Spiegelzeltblog 2013

5. Mai 2013


Charmanter Fechtkünstler


Der für Spiegelzeltmaßstäbe verhältnismäßig lange Abend beginnt mit einem akustischen Fahrradunfall, welcher den Solisten fiktiv ins Paradies befördert. Dort hält Fatih Çevikkolu Zwiesprache mit Gott und Publikum und sucht zwingende Gründe für eine Rückkehr aus dem Jenseits. Diese intelligente Rahmenkonstruktion des Programms „Fatih Unser“ bietet dem  preisgekrönten Kölner Kabarettisten viel Platz für unterschiedlichste Reflexionen über menschliche und politische Verhältnisse.

Çevikkolu ist ein Plauderer. Wie er da steht, mit seinem weißen Anzug und dem gewinnenden Lächeln, wirkt er ziemlich harmlos. Bei den anfänglich oberflächlichen Wortspielereien über Reiner Calmund als Wanderdüne, Heidi „Klumpfuss und ihr Knochenkarussell“, Fitnessstudios („was die Pisastudie am Vormittag macht“) oder seine Körperbehaarung scheint diese Sicht zunächst bestätigt.

Doch dieser erste Eindruck täuscht. Sanft, fast unmerklich, bringt der Vollblutschauspieler das Zelt interaktiv in seinen Bann, und sobald er sich des Publikums sicher ist, zieht er Niveau und Satireschärfe an. Zunächst geht es nur um Schönheitswahn und Ich-Bilder, da erinnert Çevikkolu an Hirschhausen und seine witzige Lebensratgeberei. Dann geht es um das Altern in Würde, und schon ist er bei Helmut Schmidt (was den vehementen Protest eines Zuschauers hervorruft) und bald auch in der politischen Gegenwart. Hier leuchtet Çevikkolu hinter die Kulissen mit einer überzeugenden Marionetten-Nummer, geißelt Waffenlobby, Scheinheiligkeit und Medienwahn. Natürlich blödelt er auch gerne („Sauer bucht Frau“), aber er schaut genauer hin, und fordert mit kalkuliertem Tabubruch seine Zuschauer aus der bequemen Sitzhaltung.

Fatih Çevikkolu ist Deutscher, aber man sieht es ihm nicht an. Aus dieser Irritation heraus spielt er mit falschen Erwartungen und Vorurteilen, und entlarvt damit Rassismus und Kolonialdenken, ohne den plumpen „Quotentürken“ zu geben. Im Gegensatz zu Kaya Kanar oder Bülent Ceylan ist seine Kunstfigur authentisch und gerät nicht zur Comedy-Clownsnummer. Er ist eher der elegante Florettfechter; tut niemandem weh, aber seine Klinge hinterlässt durchaus Spuren. Das zeichnet Çevikkolu ebenso aus, wie seine Schlagfertigkeit und sein schwarzer Humor. („Lady Di – ihr Name war schon Programm“). Im Laufe des Abends wird er noch Handwerker karikieren, welche ihre Kunden als „atmende Rechnungsadresse“ sehen, Grabsteinsprüche empfehlen und sehr warmherzig über Kindererziehung referieren.

Natürlich gibt es auch zwei Paradenummern: der Brasilianer, welcher den Unterschied zwischen Karneval und Fasching erklärt, und die Kölner Unterweltgröße Hans Werner („Hawe“) der sich als deutscher Krimineller diskriminiert fühlt. Da zeigt sich Çevikkolus Vielseitigkeit und sein geschärfter Blick auf deutsche Missstände.

Irgendwann fragt er nach harter politischer Erkenntnis ins Zeltrund, warum man denn bei diesem Wissen keine Revolution mache. Und eine ostdeutsche Stimme entgegnet ihm: „ Wir haben schon eine gemacht, jetzt seid ihr dran“. Jetzt ist der Kabarettist schon längst nicht mehr „der Türke“, sondern „der Wessi“. Es gibt eben auch unter Deutschen noch Vieles was uns trennt.

Die Zugabe bringt noch einmal Standup im Publikumsgespräch. Wenn man an diesem Abend etwas kritisieren wollte, dann nur, dass dieser trotz seiner Kurzweiligkeit doch etwas zu lang geraten ist.

Fatih Çevikkolu gab einen überzeugenden Einstand in Weimar, ab Herbst ist sein neues Programm avisiert. Das Zeltpublikum spendete begeisterten Applaus, und würde sich sicher über ein Wiedersehen freuen.


FAZIT

Unterhaltsames Kabarett mit sanftem Biss.


SPRUCH DES TAGES

„Wie sehr muss man sich misstrauen, um mit zwei Stöcken zu laufen.“

Fatih Çevikkolu über Nordic Walking


SPLITTER

Fatih Çevikkollu hat sein Handwerk unter Anderem in der berühmten Theaterhochschule „Ernst Busch“ gelernt. Doch auch wenn er während des Studiums einen Part in Schillers „Don Karlos“ überzeugend spielte wurde ihm dennoch prophezeit, dass er mit seinem Typus nie in deutschen Heldenrollen besetzt werden würde.

Da Çevikkollu nach eigenem Bekenntnis Theatermaschinerien hasst, ist das solistische Dasein für ihn Passion. Das gilt allerdings nicht für sein Privatleben, denn Frau und Tochter inspirieren ihn. Seine familiären Erfahrungen spiegeln sich folgerichtig auch in seinen Programmen.

Was er dem Spiegelzelt in den nächsten zehn Jahren wünsche, hatte man ihn in der Zeitung gefragt. Çevikkollu plädierte für ein festes Haus. Nach seinem Auftritt versicherte er, dass dieser Spruch nur als Gag gemeint gewesen sei. Wieder ein Künstler, der dem Charme des Zeltes verfallen ist...

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