Spiegelzeltblog 2013
10. Mai 2013
DER INTELLEKTUELLE
Es wurde offenbar Zeit, dass Matthias Deutschmann das Spiegelzelt besucht. Selbst am Männertag war das Rund mit über dreihundert Zuschauern gefüllt. Sonst ist man zwar den Ausverkauf gewohnt, aber für Feiertage solcher Art ist dies auch eine stattliche Zahl.
Deutschmann wird oft als der „Kabarettist mit dem Cello“ bezeichnet, was sicherlich sein prägnantestes Markenzeichen ist. Der Südbadener entstammt der Freiburger Szene, schrieb für das Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“ und wandelt seit fast dreißig Jahren solistisch und preisgekrönt durch Deutschland.
Deutschmann ist ein Unikum, ein intellektueller Berserker mit faszinierendem Wissensschatz und treffender Pointe. Scheinbar freundlich plaudert er über die politischen Zeitläufe, stellt wortwitzig Sinnzusammenhänge her und schert sich nicht um politische Lagerabgrenzungen. Sein vorwiegend hochgebildetes und „Grünen“-affines Publikum bekommt außer intensiver Kopfarbeit jedoch keine Bestätigungs-Bequemlichkeit. Deutschmann legt den Finger genüsslich auf viele unterschiedliche Wunden und hinterfragt mit Vorliebe die Sprache. Warum sagt man beispielsweise „Eurozone“ und nicht „Europa“? Warum wehrt sich die „Kirche von unten“ nicht gegen die „Kirche von hinten“? Das sind einige Pointen, die er im Sekundentakt in sein Publikum feuert, und sich danach auch oft der Reaktion versichert. Er thematisiert Bestseller von Roche und Sarrazin und prognostiziert aufgrund der Berechnungen des umstrittenen SPD-Mitglieds, dass die Fußball-WM im Jahre 3024 wohl Probleme hätte, noch elf deutsche Freunde zu finden. Er vergleicht die Hölle der verschiedenen Religionen („aus der Katholikenhölle entkommst du nicht mehr“) , trauert dem vorletzten Bundespräsidenten künstlich nach („Er hätte doch Bellevue zur Wulffschanze machen können“), blödelt mit absurden weltpolitischen Zusammenhängen („Ghaddafi küsst Berlusconi und stirbt an den Spätfolgen“) und merkt an, dass die Beschneidung quasi Gottes „Directors Cut“ sei.
Das ist alles sehr vergnüglich und intelligent, und in keinster Weise akademisch. Deutschmann hat sich schon seit Jahren im deutschen Kabarettistenhimmel einen Spitzenplatz verdient, deswegen sinniert er schon einmal über Grabsteinsprüche und philosophiert über Altersradikalität („Geißler darf goebbeln“). Auch der aktuelle NSU-Skandal, Stuttgart 21 und der Atomkraftausstieg („Atomkraft woll’n wir alle loben, wenn’s schiefgeht sind wir alle Oben“) und die grüne Spießbürgerlichkeit („Ich wähle die Grünen obwohl ich sie kenne“) werden unter Deutschmanns genauem Blick seziert, und das Publikum kommt aus dem Lachen kaum heraus. Deutschmann provoziert kein Schenkelklopfen, sein Publikum wird so oft und vielfältig an Kopf- und Schmunzelmuskeln gereizt, dass für Lachsalven gar keine Zeit bleibt. Das Amüsement ist im Spiegelzelt natürlich besonders groß, wenn er sich auf die Klassikerstadt bezieht, seinen Goethe kennt und abgewandelt rezitiert und Weimar treffend als „größtes Freilichtmuseum Deutschlands“ tituliert.
Nebenbei erweist sich Deutschmann als Virtuose auf dem Cello, er setzt es sparsam, aber effektiv ein und beweist dabei viel musikalischen Witz. Die begeistert geforderte Zugabe bringt noch sehr gekonnte kabarettistische Statements zu dem Unwesen der nicht entnazifizierten GEMA (damit dürfte er vielen seiner Künstlerkollegen aus dem Herzen sprechen) und eine urkomische Hymnensymbiose.
Für die Zeltstammgäste dürfte es verwunderlich gewesen sein, dass Deutschmann und Fatih Çevikkolu (der am Samstag hier gastierte) fast baugleiche Nummern über Helmut Schmidt und die Grabsteine vortrugen. Meine Nachfrage ergab, dass es wohl eher zufällige Übereinstimmungen waren.
„Eurokalypse Now“ war insgesamt ein kabarettistischer Spitzenabend und ein wirklich würdiger Ausklang des „Männertages“, der auf dem abendlichen Heimweg über die Weimarer Innenstadt erwartungsgemäß konterkariert wurde. Übrigens: Für die Entschuldung Griechenlands schlug Deutschmann vor, für jedes verwendete Wort, welches diesem Sprachraum entstamme, solle man 50 Cent zahlen. Da ich auch diese Insel liebe, habe ich mich beim Schreiben diesmal wirklich bemüht...
FAZIT
Intelligente und witzige Politanalyse in schnellem Takt.
SPRUCH DES TAGES
„ Alles in Weimar ist gepflastert -da kann man sich zur Not noch wehren.“
Matthias Deutschmann zu Sicherheitsrisiken in Weimar
SPLITTER
Für den Standplatz des Spiegelzeltes lässt sich die Stadt Weimar nicht unwesentliche Standgebühren bezahlen. Da ist es schon verwunderlich, dass die vielen Besucher, gerade von außerhalb, den nächtlichen Heimweg komplett unbeleuchtet absolvieren müssen. Die gesamte Ackerwand samt Parkbeleuchtung bleibt zu dieser Zeit finster. Aber vielleicht ist das ja auch eine neue Form von Stadtmarketing, bei dem man den bösen Begriff vom „Dunkeldeutschland“ praktisch demonstrieren will?