Spiegelzeltblog 2013

7. Juni 2013


Am 1. Juni 2011 gastierte Jan Plewka mit seinem Rio-Reiser-Programm im Spiegelzelt. Dem ist heute nur wenig hinzuzufügen, deswegen zuerst meine damalige Kritik:


MITREISSENDE AUSNAHMEZUSTÄNDE


"Jan Plewka singt Rio Reiser" steht auf dem Programm des Spiegelzelts. Damit wäre eigentlich schon fast alles gesagt. Der Abend ist restlos ausverkauft, denn sowohl der Frontmann von "Selig" als auch die Legende Reiser sorgen für ein sachkundiges Fanpublikum aller Altersgruppen. Zudem wartet das Konzert mit drei Ausnahmezuständen auf: am Eingang wird vor hohen Dezibelwerten gewarnt, Ohrenstöpsel werden bei Bedarf gereicht, und es gibt keine Zwischenpause.

Mit kleiner Verspätung geht es los, und man hört Jan Plewka solo aus dem Off  „Stiller Raum“ singen. Seine Stimme ist charismatisch und rauchig, und fängt die Zuhörer magisch ein. Dann erscheint der Sänger mondän mit weißem Schal und Mantel und begleitet sich auf der Akustikgitarre zu „Ich werde dich lieben“, bis seine phantastische Begleitband, die „Schwarz Rote Heilsarme“ kraftvoll und funkrockig mit „Mein Name ist Mensch“ einsetzt. Der Abend ist perfekt durchchoreografiert, und es werden fast alle großen Reiser-Hits mitreißend interpretiert. Die Bühne bleibt nicht statisch; mal ziehen die fünf Musiker bettelnd durch den Saal, mal erwecken sie Lagerfeuer-Stimmung und das Publikum singt Hausbesetzer-Refrainzeilen wie „Ihr kriegt uns hier nicht raus“ dabei gerne und ausdauernd mit.

Der Abend setzt auf Eindrücke. Es gibt natürlich die großen und unvergänglichen Liebeslieder wie „Zauberland“ und „Für immer und Dich“ und man fühlt schmerzhaft den Verlust und die Lücke, welche der viel zu frühe Tod des genialen Rio Reiser gerissen hat. Diese unbedingte Ehrlichkeit, das unmittelbare Politstatement und der unpathetische Gestus schreiben den Frontmann von „Ton Steine Scherben“ berechtigt und dauerhaft in das deutschkollektive Gedächtnis.

Plewka wird in seiner Huldigung von kongenialen Kollegen unterstützt. Marco Schmedtje steht wie ein Fels hinter seiner Gitarre und produziert sowohl eingängige Riffs, als auch kraftvolle Verzerrungen. Bassist Dirk Ritz sorgt für solide und ostinate Basis, und Schlagzeuger Martin Engelbach sorgt souverän und oftmals auch sehr filigran für Wassertropfen-Feuerwerk und Polyrhythmen. König des Rings war für mich allerdings Lieven Brunckhorst. Was dieser Multiinstrumentalist an Klavier, Akkordeon und Saxophon zaubert ist von solch furioser Virtuosität und harmonischer Intelligenz, dass er seinesgleichen in der Szene wohl kaum finden dürfte. Einfallsreich arrangiert und mit viel Spaß an der Sache zelebrieren Musiker und Band über zwei Stunden ein Gedächtniskonzert, dass das Zeltpublikum zu frenetischem Applaus verführt und letztlich nicht mehr auf der Bestuhlung hält.

Doch bei aller Begeisterung: Reiser wird verkauft. Wer den Sänger mit seinen Liedern erlebt hat, wie er die Inhalte intensiv herausgeschrieen hat, und mit fast selbstzerstörerischer Hingabe sein Publikum in den Bann zog, der wird keine Berechnungen entdecken können. Plewkas Konzert ist kalkuliert, und das vermeintlich spontane Fangedicht, dass in der Zugabe vertont wird, ist persönliche Inszenierung, und das war Reiser eben weitestgehend fremd. Und wenn bei der Zugabe der „Junimond“ als Reggeae erschallt, ist das sicher schmissig und geht ins Tanzbein, aber ist der wunderbaren Melancholie des Textes leider kaum entsprechend.

Trotzdem ist Plewka großes handwerkliches Können und gekonntes Bemühen zu attestieren, und er erliegt nicht der Versuchung, den Meister allzu platt zu kopieren. Deswegen fehlt wohltuend auch der „König von Deutschland“ in der Hitsammlung, und das zeugt von ehrlicher Reiserverehrung. Reißer wie „Alles Lüge“ und das nochmalige „Der Turm stürzt ein“ beenden einen schweißtreibenden und rockigen Ausnahmeabend im Zelt. Und ohne Sperrstundengesetze hätte die Spiellaune der Musiker sicher noch bis in die Morgenstunden gereicht.


FAZIT

Einfallsreiche und musikalisch hochwertige Heldenverehrung, die noch etwas mehr Seele vertragen könnte.


Und nun die Anmerkungen:


Statt Dirk Ritz wirkt nun Uwe Frenzel am Bass, doch er schlägt sich ebenso wacker wie sein Vorgänger.

Ein paar neue Regieeinfälle sind da: „Und immer für dich“ auf italienisch und liegende Umarmungen mit einer Besucherin auf der Bühne. Das Klavier war dagegen bei den lauten Stellen meistenteils nicht hörbar. Insgesamt gibt es eine stärkere Ausrichtung auf musikalische Solis wie bei „Paradies“. 

„Wenn ich mir was wünschen dürfte“ und „Over the rainbow“ stümpert Plewka zum Konzertende auf dem Klavier wieder selbst zurecht. Alles ist offenbar stark auf Wirkung gebaut, unter der die Authentizität etwas leidet.

Diesmal gibt es noch zwei Zugaben mehr, da sind die Aufgetakelten aber schon auf den Weg zur Tiefgarage. Die Revolution findet wieder woanders statt. Vielleicht in den Herzen des Zeltservicepersonals...


SPLITTER

Im Spiegelzelt-Hintergrund wirken viele „gute Seelen“ mit, und sind Gewähr für die flüssigen Abläufe und die angenehme Atmosphäre. In loser Folge stelle ich einige der Zeltmitarbeiter vor.


Heute: Anna Dreilich (21)
















                                                                            Foto: Stefan Kranz


Was arbeitest Du beruflich außerhalb der Spiegelzelt-Saison?

Ich bin Restaurantfachfrau.


Und Dein Job im Spiegelzelt?

Ich arbeite hier als Servicekraft. Und das ist mein erstes Jahr im Zelt.


Was macht dir hier am meisten Spaß?

Der Umgang mit Gästen. Das hier ist ein besonderes Publikum.


Welcher Abend hat Dir am besten gefallen?

Mina Tindle ist bis jetzt meine Favoritin.


Was war Dein nettestes Zelt-Erlebnis?

Dass ein Gast zu mir gesagt hat, wenn ich lächle, gehe die Sonne auf.


Was wünschst Du Dir für das Zelt?

Weiterhin ein so gutes Programm und weiterhin so gute Künstler. Und ich würde mir mal wünschen „Zweiraumwohnung“ auf dieser Bühne zu erleben.



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