Spiegelzeltblog 2013
23. Mai 2013
PLAKATIVE KOMIK
Drei Podeste, zwei Notizbücher, ein Kassettenrekorder, eine Flasche Wein, ein Korken und dutzende Plakate: viel mehr braucht es nicht; dieses hochkonzentrierte Programm „Schreibhals“ des Schweizer Duos „Ohne Rolf“. Mit atemberaubender Kreativität und faszinierenden Ideen haben Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg ihren zweiten Bühnenstreich in Szene gesetzt, und sorgen damit für einen weiteren Höhepunkt in der Spiegelzeltchronik. Schon 2009 konnte man sie an dieser Stelle mit ihrem Erstling „Blattrand“ erleben, jetzt haben sie allerdings ihr grandioses Konzept erweitert.
„Ohne Rolf“ machen „stumme“ Programme. Die Sprache wird durch große Schrift-Plakate ersetzt, welche von den Beiden durchgeblättert werden. Für diese Innovation bekamen sie 2007 schon den „Prix Pantheon“, denn diese Art zu spielen war neu und einzigartig. Die „Blatt-Dialoge“ sind sehr witzig und erfordern eine außergewöhnlich hohe Perfektion in den Abläufen. Denn eigentlich ist das quasi ein „Kino-Prinzip: der Film wird immer wieder abgespielt. Doch das ist bei „Ohne Rolf“ wiederum so spannend und pointenreich, dass man die Augen schon aus diesem Grunde nicht von der Bühne lässt.
Diesmal haben die beiden „Blattländer“ ein Kind bekommen, und eingangs streiten sie sich schriftlich darüber, wie der Kleine denn nun heißen soll, da die Taufe ansteht. Tristan oder Urs sind schließlich die konträre Auswahl, dann erwacht das Buchstabenkind in ihrer Mitte. Vorher musste der Hund „Tippex“ noch beruhigt werden, genial dargestellt durch den Kassettenrekorder mit Antenne. Das Kind hat Hunger, folgerichtig wird dieser mit Papierblättern gestillt, wobei man darauf achtet, dass Trennkost verabreicht wird. Die Regeln dafür finden sich im Duden auf Seite 79. Wie von Geisterhand gesteuert beteiligt sich der Kleine mit A-3-Plakaten an dem Dialog der Väter, die sich rührend um den Nachwuchs kümmern, aber auch an Grenzen stoßen und an „antiplakative Erziehung“ denken. Zunächst müssen sie dem Kind erklären, warum es noch nicht die großen A-1-Plakate aufblättern darf, und warum es für seine Paten etwas zeichnen soll. Während das mittlere Podest also mit dieser väterlichen Anordnung beschäftigt ist, suchen die Herren in großer Eile einen Namen. Auch die Paten wollen bestimmt sein, man findet sie spontan im Publikum. Die Zeremonie feiert man würdig: es wird fotografiert, Korken mit Wein getrunken, und das Publikum in einen Chor verwandelt, bei dem der Begriff „vom Blatt singen“ eine völlig neue Bedeutung bekommt. Schließlich ist das Buchstabenkind standesgerecht auf den Namen Rolf getauft. Während die Väter sich verkrümeln, haben die neuen Paten vor der Pause Einiges zu tun: sie müssen nun weiterblättern, und auch diese Idee ist ebenso komisch wie intelligent. Am Programmende werden die Paten eine Gratiskarte für eine nächste Vorstellung und ein Erinnerungsfoto bekommen; auch das eine originelle und liebevolle Geste.
Nach der Pause wird Rolf richtig lebendig, das heißt eine Puppe wird von
„Jonarsch“ und „Chrisdoof“ beidseitig animiert, und steht damit in perfekter Illusion auf eigenen Füßen. Rolf will eine Stimme, sich emanzipieren und nicht so stumm bleiben wie seine Väter. Deshalb streikt er, und wird die Bühne schließlich nach einer fingierten technischen Panne verlassen. Zurück bleiben die Väter, die nun kurzzeitig sprechen und singen. Sie katapultieren sich ins Altenteil, es wird Papier gepinkelt und im Fotoalbum geblättert. Damit karikiert sich das Duo aufs Trefflichste, bis der täuschend echte Pannen-Fake schließlich aufgelöst wird, und Rolf wieder zum Schriftwort kommt. Leider ist die Besuchzeit mit den Enkeln Tristan und Urs schnell zu Ende, aber die Alten sind versöhnt mit ihren Erinnerungen, und ein überzeugender Schlusspunkt gesetzt.
Das Publikum ist während der Vorstellung stiller und konzentrierter als sonst. Das liegt an der Machart der Luzerner, und nicht an der Begeisterung, denn der Jubel bricht am Schluss um so stärker aus. Auch bei der Zugabe bleibt „Ohne Rolf“ dem Bühnenprinzip treu: die „schwebenden“ Fragen werden aufgefangen, entblättert und diverse Preise verteilt.
Mit „Schreibhals“ haben Anderhub und Wolfisberg ihr ungewöhnliches Konzept überzeugend fortgesetzt und erweitert. Mittlerweile sind sie schon mit dem neuen Programm „Unferti“ unterwegs, und auch dieses wird sicherlich die Spiegelzeltbühne finden. Für mich war „Ohne Rolf“ eines der kreativsten und spannendsten Programme der diesjährigen Saison, und das will bei dieser Spitzenauswahl wirklich etwas heißen.
FAZIT
Humor in Schriftform präsentiert – eines der originellsten Konzepte in diesem Genre.
SPRUCH DES TAGES
„Entfällt aus technischen Gründen.“
SPLITTER
Das herbstliche Sommerwetter mit hoher Niederschlagsdichte bringt den technischen Leiter des Spiegelzelts, Kristjan Schmitt nicht aus der Ruhe. Mittlerweile hat er über zwanzig Stellen im Dach geflickt, doch diese Aufgabe wird Sisyphusarbeit bleiben. Die stabile Konstruktion des Zelts trotzt auch stärkeren Winden, nur vor dichtem Schneefall sei es nicht gefeit, verrät Kristjan. Denn dann müsste man schon sehr gut heizen, damit das große Dach auch hält. Ich weiß nicht, ob ich den freundlichen Techniker beruhigen soll, denn bei der aktuellen Wettergestaltung scheint ja alles möglich zu sein...