Tagebuch von Matthias Huth 2003

 

25. Dezember 2003

Versteckt an Orten, wo man es kaum glaubt, findet man Weihnachtswärme und ein wahres Ostgefühl:

Türkisgrüne Herzen

Im Grunde sind sie Romantiker. Sie zollen ihrer Musik Respekt, tragen typischen Türkisschmuck, sprengen Klischees und feiern die Countryweihnacht so unverkrampft, dass jede Rezessionsangst absurd erscheint. Die Fans bilden eine eingeschworene und weltoffene Gemeinde, die sich schon vor der Wende in Apolda organisierte und am Donnerstagabend zum fünften Mal in der örtlichen Stadthalle traf. Unabhängig von institutioneller Förderung hat sich eine thüringenweite, durch mehr als zwanzig Clubs vertretene Szene etabliert, die mit variationsreichem Linedance, kreativem Brauchtum und jenseits von Volkstümelei konkurrenzfrei und gesellig zusammenfindet.
Eingeladen von dem Verein "Big Seven" aus Weimar überstieg die Nachfrage zur Countryweihnacht schon vor einem Monat weit die 240 Plätze. Unverständlich, warum die Stadthallenleitung nicht flexibler reagierte, und unbesetzte Ränge freigab.
Als Livebeitrag spielte das Duo "Diesel" handwerklich solide die Klassiker des Genres und kombinierte Bob-Dylan-Songs mit gängigen Countryriffs. Witzige Mitgliedsbeiträge und die "Blues brothers"-Imitation des Apoldaer Faschingsclubs wurden begeistert aufgenommen, ebenso erinnerte man sich mit dem countryspezialisierten Diskotheker Rüdiger Görmar tanzend an die Verluste Johnny Cash und Dave Dudley. Der Geist der Weihnacht ließ sich an diesem Countryabend eher finden als bei mancher Kirchenpflichtveranstaltung.


8. Dezember 2003

Geschafft: der Adventsmarkt im Bienenmuseum, für mich der schönste Markt vor Weihnachten in der Region, hat nach der Zwangspause im letzten Jahr wieder viele Leute angezogen. Zwar ist meine Weihnachtsmannrolle recht anstrengend aber die strahlenden Kinderaugen und die witzelnden Erwachsenen sind den Stress wert. Und mein Engelchen Simone ist schon für nächstes Jahr wieder gebucht, nicht nur wegen ihrer echten Engelslocken. Auch einen lieben Gruß an die Händler, Herzdamen und die unermüdlichen Organisatoren: Eure Arbeit lässt Weimar mal von einer angenehmeren Seite wirken. Übrigens: von der allgemeinen Depression der Stadt war dort nichts zu spüren...



5. Dezember 2003


Der mit Weimar übermächtig verbundene Goethe lässt im zweiten Teil seines Faust eine Vision mit den Worten beginnen "Ein Sumpf zieht am Gebirge hin". Nach Recherche für nachfolgenden Radio-Lotte-Kommentar bin ich versucht zu persiflieren: "Ein Sumpf zieht unter Weimar durch", denn die Nachfragen förderten wieder einmal ein Geflecht aus Kungelei, Machtgerangel und Lüge zutage...

Spiegelzeltplatzgenehmigungen

Jedes Jahr steht ein Zelt im Schwarzwald und zieht viele Leute an. Es ist Bestandteil und Ergebnis der Freiburger Kleinkunstmesse und serviert dem mittlerweile eingeschworenem Publikum einen schmackhaften Überblick der Leistungsfähigkeit des Genres.
Insofern empfand ich das nach Weimar importierte Spiegelzelt als eigentliche Innovation des diesjährigen Kunstfestes. Es gab zwischen "Malediva" bis Ernst Kahl fast alles, was in dieser kreativen Szene Rang und Namen hatte, und es war auch allabendlich ausverkauft. Sicher, die Vision eines Kommunikationszentrums hat es nicht erfüllt, aber bitte: wir sind in Weimar!!!
Ein weiterer Import, die Wagner-Enkelin Nike hielt diese gute Idee für ihre eigene lisztige Version des nächsten Kunstfestes für nicht verwertbar. Sie will eben alles neu auf alt machen, da stören diesjährige erfolgreiche Weggefährten wie beispielsweise das Designerbüro "Goldwiege" nur. Weg mit den Zebras, wir sind mit Koffer jederzeit abreisebereit!
Es ist dem Wirken des Kulturdienstes Weimar zu danken, dass das Spiegelzelt trotzdem im nächsten Sommer am Beethovenplatz seine temporäre Heimstatt findet. Das finde ich sehr gut: Erstens weil wir hier kleinkunstmäßig immer noch auf einem Eiland leben, zweitens weil ein Vergleich für hiesige Künstler dieser Art sehr brauchbar ist und drittens weil dann eventuell ebendiese hiesigen Künstler eine zusätzliche attraktive Auftrittsfläche bekommen.
Nun ist der Kulturdienst keine Einrichtung der Wohlfahrt, das sind Kulturmanager mit Sinn für das Geschäftliche, was ja gute Kunst nicht zwangsläufig ausschließen muss. Dass die sich natürlich auch an regionale Unternehmen wenden, ist logische Konsequenz und schmälert nebenbei gesagt nicht den Förderetat des Kunstfestes wagnerscher Prägung. Zudem eignet sich das Spiegelzelt ideal für betriebliche Treffs mit künstlerischem Ambiente, also why not?
Nun meint eine Lokalzeitung marktwirtschaftliche Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, und konstruiert aus besagter Initiative sofort eine Konkurrenz zum Kunstfest. Nike Wagner, heißt es, sei "not amused", so wie Königinnen eben denken. Und Germer macht was er am Besten kann: er beschwichtigt.
Doch die landeszeitliche Kampagne zielt scharf am Kern des Problems vorbei. Denn Weimar braucht dringend eine nichtinstitutionelle Kultur, welche die wirklich Interessierten anspruchsvoll zurückerobert, alles Andere haben wir vorerst zur Genüge. Und Nike Wagner ist eigentlich hierher geholt worden, um mit ihrer Strahlkraft neue Sponsoren zu erleuchten, insofern bangte sie hier wohl um einen zuverlässig bereitgestellten Salve-Topf anstatt auf Skoda zu bauen und weitere neue Quellen zu erschließen. Inzwischen steht das Salve-Forum mittels Beschwörung in Treue fest, vielleicht wachsen dem Skoda in weiteren Ausleuchtungen auch noch Mercedes-Sterne.
Von Strahlkraft und Souveränität zeugt Nike Wagners Reaktion zumindest nicht. Eher von der Angst, das Schlusslicht in der Hand zu halten.
Übrigens: Der Angriffsfokus contra Spiegelzelt hat noch einen viel pikanteren politischen Hintergrund. Dazu vielleicht ein anderes Mal...



4. Dezember 2003

Krimineller Startschuss

Nächtliche Nebel bildeten eine ideale Kulisse für die drei "Mörderischen Tage" am Wochenanfang in Weimar die zwei Lesungen in der örtlichen Stadtbücherei mit einem Krimi-Seminar und einer Schreibwerkstatt verbanden. Die pfiffige Idee von Marc de Jong Bildungsreferent für Europäische Politik & Kultur an der EJBW fand zwar nicht die gehoffte Resonanz und man blieb bei den öffentlichen Lesungen weitestgehend unter sich. Doch die siebzehn Seminarteilnehmer aus allen Ecken Deutschlands, meist Studenten und eingefleischte Fans des Genres ließen sich nicht entmutigen sondern anregen, und schufen in den drei Tagen nach Vorgabe kleine Kurzkrimis vor Weimarer Kulisse, die in wenigen Monaten, beratend redigiert von gestandenen Autoren, auf der Internetseite des EJBW erscheinen werden. "Wichtig war uns die Wiederentdeckung der klassischen Krimiautoren und das Aufspüren von Nischen. Lokale Krimis liegen momentan gerade in Deutschland im Trend", so de Jong. Das stellte am ersten Leseabend Jürgen Ehlers unter Beweis, der mit genauer Beobachtungsgabe seine ostfriesische Heimat zum authentischen Hintergrund erwählte. Hartmut Mechtel konnte dagegen am Folgeabend nicht überzeugen. Seine 1997 begonnene Trilogie um das mysteriöse Doppelleben seines Helden Martin Parr konnte zwar mit dem ersten Band "Der unsichtbare Zweite" den renommierten Glauser-Preis als bester deutschsprachiger Krimi erringen, doch kann er sich in sprachlichem Witz und Konstruktion kaum mit Jakob Arjouni oder Thea Dorn messen. Im Frühherbst 2004 wird es in Zusammenarbeit mit der Thalia-Buchhandlung eine Fortsetzung des Seminars mit dem Schwerpunkt europäischer Krimi geben, bei der sich de Jong Prominente der Zunft erhofft. Die motivierten Teilnehmer jedenfalls wollen sich bis zum nächsten Mal als eifrige Mundpropagandisten betätigen.


1. Dezember 2003

Katz und Tiger

Es ist ein kindgerechtes Spiel, welches im D.A.S. Jugendtheater am Weimarer Bahnhof die Geschichte einer erfolgreichen Eigensinnigkeit erzählt. Regisseurin Anna Fülle inszeniert Horst Havemanns "Katze" als undidaktisches Lehrstück mit vielen Wechseln und nicht immer stringenten Handlungsläufen. Sie hat die jungen Darsteller im Schnellkurs in der Kunst der Puppenführung unterwiesen sodass mit offener Spielweise die Fabel- mit der Menschenwelt verflochten wird. Das meistert die spielfreudige neunköpfige Gruppe recht gut, da die Rollen geschickt nach darstellerischen Fähigkeiten verteilt wurden. Die Katze, kokett gespielt von Julia Hemkes, steht als Synonym für intelligenten Beharrungswillen. Ob das die avisierte kindliche Zielgruppe so verstehen wird, sei dahingestellt. Das Auditorium folgt gespannt den fantasiereichen Bühnenwechseln (Wiebke Kraft) sowie dem intelligenten Kampf gegen den angemessen bösen Tiger (Sebastian Göring). Unkompliziert werden die kleinen und großen Zuschauer zum Mitagieren animiert und es kommt in der anregenden Stunde keine Langeweile auf. Sicher muss noch am sprachlichen Duktus des Ensembles schwer gearbeitet werden, doch für einen Anfang ist die "Katze" viel versprechend und erfrischend locker.



10. November 2003


Es gibt Termine, welche die Seele erfreuen. Freunde, die ihr noch nicht in Bad Sulza gewesen seid, holt das schnellstens nach. Es lässt neue Dimensionen der Musik erfahren und ist erholsamse Oase jenseits der Tagesmühen...

Sinnlich definierte Entwicklungspole

Sie ist mittlerweile ein anspruchsvoller Wallfahrtsort für Ruhe- und Sinnsuchende geworden, wie über fünftausend Besucher am vergangenen Wochenende beim "Liquid Sound-Festival" eindrucksvoll unter Beweis stellten. Die Toskana-Therme Bad Sulza hat sich erfolgreich der konzeptionellen und technologischen Verbindung von Musik und Wasser zugewendet, damit viele kreative Künstler gelockt und mittlerweile zwei CD-Produktionen geschaffen. Das Festival feierte das zehnjährige Bestehen der Liquid Sound-Veranstaltungsreihe und zeigte am Sonntagabend abschließend mit zwei Live-Ensembles musikalisch differenzierte Pole dieser Talenteschmiede auf.
"Tau", ein Kölner Trio, welches sich in der Therme vor zwei Jahren anlässlich einer Session formiert hatte, verbindet mediterrane und indische Folklore mit elektronisch erzeugten Rhythmen und Klangflächen. Dominierend bleiben dabei Naturinstrumente. Multiinstrumentalist Thomas Kagermann (v, fl, perc, keyb), Sängerin und Saxophonistin Andrea Saphira und Bassist und Programmierer Urs Fuchs präsentierten die Symbiose fernab von seelenlosen Chillout-Sequenzen, überzeugten vor allem durch ausgewogenen Satzgesang und durchdachter Dramaturgie, die dem Rhythmus des Elements Wasser kongenial Rechnung trug.
Das Berliner Trio "Liquid Soul" mit dem Saxophonisten Gerd Anklam, Tänzerin Beate Gatscha an der glasharfenähnlichen Wasserstichorgel und Percussionist Uli Moritz hatte sich zum Festival-Anlass mit dem Thüringer Gitarristen Falk Zenker sowie den kanadischen Sängerinnen Rebecca Bain und Tarquinia Hill erweitert. Das Ensemble suchte seine Wurzeln in polyrhythmischen Strukturen und spiritueller Musik ohne elektronisches Beiwerk. Reduziert auf die wesentliche musikalische Aussage steht nicht die Virtuosität sondern das konzentrierte Zusammenspiel innerhalb einfacher Harmoniefelder im Vordergrund, eine Art seelischer Improvisation.
Die Übertragung unter Wasser öffnet dem Hörer neue Dimensionen der Musik. Sie wird zum ganzheitlichen Erlebnis ohne in esoterische Oberflächlichkeiten aufzutauchen, ein sinnliches intensives Erlebnis welches zusammen mit den meditativen, surrealistischen Lichtinstallationen Tina Zimmermanns weit über den Horizont üblicher Konzerte hinausreicht.
Somit bleibt das Liquid-Sound-Festival unter der engagierten Hand Micky Remanns eine etablierte und kreative Basis und eines der wenigen Projekte, welcher die Zukunft in Thüringen mit internationaler Ausstrahlung gesichert scheint.


Manchmal wünscht man guten Musikern einfach bessere Programme. Beispielsweise nachfolgendem Ensemble...

Richtungslos

Wo wollten sie denn nun eigentlich hin? Diese Frage stellte sich während des Premierenprogramms "Wir wollen nach oben", der neuesten Produktion vom Salonorchesters Weimar, permanent. Hohe Erwartungshaltungen und ebensolcher Sympathiebonus des zahlreichen Publikums schlugen den sieben Musikern am Freitagabend im Weimarer mon ami entgegen. Das hatten sie sich redlich verdient, nach dem umjubelten "Rühmann"-Projekt und dem Erfolgsprogramm des Sängers im Duo "Pirsch und Balz" sowie der stilgerechten und humorvollen Darbietung von Salonmusik der zwanziger Jahre bei diversen Tanzbällen. Nun hatte sich das Ensemble vorgenommen, sich als Musikkabarett zu emanzipieren, engagierte sich zu diesem Zweck den schauspielernden Regisseur Tobias Lehmann aus Leipzig und probte in kürzester Zeit nach gemeinsamer Ideenfindung das neue Programm zusammen. Lehmanns Aufgabe wäre es gewesen, die vorhandenen Potenzen des Septetts zu bündeln und dem Programm eine dramaturgische Richtung zu geben. Das ist nicht passiert, stattdessen zerfaserte das Konglomerat aus exzellent arrangierten Popstandards (Clemens Rynkowsky) von Karel Gott bis Gloria Gaynor, hintersinnigen Worttiraden und den ebenso skurrilen wie verschmitzten Interpretationen des Leadsängers Boris Raderschatt im ziellosen Niemandsland. Das war entscheidendes Manko. Trotz vereinzelten Höhepunkten mit Eislerschem Liedgut, Hollaenders "Nachtgespenst" oder Michael Jacksons "Earthsong" schienen die ohne erkennbaren Sinn uniformierten Orchestermusiker zudem mit den darstellerischen Nebenaufgaben überfordert. So blieb bei verdientem Sympathieapplaus leider das zwiespältige Gefühl, das hier ein exzellentes Ensemble für die neuen Ufer ein seetauglicheres Schiff gebraucht hätte.


6. November 2003

Leise Präzision

Das kritischste Publikum sind die Workshopschüler. Das traditionelle Dozentenkonzert der Jazzmeile der Weimarer Musikhochschule war von ebendiesem Fachpublikum besetzt und ließ sich mühelos von dem Lehrerquartett erobern. Konzentrierter, kammermusikalischer Jazz wurde durch herausragende Solisten geboten, die sich nicht gegeneinander ausspielten sondern musikantisch sensibel aufeinander zugingen.
Zwar traute sich das Auditorium im strengen Fürstensaal-Rahmen vor gespannter Aufmerksamkeit nach den außergewöhnlich kreativen Chorussen kaum zu klatschen, doch das tat dem Hörvergnügen keinen Abbruch.
Energievoller Mittelpunkt der Formation war die Jazzvokalistin Jay Clayton, die mit komplizierter Themenarbeit und vielfältigen Scatimprovisationen bestach. Ihr zur Seite standen der einfallsreiche Posaunist Ed Neumeister, Schlagzeuger Jerry Granelli mit Witz und äußerst filigraner Rhythmusarbeit und die eigentliche Überraschung des Abends: der Gitarrist Christian Koegel. Sein Chorusspiel ist ein Genuss, der sich aus virtuoser Akkordarbeit und atemberaubender Intensität speist, es ist als hätten sich Scofield und Abercrombie auf seiner Gitarre vereint. Kennzeichnend für das Konzert war die konzentrierte Dynamik zwischen leisen Passagen und sparsamer Expressivität sowie die spannungsvolle Präzision, mit dem die Standards von McCoy Tyner und Kenny Baron hinterfragt wurden. Fazit: Hoher Anspruch im Meisterformat und gleichzeitig unakademischer Jazz.


3. November 2003

Drei Tage drei Stunden nachmitternächtliches Kino: Der Kurzfilmwettbewerb "backup" in Weimar war sowohl lohnend als auch anstrengend.

Alles Party oder der versteckte Wettbewerb

Das "backup"-Festival zeigt innovative Vielfalt vor spärlichem Publikum

Kino kann sehr kalt sein. Zumindest, wenn man den wenigen nachmitternächtlichen Besuchern, welche sich die Wiederholung der Wettbewerbsbeiträge des "backup.award" im Weimarer "Lichthaus" ansehen wollten, die Heizung vorenthält. Nebenan war Party im Kesselsaal, da kochten die Anwohner-Gemüter am Samstag nach zwei Uhr berechtigt etwas höher, weil einige DJs mit Basslautsprechern die Schallgrenze zu durchbrechen suchten, und damit nebenbei auch die Kinositze zum Schwingen brachten. Und damit wären wir bei der aktuellen Crux des Festivals "backup".
Entstanden im Kulturstadtjahr aus einer kleinen feinen Initiative einiger Idealisten und Cineasten namens "netzwerk filmfest e.V." hat sich der jährliche, in Weimar stationierte Kurzfilmwettbewerb, flankiert von Foren, kryptischen Installationen und Musikclip-Ausscheiden zu einem innovativen und international beachteten Schwerpunkt der Szene gemausert. Gefördert durch Landesmittel und privatwirtschaftliche Töpfe ist "backup" trotzdem finanziell auf die Partys angewiesen, da sich das avisierte Publikum lieber besäuft, als lehrreiche Konkurrenzstudien zu betreiben. Das ist bitter, aber leider ein (Weimarer) Trend. Offiziell werden eintrittspreispolitische Gründe vorgeschoben, das mag einen Teil dazu beitragen, trifft aber nicht das Problem. Denn der eigentliche Wettbewerb und Festivalanlass gerät dadurch eher zum Alibi, denn zum Zentrum.
Eine renommierte Fachgruppe hatte die aus achthundert Einsendungen gefilterten 82 Clips bewertet. Die Prämierung bestimmten nach Selbstaussagen der Jury "nicht vordergründig die technische Perfektion der Beiträge, sondern der bewusste Einsatz künstlerischer Stilmittel und die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten neuer Medientechnologie." Das traf zumindest auf den Gewinner, den deutschen Beitrag "Schwebeleben" nicht zu. Der verkrampfte Humoransatz und die biedere tricktechnische Umsetzung vertrieb die wesentlich intelligentere und visionäre Auseinandersetzung mit Goyas Skizzen "Yo Lo Vi" (2. Platz) und das im Manga-Stil sensibel gezeichnete und erzählte "Very Fantastic" (3. Platz) vom verdienten Siegerpodest.
Grundsätzlich pendelte die Clipauswahl zwischen nervenden technischen Spielereien ("Zeno's Paradox", "Jet", "Just"), fragwürdigen Selbstdarstellungen ("Postalm-postcard to Kristjan", "Crossing"), perfekten, witzigen Animationen ("Ritterschlag", "Hundstag", "Klingekarussell") und durchdachten Erzählungen ("Krieg den Steinen", "Die Stille aus einer Stunde CNN", "If I were you", "Papillon d'amour"). Persönliche Favoriten waren die furiose Adaption bekannter Hollywood-Bilder "Fast Film", die eindrucksvolle Neuinterpretation des Strichmännchens "Bad Idea" aus Weimar und die Persiflage des Jahrhundertfotos "Lunchtime at top of a scyscraper" mit dem Clip "Hochbetrieb". Insgesamt ein qualitativ differenzierter Wettbewerb mit zahlreichen Entdeckungen, die nicht nur für Fachleute spannend sein dürften. Nun muss sich der "backup.award" nur noch lokal etablieren, was sich beim gegenwärtigen Ambiente Weimars durchaus als Sisyphus-Aufgabe erweisen könnte.


1. November 2003

Zeigefingerspiel

Selbst die beste Geschichte wird langweilig, wenn sie nicht im richtigen Tempo erzählt wird. Und "Betti Kettenhemd" von Albert Wendt, die Puppentheaterpremiere am Freitagabend im Waidspeicher ist keine gute Geschichte und am Zielpublikum vorbeikonzipiert..
Die schüchterne Bettina zähmt einen entlaufenen Kampfhund und diese anfängliche Entwicklung einer Freundschaft ist ein durchaus gelungener Einstieg. Die karge mitteldeutsche Landschaft Christian Werdins breitet sich mit sanfter Harmonium-Musik (Martin Gobsch) und sensiblen Lichtstimmungen (Andreas Herrlich) poetisch aus, die Stabmarionetten werden professionell geführt und mit Leben erfüllt (Eva Noell, Ronald Mernitz, Tomas Mielentz) und man hört der beschwörenden Erzählerpuppe zunächst interessiert zu. Die Trennung von Hund und Heldin läutet dann das völlige Zerfasern der Erzählung ein, die auftretenden Nebenfiguren stehen eher allegorisch für Spießigkeit, Machtgier und Gutmenschentum und werden das avisierte Kinder-Auditorium garantiert überfordern. Denn schon für Erwachsene bedeutet die behäbige und betuliche Erzählweise nach spätestens einer halben Stunde eine Tortur, dann ist man aber erst im zweiten Drittel angelangt.
"Betti Kettenhemd" versucht angestrengt nicht pädagogisch zu sein, verliert sich dabei stellenweise in skurrilem Witz und Gesellschaftskritik und bemäntelt dabei nur schlecht den erhobenen Zeigefinger. Regisseur Bernd Weißig, der mit den "Böhmischen Schneidern" an selbem Ort für Einstiegsfurore sorgte, hat sich und dem Ensemble mit der aktuellen Inszenierung keinen Gefallen getan, da sie, trotz vereinzelt guter Form, am Inhalt krankt.


30. Oktober 2003

Manchmal übermannen einen die Erinnerungen. Diesmal ist es ein Kommentar für den Weimarer Lokalsender Radio Lotte geworden...

Ein Denkmal

Da standen wir im nasskalten Regen des Novembers im Weimarhallenpark, und wir hofften, dass ein Wunder käme. Ein kleiner frierender Haufen von Künstlern, Verlierern, Trinkern, Hausphilosophen, Gelegenheitskellnern und anderen Nachtgestalten. Kein starker Lobbyverein mit finanzträchtigen Wichtigtuern, eher eine kreative Gärmasse, ein verlässlicher Indikator einer Stadt, welche sich im selbigen Jahr als Kulturhauptstadt feierte.
Wir alle wünschten uns, dass unser kleiner, ungehörter Protest die Schließung des Lesecafes verhindern möge. Doch die Stadtmacht hatte in Bürgermeister Friedrich Folgers Namen und Interesse gesprochen, die ehemalige Wohnung des Bertuchschen Gärtners und damalige Szenekneipe sollte einem gastronomischen Investor weichen, der daraus ein Edelrestaurant zaubern wollte.
Als ich 1999 nach Weimar kam, war das Lesecafe ein wunderbarer nächtlicher oder nachmittäglicher Treffpunkt, ein gemütliches, chaotisches Konglomerat aus Tresen, abgeschabten Sesseln, zerkratzten Tischen und mit zerlesenen Büchern gefüllten Regalen, offiziell unbeachteten Ausstellungen und einem verstimmten Klavier. Es war eine kleine Welt, in der man dieses bereitgestellte Reservoir an Lesestoff auch wirklich nutzte, bei meistens zuviel Alkohol diskutierte über das Wohl und Wehe der Stadt oder in stillen Ecken die Bilderwelten, Live-Sessions oder Parkausblicke genoss. Es war mein erster herzlicher Kontakt zu Weimar, man wurde als Fremder neugierig aufgenommen und eingeschlossen, mit Informationen versorgt und auch im Laufe des Tages auf der Straße erkannt.
Ende 1999 wurde das Lesecafe aus formal vorgeschobenen Gründen geschlossen und jedes Mal wenn ich den Weimarhallenpark durchquere, beschleicht mich ein wehmütiges Gefühl, und das nicht nur im November. Das Haus ruht und verfällt vor sich hin, die Zukunft als Verwaltungsstelle oder Edelkaschemme bleibt undefiniert. Sicher wird das Lesecafe nicht in den Stadtgeschichtsbüchern Platz finden, und die gute Tresen-Seele Helga bietet in der Geleitstraße dem vertriebenen Stamm eine fast adäquate Alternative.
Aber für mich bleibt das Lesecafe ein inneres Denkmal Weimars, und wenn das Stadt- und Bienenmuseum zu neuem Leben erwachen sollten, dann könnte man vielleicht auch wieder mal von den ollen Bücherregalen und dem Blick über den Teich träumen.


Dienstag, 28. Oktober 2003

Spitzensprengsatz

Sicher war das nichts für Puristen. Denn der launige Crossover zwischen Jazz, Popzitaten und Folkrhythmen hätte den Genrepolizisten sicherlich Schweißperlen ob der Zuordnung auf die Stirnen gezaubert. Das Publikum im Weimarer mon ami erwärmte sich jedenfalls sofort für die zündende Mixtur, welche die Jazzmeile mit einem sowohl musikalisch richtungsweisenden wie tanzbaren Höhepunkt bereicherte.
Das Pariser Quintett "No Jazz" sorgte mit ihrer gleichnamigen Debüt-CD für einen furiosen Einstieg in die Oberliga des Jazz, und verstand auch am Dienstagabend, das ebenso unbekümmerte wie virtuose Konzept mit Humor und einer mitreißenden Bühnenshow umzusetzen. Im fast dreistündigen Konzert wurden indische Tablas mit Reggae, Soundtrack-Samples mit Techno und Fusionjazz mit Hip-Hop so kreativ miteinander verschmolzen, dass jede Genregrenze schlüssig gesprengt und ebenso virtuose Neudefinitionen erhielt. Grandiose Saxophonchorusse von Philippe Sellam die eines Michael Brecker ebenbürtig waren und das Spiel des Trompeters Guillaume Poncelet, welches stellenweise an den späten Miles Davis erinnerte, rissen das Auditorium ebenso zu Begeisterungsstürmen hin, wie das temporeiche Scratching von DJ Mike Chekli und die furiose Schlagzeugarbeit Pascal Revas. Keyboarder Philippe Balatier überzeugte mit effektvollen Samples von "Dallas" bis "Mission impossible" sowie ideenreichen Harmonien.
Dabei hat das Quintett durchaus Mut zur Dissonanz und Selbstironie. Mit "Candela" schuf die Band mit einer rhythmischen Frischzellenkur kubanischer Folklore einen intelligenten Hit, das Prädikat tanzbar schloss komplizierte Strukturen spielerisch ein. Insgesamt ein Konzertabend der Superlative der sich beispielsweise für die künftige Kulturarena zwingend empfiehlt. Und wenn im Hintergrund der Jazzmeile ein kommerzieller Vorwurf rumort, wurde dieser an diesem Abend überzeugend ad absurdum geführt.

PS. Diese Band wünsche ich mir zum Polterabend. Spenden erbeten...


Sonntag, 26. Oktober 2003

Manchmal gibt es unerwartete persönliche Höhepunkte. Einer war nach 25 Jahren das Klassentreffen meiner Wernigeröder Klasse. Ich danke für die tiefgründigen Gespräche, die Energieschübe und das gemeinsame Singen. Und an alle, die dabei waren: ich hab ein zärtliches Gefühl für Euch. Und für alle anderen: im nächsten Jahr nach Himmelfahrt sind wir in der Altmark als hochmotivierter Chor zu erleben.


31. Januar 2003

Besitzerstolz macht sich breit. Die Seite steht seit zwei Wochen im Netz und alle Freunde loben und staunen. Nach vielen Änderungen bin ich nun auch zufrieden, und danke Susi Mücke für ihre bearbeiterische Geduld und Intuition.
Nun hoffe ich nur noch, dass sich die Tourdatenseite kontinuierlich füllt...

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