Spiegelzeltblog 2013
18. Juni 2013
DER HASE
„Das Rainaldgrebekonzert“ stand zunächst nicht auf dem Spiegelzeltplan. Doch als der Künstler bedauerte, nicht zum Zehnjährigen dabei sein zu können, beschloss Intendant Martin Kranz, das Festival um einen Tag zu verlängern, und einen „zweiten“ Abschlussabend anzuhängen. Als bekannt wurde, dass Rainald Grebe nach einer vierjährigen Pause zum fünften Mal das Zelt beehren würde, waren die fünfhundert Karten innerhalb einer Stunde ausverkauft. Man konnte also davon ausgehen, dass die Besucher wussten, worauf sie sich einließen. Was sie allerdings an diesem Montagabend erlebten war ein derartiger Quantensprung im Schaffen des Künstlers, dass die Begeisterungswogen sich mit fassungslosem Staunen über die genialischen Einfälle des Wortkünstlers mischten.
Dabei ist sich Grebe durchaus treu geblieben. Er setzt das fort, was er mit „1968“ begonnen hat: eine gnadenlose Betrachtung von etablierten Generationen und eine Abrechnung mit Spießerseligkeit, verpackt in absurder Präsentation mit dadaistischen Elementen und jeder Menge beißendem Witz. Doch das ist in seinem aktuellen Solo derart komprimiert, atemberaubend schnell und „wahnsinnig“ intelligent gesetzt, dass eine Steigerung kaum noch denkbar ist.
Grebe kommt mit Hasenohren auf die Bühne, und das ist ein gutes Symbol für die Bauart seines Auftritts. Denn hinter jeder Ecke lauert der Haken, jede Idylle wird gebrochen, und jede Erwartung konterkariert. Zu der Wader-Version von „Bunt sind schon die Wälder“ marschiert er ein, setzt mit dem Anfang dreimal blitzschnell an, um danach sofort in die Vollen zu gehen. Atemlos erzählt er eine erste Kindheitsgeschichte: übertrieben traumatisiert von einem Schwanenerlebnis schlussfolgert er, dass sich diese Tiere deshalb so aggressiv gegenüber Menschen verhalten würden, „weil sie ja wüssten, dass sie nicht gut schmecken.“ Das ist so eine typische Volte, und von denen wird es an dem Abend sehr viele geben. Es geht um seine Kindheit, die er mit seinem mitwirkenden Soundmann Franz Schumacher (der im perfekten Zusammenspiel von Bühne und Technik neue Dimensionen erobert) digitalisieren will. Denn die Computer-Sticks übernehmen unser Leben, und dem bekennenden Messie Grebe fällt es schwer, sich von analogen Vergangenheiten zu trennen. Und so kommentiert er Fotos aus seinen jungen Jahren, entblößt sich bis zum „Nippelekzem“, gibt absurdes Ballett mit „bunten Barben“ und verneigt sich dabei immer wieder gekonnt vor den großen Dadaisten Schwitters und Jandl. Das besitzt eine überzeugende Ästhetik in der assoziativen Sprunghaftigkeit und hohe Gagdichte. Obwohl das Mitdenken stark gefordert ist, vergeht das fast dreistündige Wort- und Spielfeuerwerk wie im Fluge. Das liegt vor allem an dem rasanten Wechsel der Formen: mal synchronisiert er mimisch eingespielte Werbespots und Vinylproduktionen der Achtziger, mal spielt er auf dem Flügel einfach Lieder an, um sie dann ins Leere laufen zu lassen, mal trommelt er einer „Chucky“-Puppe auf den Kopf, um Einspieler vorzustellen, mal flicht er fast zusammenhanglos absurde Empfehlungen ein („Giftige Pilze erst waschen dann wegschmeißen!“), und geißelt als Running Gag leere Teller an den Reihenhauswänden. Er spiegelt seine Kindheit in Frechen bei Köln mit hymnischen Liedern sowie schrägen und erfundenen Familiengeschichten. Er blödelt mit Kinderliedern, besingt seine traurige Pubertät als „Krümel“, und gibt urkomische Tipps: „Rezept für Lammbraten: ein Lamm braten.“
Doch neben seiner melancholischen Heiterkeit, ist Grebe auch durchaus zornig. Wenn der den Verfassungsschutz als „Salzleckstein der NPD“ charakterisiert, den nahtlosen Übergang vom Luftschutzbunker zum Partykeller konstatiert, oder Heinos Deutschlandlied-Einsatz für die DVU aufzeigt, dann teilt er gekonnt und hart gegen Rechtsaußen aus. Und das, was da scheinbar aus der Zeit gefallen scheint, ist gegenwärtig. Die bürgerliche Dreifaltigkeit („Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit“), die beschriebene kleinstädtische Enge, und die Weltsichten, die am Gartenzaun enden.
Und es bleiben ein paar Bilder und Momente: wenn er bei „Melanie“ singend ein Kondom über seinem Kopf aufbläst. Oder wenn er die sehr ernsthafte Ballade von „Gilead“ setzt, und dabei den erschütternden Alltag in Nervenheilanstalten schildert. Denn der Clown hat das traurige Lächeln und besingt sehr eindringlich die „Identität als Auslaufmodell“.
Es gibt viele „federgeschmückte“ Zugaben: „Reich mir mal den Rettich rüber“ aus dem „1968“-Programm, selbstverständlich als „Vollzug“ die „Thüringenhymne“ und eine zwerchfellerschütternde Hommage an Schwitters „Ursonate“. Und da dem Krrrtikrrr mal wieder vor Begeisterung die Worte ausgehen, sagt er in seiner letzten Rezension in dieser Saison nur noch Eines: TUFFN!
FAZIT
Ein großer „Küüüühnstler“ und ein atemberaubender Abschlussabend.
SPRUCH DES ABENDS
„Herzlich Willkommen im Bitburger Spiegelzelt: nennen wir die Dinge doch mal beim Namen!“
Rainald Grebe
SPLITTER
Im Spiegelzelt-Hintergrund wirken viele „gute Seelen“ mit, und sind Gewähr für die flüssigen Abläufe und die angenehme Atmosphäre. In loser Folge stelle ich einige der Zeltmitarbeiter vor.
Frederik Bergsma (42)
Foto: Stefan Kranz
Was arbeitest Du beruflich außerhalb der Spiegelzelt-Saison?
Ich bin seit 1997 freiberuflicher Opernsänger in Weimar
Und Dein Job im Spiegelzelt?
Ich arbeite hier als Barkeeper.
Was macht dir hier am meisten Spaß?
Der Umgang mit Kollegen und den Zeltbesuchern.
Welcher Abend hat Dir am besten gefallen?
Meine Favoriten sind Hagen Rether und Sven Ratzke.
Was war Dein nettestes Zelt-Erlebnis?
Vor neun Jahren der letzte Abend mit Caterer und Publikum. Dass man mal auf der anderen Seite des Tresens stand.
Was wünschst Du Dir für das Zelt?
Ein bisschen mehr Musik. Die holländische Sängerin La Pat und den Countertenor Max Emanuel Cenchec würde ich gerne hier mal auf der Bühne sehen.