Spiegelzeltblog 2013

6. Mai 2013



DER MITREISSER


Er gehört zu den eigenwilligen Stimmen Hamburgs wie Stefan Gwildis, dem er viele Texte schreibt, Jan Delay oder Udo Lindenberg. Leicht nasal im Ton wie ein französischer Chansonnier ist Michy Reincke für die meisten Besucher im ausverkauften Zelt kein Unbekannter. Der ehemalige Kopf und Sänger der Band „Felix De Luxe“ ist Ohrwurmschreiber im Rock-Pop-Genre, doch auch Folk- und Countryanleihen sind in seinen Kompositionen zu finden. Die Meisten werden ihn mit seinem Evergreen-Hit „Taxi nach Paris“ kennen, doch das ist nur eine Facette des Bühnenmagiers.


Im Spiegelzelt gibt es mit seinem Trio die akustische Variante. Drei Konzertgitarren, gespielt von ihm, Ralf Denke und Jörn Heilbut füllen mit sattem Sound den Raum. Reincke wird gleich offensiv und wirbt für sich mit unwiderstehlichem Charme. Das Schöne ist, dass er sich nie zu ernst nimmt, es gibt keine Starallüren (die er sich bei seinem Œvre sicher leisten könnte), sondern erdverbundenes Auftreten und Conferencen mit viel Witz und Herz.


Seine Lieder handeln von der kurzen Liebe („Mädchen, komm lass es sein“), außerirdischen Betrachtungen („Wir fliegen vorbei“), Hamburger Flair („In Hamburg ist das anders“), Angst, Einsamkeit, Sehnsucht nach dem Zigeunerleben und überhaupt den besseren Welten, die wir uns alle erträumen. Die Songs sind refrainorientiert und gehen schnell in Ohr und Hand. Dabei ist sein musikalischer Duktus nicht neu, wird aber durch seine Stimme und seinen Habitus unverwechselbar. Seine Sprache ist einfach, eine Art gute Kneipenpoesie mit unbändigem Freiheitsdrang, und so dauert es nur wenige Minuten bis die Zuhörer erobert sind.

Bei seinem Hit „Nächte übers Eis“ flippt das Publikum nach Ansage des Frontmannes geplant aus, und ab da gibt es kein Halten mehr: der Mann ist der Held, und das Zeltrund sein Bewunderer.

Dass er der Einzige ist, der einen „Prince“-Titel deutsch und erlaubt gecovert hat, macht ihn stolz, seine Variante von „Les Champs Elysées“ gibt dem weltberühmten Chanson endlich einen anständigen Text. „Ich mag meine traurigen Songs eigentlich nicht, aber es ist mein Beruf“, wird er an anderer Stelle verkünden, und lässt in den Balladen das Herzblut fließen. Da schwingt auch seine bewegte Vergangenheit mit („medikamentöse Gründe“). Er ist an dem Punkt angekommen, wo er sich nichts mehr beweisen muss. Das hat deutsche Starqualität, und die muss man erst einmal finden.


Reincke lästert auch ein wenig über Hitparaden, Medienwahn und Technoumzüge, und manchmal wechseln die Musiker lust- und humorvoll zu Mandoline und Melodika. Die Fankurve singt bei vielen Songs leise mit, denn der Frontmann verkauft Träume, und das macht er richtig gut. Als er bei den „Unsichtbaren Riesen“ und „Valerie“ angekommen ist, gibt es schon vereinzelt standing Ovations, doch bei der ersten Zugabe „Taxi nach Paris“ bebt der Zeltboden und niemand hält es auf den Sitzen. Die Feuerzeuge fehlen zwar, aber das tut der Hochstimmung keinen Abbruch. Ein Superlauneabend, der mit „Es wär so schön“ endet.


Seine Fans haben ihm zum 50. Geburtstag einen Korinthenbaum am Fährdamm im Hamburger Alsterpark gepflanzt. Hier würde nach diesem Konzert vermutlich ein ganzer Wald davon stehen.



SPRUCH DES TAGES

„Wir haben Laune und wollen diesen Preis!“

Michy Reincke über seinen „Marlene“-Wunsch



SPLITTER

Das hätte sich Gabi Rühr aus Ilmenau nicht träumen lassen: dass sie der heimliche Star des Abends werden würde. Michy Reincke hatte sie vor der Pause für den Song „Für immer blond“ spontan auf die Bühne geholt. Zwar behauptete sie, dass sie weder singen noch tanzen könnte, doch sie spielte so überzeugend Mundharmonika und bewegte sich so gekonnt, dass keiner an den Zufall glaubte. Es war aber so, denn beinahe wäre sie gar nicht hier gewesen. Die Freundin hatte sie nämlich spontan eingeladen...


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