüllung findet, die restriktive Einwanderungspolitik Amerikas, die eine mexikanische Kinderfrau trifft - all das wird sensibel beobachtet und verwoben und durch die eindringliche Musik Gustavo Santaolallas emotional gestützt.


Fazit: Sehr empfehlenswert.


„Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ ist ein absolut peinlicher und unnötiger Film. Dani Levy hat nach seinem „Alles auf Zucker“-Erfolg sein eigenes Drehbuch verfilmt. Während das Feuilleton noch darüber rätselte, wie politisch korrekt man über Hitler lachen dürfe, stellt sich für mich eher die Frage, warum man so etwas überhaupt verfilmen muss.

Die Grundidee ist ebenso simpel wie gestelzt: Hitler hat in den letzten Kriegsjahren den Burnout, und soll von seinem ehemaligen Sprachlehrer, dem Juden Grünbaum wieder motiviert werden. Helge Schneider gibt den Hitler klamaukig und sprachlich karikierend als fast bemitleidenswerten, dummen Machtmenschen, den Grünbaum (Ulrich Mühe) fast unter seine Fittiche nehmen muss.

Levy treibt mit Entsetzen Scherz, und selbst als Komödie funktioniert der Film nicht -  zu knallchargenhaft agieren Hitlers Untergebene. Einzig Sylvester Groth liefert eine großartige Goebbels-Parodie, diesen Schauspieler sollte man viel öfter besetzen. Mühe spielt mal wieder sich selbst als hypersensiblen Möchtegernclown, und Helge Schneider wirkt in dieser Rolle eher spektakulär als anarchisch. So bleibt nervende Holzhammerkomik, die einer historischen Parodie nicht mal im Ansatz gerecht wird.


Fazit: Nicht empfehlenswert



Im Gegensatz zu „Mein Führer“ zeigt „Die Queen“, wie man einen sensiblen, intelligenten Film drehen kann. Regisseur Stephen Frears nahm das Verhalten der englischen Königsfamilie und des Politikers Blair zum Tod von Diana zum Anlass, um daraus eine seht feinsinnige Medienkritik zu entwickeln. Faszinierend ist dabei, dass Frears sich über keine seiner Figuren lächerlich macht, und trotzdem durchaus komische Momente zulässt. „Die Queen“ ist kein Film der schnellen Schnitte. Er ergründet seine Protagonisten mit feinen Gesten, hinterfragt leise die höfische Etikette und ihren Bestand in unserer Gegenwart. Helen Mirren spielt die Königin so überragend, dass sie sicher dafür einen Oscar verdient. Wer sich für das englische Adelshaus nicht interessiert, wird trotzdem sein Vergnügen an dem Film haben, da er auch manche politische Entscheidungen im Medienzeitalter transparenter macht, und zeigt, dass es für private Trauer keinen Platz gibt. Eine der Spitzenszenen ist für mich die Stelle, bei der anlässlich der Rede von Dianas Bruder anlässlich ihrer Beerdigung geklatscht wird - deutlicher kann man die mediale Vermarktung von Dianas Tod kaum anklagen.

Alexandre Desplat (vielen bekannt mit der Musik zu „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“) liefert bei „Die Queen“ einen sehr zurückhaltenden und intelligenten Soundtrack. Schon alleine deshalb, aber nicht nur deswegen ist der Film für Freunde der feinen Nuancen ein Muss.


Fazit: Sehr empfehlenswert



28. Januar 2007


Lebendige Tiere und Volksmusik


Der „Bauernhofer Obermarkt“ in Tiefurt war eine liebevoll gestaltete Genreparodie



Alle Jahre wieder lädt ein kleines, engagiertes Team von Radio Lotte zu einer gestalteten Party ein. Ohne öffentliche Werbung, allein durch Mund-zu-Mund-Propaganda wird der Termin samt Thema verbreitet. Am Samstag ging es in der Musikscheune des Cafes am Schlosspark in Tiefurt zünftig zum „Bauernhofer Obermarkt“.

Vor dem Einlass mussten die rund 120 Gäste einige Prüfungen absolvieren: echte Ziegen streicheln, Nägel in einen Baumstamm schlagen, Gummipfeile auf Hirschdarts schießen und lebendige Gänse mit Ringen versehen. Bezahlt wurde mit Knöpfen, für die man deftige Küche, Glühwein und gefüllte Ehringsdorfer Bierseidel erwerben konnte, wobei das Preisniveau ziemlich heftig oben ansiedelte.

Axel Thielmann vom mdr führte mit Gamsledernen und sichtlicher Freude durch das Volksmusikprogramm, bei dem unter anderem die „Ehringsdorfer Musikanten“ und das Team um Udo Hemmann mitwirkten. Letztere animierten das heiter motivierte Publikum auch zum Absingen von Volksmusikhits wie dem „Rennsteiglied“ und dem „Gelben Wagen“ bis dann gegen Mitternacht die gewohnten Lotte-Töne die Tanzfläche füllten.

Anerkennenswert ist bei dieser Art „Lotte-Partys“ immer wieder die liebevolle und originelle Gestaltung der Events und die gute Organisation. Trotz allem scheint sich die kultige Idee mit den Jahren aber langsam totzulaufen, denn es kam weitaus weniger Publikum als erwartet. Auch das Team des lokalen Radiosenders glänzte weitestgehend durch Abwesenheit; vielleicht löste das Thema ja auch einige Berührungsängste aus.

Insgesamt eine liebevoll gestaltete Genreparodie und Spaßparty, die um 3.30 in den Morgenstunden ihren Abschluss fand.



25. Januar 2007


Zeitzeugen der Anklage

„Amoklauf ein Kinderspiel“ thematisiert Beweggründe für Schulmassaker


Man will es verstehen, weshalb da plötzlich ein Schüler mit der Pumpgun Lehrer und Klassenkameraden erschießt. Und warum man vorher nichts ahnen wollte. Und inwieweit Eltern, Lehrer und Gesellschaft daran eine Schuld tragen.
Mit dem Stück „Amoklauf mein Kinderspiel“ von Thomas Freyer begibt sich das DNT Weimar auf eine Spurensuche, ohne wirklich Antworten zu finden.
Regisseur Tilmann Köhler setzt überwiegend einfallsreich drei jugendliche Akteure in Szene, die ihre Leidensgeschichte spielerisch und in rasantem Rollenwechsel erzählen, herausschreien und karikieren. Autoaggression, Bulimie und halbstarkes Faschogebaren sind hier symptomatischer Ausdruck einer ratlosen, unbehausten Jugend, die zwischen konsumgeilen Eltern und egoistischen Lehrern langsam zermahlen wird.
Das Stück ist ein Aufschrei, ein Ausbruch aus der Sprachlosigkeit, und insofern erreicht es ein jugendliches Zielpublikum. Die schnelle Inszenierungsform, das intensive Spiel von Elisabeth Heckel (E), Cornelia Rosenkranz (C) und Thomas Braungardt (T und die Entdeckung des Abends durch seine Wandelfähigkeit) garantieren Aufmerksamkeit und Emotionalität des Publikums. Doch spätestens bei dem überstrapazierten Ensemblesprechen bleibt nur eine Anklagehaltung, und keine tiefer gehende Diagnose. Weshalb beispielsweise die autoaggressive „E“ plötzlich Mordphantasien entwickelt bleibt ebenso unerklärt wie die Behauptung des Stücks, dass die fiktiv grausam rebellierenden Schüler keine einzige positive Bezugsperson bei den Lehrern finden.
Diese Schwarzmalerei gerät dadurch zu subjektiv und ist letztlich weder durch Verlauf noch Figurenentwicklung überraschend. Insofern kann man dem Regisseur und seinem Ensemble nur bescheinigen, das Beste aus der Vorlage herausgeholt zu haben. Fazit: Eine intensiv anklagende Theaterstunde, der viel jugendliches Publikum zu wünschen wäre.

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