Tagebuch von Matthias Huth 2008

 

Lieber Leser, nachfolgend in chronologischer Folge meine Zeitungs- und Radioartikel und kleine Zusatzkommentare. Die Artikel erscheinen demnächst auch auf der Website von Radio LOTTE.

www.radiolotte.de

Viel Spaß beim Schmökern...



  1. 3.Oktober 2008


Stadtentdeckungen


Es sind inspirierende Orte an denen Susanne Peschel ihre Erfurter Stadtgeschichten erzählt: der Kapitelsaal im Predigerkloster, der romantische Wigbertihof oder die Treppenstufen unter den Glocken des Bartholomäusturms. „Die Magd Marie“ ist ein erzählerischer Stadtrundgang, welcher  allerdings der Kondition der Zuhörer einiges abverlangt. Denn Türme wollen ja erst einmal erklommen werden...

Susanne Peschel verkörpert  die unsterbliche Magd Marie aus Daasdorf, die dank ihrer Pfiffigkeit im Jahre 1468 bei der Familie Podewitz angestellt wird, einen Bann bricht, dem Teufel ein Schnippchen schlägt, einen Liebeszauber übersteht und sowohl die Erfurter Brandnacht als auch die Geschichte der Gloriosa erlebt.

Man erfährt ein bisschen über die Bräuche und Erziehungsmethoden der Waidbauern und Hochzeiten in Badehäusern; über Ritterturniere und höfische Sitten. Aber man erfährt nichts über die Magd Marie. Denn die Figur bleibt eigentlich nur ein Erzählvehikel, welches die unterschiedlichen stadtgeschichtlichen Ereignisse verknüpft. Mittels Stegreifspiel, pantomimischen Darstellungen, Stanzfiguren und wandelbaren Requisiten wird die sprachliche Vermittlung aufgelockert. Doch es gibt bei diesem Solo keine mitreißende textliche Umsetzung und keine dialogische Raffinesse. Deshalb geraten die neunzig Minuten trotz intensiven Spiels von Susanne Peschel doch eher zu einer biederen, wenn auch unterhaltsamen  Sagenstunde. Auch akustisch müsste an der Stadtführung noch gearbeitet werden, denn einige  Passagen gleiten beim Puppenspiel im Bauchladentheater ins Unverständliche ab.

Trotzdem ist diese letzte Premiere des diesjährigen Erfurter Theatersommers empfehlenswert, da sie mit dem Licht von Fackeln, Anglerstühlen und magischen Stadträumen ein Ambiente schafft, welches die Sinne berührt und die Stadt neu entdecken lässt. Insofern war der Applaus der zahlreichen Besucher durchaus verdient.  Denn nicht nur für Touristen, sondern auch für Einheimische bietet „Die Magd Marie“ viel historisches Wissen und räumliche Neuentdeckungen. Zudem setzte die Organisation des Abends unbürokratisches Handeln von Stadtverwaltung, Museumsleitungen und kirchlichen Einrichtungen frei, um diesen Rundgang zu ermöglichen. Und das ist doch schon mal ein gutes Ergebnis.


nächste Aufführungen: sa, so um 17:30 Uhr, mo um 20:00 Uhr, Treff an der Touristinformation,  Benediktsplatz 1 (bei der Krämerbrücke)


23. September 2008


Weimarer Unpersonen


Drei Innenansichten des Kosmos Weimar


Ein essayistischer Kommentar


In der Hitze des Sommerlochs und im Nachgang eines inszenierten Tribunals verkündete Gisela Kraft in der „Thüringischen Landeszeitung“, dass man in Weimar einen Gedenkstein aufstellen solle, welcher die Vertriebenen der Stadt auflistete. Ein Name dürfe auf diesem Mahnmal der ungerecht Behandelten keinesfalls fehlen: Stephan Märki.

Nehmen wir an, dieser Vorschlag der Weimarpreisträgerin hätte irgendeinen außerpolemischen Sinn und sei im Detail sogar von Sachkenntnis geprägt gewesen. Vielleicht wäre in ihrem Sinne eine elektronische Anzeigetafel praktischer, damit sich Generationen von Steinmetzen nicht die Finger wund klopfen. Man könnte die Intention des Mahnmals dahingehend ändern, dass ein Warnhinweis die Namen listete, deren möglicher oder vollzogener  Weggang wirkliche Verluste für Weimar bedeutete. In Folge drei Geschichten...


Erste Geschichte: Eine Theaterinszenierung von Regisseur Hans Hoffmeister


In den diesjährigen ersten Maitagen könnten die Sektgläser in der Apoldaer Villa des TLZ-Chefredakteurs Hans Hoffmeister geklingelt haben. Hatte er doch mit seiner Verleumdungskampagne geschafft, Peter Krause als Kulturminister zu verhindern. Vielleicht kam doch nicht so richtige Feierlaune auf, denn Krause war immer noch Chef der örtlichen CDU-Vertretung und nicht nur von seiner Parteibasis, sondern auch von vielen Weimarern vehement verteidigt worden. Es galt also Abonnentenschwund abzuwenden und Krause weiter zu diskreditieren. Keine einfache Aufgabe, denn eine wirklich recherchierte Faktenlage hatte es in der Causa Krause nie gegeben und das irrationale Empörungspotential schien mittlerweile restlos ausgereizt. Plötzlich kam ein Notruf, der eine neue Kampagne versprach und mit der Krause erneut ins Zwielicht gerückt werden konnte.

Doch bevor wir zu diesem Notruf kommen, ist es angebracht, einen Blick auf das journalistische Selbstverständnis Hoffmeisters zu werfen.

Zu seinem 60. Geburtstag erschien die von ihm federführend redigierte Version eines Gesprächs mit Bernd Kauffmann, dem ehemaligen Weimarer Kunstfestintendanten und Kulturstadtgeneral (In Weimar geht’s kaum noch ohne General! Nur einen Generalwürstchenverkäufer gibt es wohl noch nicht...). In dieser Eigeneloge mit dem Titel „Die Wahrheit zieht der Erde einen Scheitel“ wird Hoffmeister von Kauffmann unter anderen zu seinen Intentionen als Blattmacher einer Lokalzeitung befragt. Der TLZ-Chef antwortet wörtlich: „Der große Journalist Hanns-Joachim Friedrichs sagte, dass Redakteure sich überhaupt nicht einmischen dürfen - auch nicht im Guten. Das ist nicht meine Auffassung.“

Na ja, das hat Hajo Friedrichs, eine Leitgestalt des deutschen Journalismus nicht so gesagt. Sein Credo lautete, dass man sich als Journalist nicht mit einer Sache gemein machen sollte, auch nicht mit einer Guten. Solches steht sinngemäß auch in den publizistischen Grundsätzen des Deutschen Presserats. Um nachfolgende Geschichte einordnen zu können, anbei Zitate aus diesem Pressekodex:


„Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen ... sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf ... weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, insbesondere personenbezogener Art, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen.

Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.“


Und nun erneut zu dem Notruf und seiner Geschichte:

Walter Bauer-Wabnegg, Staatssekretär im Thüringer Kultusministerium, hatte die Aufgabe, einen turnusmäßigen Termin mit DNT-Intendant Stephan Märki zu vereinbaren. Schließlich muss so ein gut bezahlter Posten von einem Aufsichtsrat für eine Weiterbeschäftigung bestätigt werden. (Es ist übrigens in der Branche unüblich, übermäßig lange Laufzeiten für Theaterintendanten zu vereinbaren. Aber Weimar war ja schon immer etwas Besonderes). Zudem hatte Märki wohl vom ehemaligen Kultusminister Goebel eine längerfristige Jobzusage bekommen. Nun ja, Politikerversprechen stehen oft nicht auf allzu festem Grund. Weil Wabnegg zudem im Gespräch mit Märki eine Tendenz im  Aufsichtsrat andeutete, soll der Telefondialog deshalb auch lautstark geendet haben...

Auf Märkis Habenseite stand das „Weimarer Modell“, (eigentlich ein ganz normaler Haustarif) welches sowohl seiner Hausmacht als auch seinem Eigeninteresse entgegen kam. Denn bei verwirklichter Fusion mit Erfurt hätte er sich ja seinen Status zumindest mit dem Landsmann und Erfurter Opernintendanten Guy Montavon teilen müssen. Das wurde bekanntlich durch politischen Kurswechsel in letzter Sekunde (und partiell auch durch medial unterstützte Proteste) verhindert, und nun hat Weimar ein teures, aber gesichertes Staatstheater.

Doch in Märkis Bilanz stehen auch andere Fakten. Die missglückte Faustinszenierung, die eher egomanische Regisseure als das  Publikum beglückte und im Spielplan deshalb nicht zu halten war. Der Weggang des überaus charismatischen Dirigenten Carl St. Clair, der mit Märki nicht klarkam. Undurchdachte Folterprovokationen von Bazon Brock sowie choristische Antikeinszenierungen, die nicht mal das Feuilleton entzückten. Und letztlich auch die interne Erkenntnis, dass der zu Recht gelobte Wagner-Ring eher gegen, als mit Märki geboren war. Es gab also eine Menge Gründe, mit dem Intendanten eines Staatstheaters über dessen zukünftige Ausrichtung zu diskutieren, denn er selbst spricht sich ja vehement gegen Denkverbote aus. Kultussekretär Wabnegg wollte Märki dezent darauf hinweisen, dass solche Bilanzen Fragen aufwerfen, und der Intendantenstatus kein Automatismus sei. Märki sah daraufhin seine sicher geglaubte DNT-Stelle bedroht. Wie gesagt, das Gespräch endete nach Presseberichten im Fortissimo.

Freunde, oder präziser formuliert, Seilschaften helfen sich in der Not, und so wurde Hoffmeister über dieses Gespräch postwendend informiert. Märki hatte in der Krauseangelegenheit ebenso wie Gedenkstättenchef Knigge treulich intrigiert und in Vereinszimmern und Behördenfluren die Meinung lanciert, dass mit diesem unbequemen Peter Krause, der zudem noch rechtslastig sein sollte, kein Staat zu machen wäre.

Der Märki-Notruf passte ins Konzept, und TLZ-Chef Hoffmeister strickte daraus sofort eine große Kampagne. Die Freiheit der Kunst sei bedroht, stand da reißerisch auf Vordruck-Protestformularen, und da wir ja alle für die Freiheit der Kunst sein sollten, musste man zwangsläufig auch für Märkis DNT-Fortbeschäftigung plädieren. Zumindest wenn man Kulturbürger sei, eine sehr verschwommene Kategorisierung, welche die TLZ seit ein paar Jahren für sich reklamiert. Und in Folge wurde ein inszeniertes Empörungspodium im Hotel „Elephant“ einberufen, bei dem die lokale CDU-Intrige gegen Märki angeprangert werden sollte.

STOPP! Hatten wir da was überlesen? Gab es ein Exklusiv-Interview mit Märki, in dem er solche politischen Machenschaften behauptete, oder sogar belegte? Gilt die turnusmäßige Anberaumung eines Termins als Intrige? Hatten Krause oder seine Parteifreunde vehement die Abwahl Märkis gefordert?

Vier Fragen, und alle können verlässlich mit „Nein“ beantwortet werden. Es gab allerdings vor zwei Jahren einen Artikel in der Publikation „Palmbaum“ von Peter Krause, in dem er klare (und meines Erachtens nach kluge) Positionen zur Kulturpolitik äußerte. Aus diesem Artikel wurden von Hoffmeister ein paar Zitate sinnentstellt, und zudem die Behauptung publiziert, die geplante Absetzung Märkis wäre eine Retourkutsche wegen Krauses Ministerverhinderung. Und schon gab es neue Munition gegen den unbequemen Stadt-Politiker. Schließlich stand im September eine Wahl an, und bei der sollte Krause auf keinen Fall wieder als örtlicher CDU-Vorsitzender gewählt werden. (Er wurde kürzlich hundertprozentig nominiert!)

Merke: Wenn Hoffmeister einen vor seine Flinte nimmt, dann will er ihn auch komplett erlegen. „Hoffmeisters“ CDU sollte doch nicht von einem geführt werden, der seine Chefredakteurs-Segnung nicht besaß. Und so konnte man im Tagesrhythmus der TLZ in Leserbriefen und Redaktionstexten der TLZ immer wieder etwas von der Untragbarkeit Krauses lesen, und dass er wegen seiner Intrige, die er weder verantwortet noch initiiert hatte, gefälligst die Konsequenzen ziehen sollte.

Nachdem sich der Theaterdonner verzogen hatte, und ein neuer Kulturminister und ein Landesvater einige Versicherungen verlauten ließen, zeigt sich die Zielrichtung der Kampagne deutlicher. Märkis Weiterbeschäftigung stand zwar zur Debatte, nur aus anderen, triftigen Gründen. Die Kampagne erwies sich als getarnte neuerliche Diffamierung Krauses durch Hans Hoffmeister, und stellt einen klaren Verstoß gegen journalistische Ethik und wahrhaftige Informationspflicht dar.

Oder um es mit dem von dieser Zeitung vielbeschworenen Klartext zu sagen: Es darf nicht sein, dass eine heimliche Seilschaft aus Zeitungsmachern, Kulturangestellten und Institutionsleitern mittels Meinungsmacht und inszenierten Kampagnen die Thüringer Staatskanzlei vor sich her treibt. Die TLZ hat kein politisches Mandat, sondern bestenfalls einen Informationsauftrag. Wenn Pressemacht dazu missbraucht wird, einem unliebsamen Mann der Wende die Karriere zu verbauen, nur weil der nicht den richtigen Stallgeruch hat, dann hat das nichts mehr mit Demokratie zu tun. Und für politische Kultur und Meinungsfreiheit sind wir doch 1989 auf die Straße gegangen. Oder?


Zweite Geschichte: Der Schlaf der Selbstgerechten oder Seemanns Horizonte


Eigentlich sind die Montage in dieser Einrichtung ruhige Wochenanfänge, denn die Zeit gilt es in der Stiftung Weimarer Klassik zu bewahren, und nicht hektisch voranzutreiben. Doch an diesem Montag im August war alles anders, denn das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL hatte Ettore Ghibellino und seiner These, dass Goethe statt Frau von Stein doch Anna Amalia liebte, tatsächlich vier Seiten gewidmet. Und zudem durch einen seiner profiliertesten Mitarbeiter konstatieren lassen, dass an dieser These durchaus etwas dran sein könnte.

Was hatte man sich in der Stiftung Weimarer Klassik doch gemüht, dieses fundierte Buch von Ghibellino zu ignorieren. Doch leider ließ dieser Mensch nicht locker, brachte inzwischen gar eine dritte Auflage auf den Markt. Führende Literaturwissenschaftler hatten den Gedankenkonstrukten einer Liaison von Goethe und Amalia durchaus Nachforschungspotential bescheinigt, und selbst die neue Literaturpäpstin Elke Heidenreich zollte „Anna Amalia und Goethe“ ihre Begeisterung. (Dass Nike Wagner in der Sendung „Lesen!“ das ihr geschenkte Buch gleich verschwinden ließ und sich etwas pikiert ob der Übereignung zeigte, wäre eine Extra-Geschichte.)

Und dabei hatte man doch den hergelaufenen Italiener und stallfremden Juristen mittels aller germanistischer Forschungsmacht in Weimar mundtot machen wollen. Die große Anna-Amalia-Ausstellung im Schloss enthielt nicht mal Randverweise auf seine Publikation; die von der Frau des Stiftungspräsidenten Hellmuth Seemann verfasste Biografie Anna Amalias (bei der wohl sieben Stiftungsmitarbeiter mitschreiben mussten?) mied Namen und Gedanken Ghibellinos wie die Pest.

Doch die Thüringer Staatskanzlei hatte sich trotz vehementen Einspruch Seemanns dazu hinreißen lassen, Ghibellino zu einer Lesung einzuladen. (Diese Veranstaltung musste übrigens wegen der Nachfrage in einen größeren Saal verlegt werden).

Weil dieser Autor mit seinen historischen Liebesbehauptungen schon in aller Munde war, hatte ein anonymes Autorenkollektiv der Stiftung Weimarer Klassik auf ihrer Internetpräsenz eine donnernde Replik gesetzt, die zwar einen kleinen Übersetzungsfehler fand, sich streckenweise aber sehr unwissenschaftlich mit der Reputation des Autors statt mit seinem Forschungsgegenstand auseinandersetzte.

Und nun auch noch der SPIEGEL. Der ruhige Montag war gelaufen. Ein Krisenstab tagte und kam zu dem Ergebnis, dass man jetzt nur noch nach vorne verteidigen könne.

Ghibellino hatte ein paar Tage später im Goethe-Institut zu einer Pressekonferenz geladen, und das deutsche Feuilleton war fast vollständig vertreten, um die Erwiderung auf die netzseitige  Stiftungsanklage zu hören. Ghibellino wusste sich humorvoll und faktenreich zu verteidigen, was seine schriftliche Erwiderung bewies. Doch bevor der Forscher referieren konnte, erhob sich im Publikum Dr. Jochen Golz, seines Zeichens Präsident der Goethe-Gesellschaft Weimar und versuchte in einer emotionalen Schmähung, den anwesenden Journalisten in den Block zu diktieren, dass dieses ganze Spekulieren um Anna und Johann Wolfgang unnötig sei. Auch im medialen Nachgang ließ sich die Stiftung sehr widerwillig auf Anfragen ein, welche eine Erforschung der durchaus lückenhaft erfassten Historie dieses Goethe-Lebensabschnitts thematisierten.

Eine eigene Pressekonferenz in besagter Angelegenheit auszurichten, war der Stiftung offensichtlich zu heikel. Man stelle sich vor, bei dieser nicht stattgefundenen Pressekonferenz hätte sich Ghibellino in ähnlicher Weise wie Golz zu Wort gemeldet. Man sähe die freiwilligen Saalordner beim Heraustragen des Störenfrieds plastisch vor geistigem Auge...

Das Skandalöse am Fall Ghibellino ist, dass die SWK nicht einmal seine  wissenschaftlich stichhaltigen Thesen überprüfen will, um dadurch angestammte germanistische Ruhekissen nicht aufzuschütteln. Anstatt diesen Mann als Bereicherung  für Weimars Forschungsstätten und Kulturleben zu begreifen, wird er systematisch von Traditionalisten totgeschwiegen oder unfair angegriffen. Doch unverdrossen trommelt Ghibellino wie ein Duracell-Hase weiterhin für seine Thesen. Vielleicht wird dieser konstruktive Lärm die Stiftung daran erinnern, dass sie einen Forschungsauftrag hat, und mit solchen Behandlungsmethoden von Wissenschaftlern gegen ihre eigenen Statuten verstößt. Allerdings war der Präsident im August noch  damit beschäftigt, die Öffentlichkeit in Bezug auf städtische Anfragen betreffs des Hauses der Frau von Stein anzulügen.


Dritte Geschichte: Glitzernde Unsterne oder die Geschichte einer Vertreibung


Nun müssen wir sie offenbar behalten. Zumindest, wenn wir ein Kunstfest wollen, denn „ein Kunstfest ohne Nike Wagner wird es nicht geben“, so ihre Pressesprecherin. Wir wollen an dieser Stelle kaum mehr von der Liszt-Ahnin reden, die uns mit ihren irrationalen Erfolgsmeldungen (9400 zahlende Besucher 2008) oder ihren Bayreuth-Gifteleien (Hatte sie nicht bei ihrem Amtsantritt in Weimar betont, mit den Wagnerfestspielen nichts im Sinne zu haben?), sondern einen unfreiwilligen Weggang ins Gedächtnis rufen. Bevor die angebliche Lichtgestalt, der Leuchtturm, das Kunstfest zu einer elitären, schlecht geführten Spielwiese entwickelte, hatte Ralf Schlüter in Nachfolge Bernd Kauffmanns das Weimarer Kunstfest verantwortet, und in seinem letzten Jahr in Weimar (2002) mehr als 18000 zahlende Besucher locken können.

Aber irgendwie mochte ihn die Weimarer Stadtverwaltung nicht leiden. Vielleicht galt er ihnen doch zu sehr als Erbe einer Ära, denn der schnöselige Ton Kauffmanns war manchem noch deutlich im Ohr. Schlüter war diplomatischer, aber diese Klugheit nützte ihm in Weimar letztendlich nichts. Kauffmann stand für ein Konzept, welches nicht unumstritten war, aber letztlich doch bundesweit ausstrahlte und lockte. Das hätte sein Nachfolger kreativ und kritisch weitergeführt, aber die Stadt entschied  sich trotzig für Nike Wagners Aura.

Schlüter ist mehr ein stiller Arbeiter gewesen, der im Hintergrund wirkte und seine Programmangebote für sich sprechen ließ. Woanders lässt man ihn wirken. Bundesweit sind die Wolfsburger „Movimentos“ durch seine Mitarbeit eine beachtliche Größe in der Welt des Tanzes. Neuhardenberg entwickelt sich mit Schlüters Ideen zum Treffpunkt kreativer Größen, ob es nun Jazzbegegnungen wie Pat Metheney mit Brad Mehldau oder Schauspielereignisse mit Martin Wuttke sind, um nur zwei Höhepunkte zu nennen. Solche Sternstunden könnte man sich auch in Weimar gut vorstellen. Auch, dass das „Spiegelzelt“, die „Tiefurter Gitarrennacht“ oder die kreativen Filmschöpfungen der Bauhaus-Uni integrative Bestandteile eines Kunstfestes wären. Aber die Stadtverwaltung lächelt tapfer weiter, denn es wird ja schon als Erfolg angesehen, wenn jetzt der Weimarhallenpark wieder eine Jazznacht hat. Diese war im Vorjahr innovativ und gut besetzt. Diesjährig gab es Anspruchsvolleres nur gegen Vielgeldeintritt in der Weimarhalle, die Parkwiesen hatten nur noch solide Dixieland- und Standardware zu bieten. Nichts gegen Volksfeste, aber der Zwiebelmarkt ist stellenweise kreativer besetzt.

So stellt sich die Frage, warum man denn Schlüter entsorgte, und ob seit fünf Jahren bessere Kunstfeste folgten. Ob die Aneignung von damaligen Standards wie der Viehauktionshalle als Tanzpalast schon als Innovation gilt. Oder Nike Wagner ihre Bilanz auf einen unverdienten Sockel hebt.

Womit wir wieder bei dem anfangs vorgeschlagenen Gedenkstein wären.


Epilog


Weimar hat viele Potentiale, welche diese Stadt liebens- und lebenswert machen. Aber institutionelle Fehlentscheidungen und Amtsanmaßungen vielerart Couleur lähmen den Puls dieses Ortes, und letztlich auch die idealistischsten Neuerer. Deshalb sind Personen wie Krause, Schlüter und Ghibellino leider warntafelgefährdet oder gedenksteinreif.

Suchet der Stadt Bestes, endet der Aufruf von Gisela Kraft. Vielleicht wäre Weimar damit gedient, wenn einige Personen dieser Stadt nicht permanent ihr persönliches Bestes im Sinn hätten.



30. August 2008


Grandiose Nachtsaiten


Die achte Tiefurter Gitarrennacht in einer bestechenden Neuauflage



Diese Veranstaltung würde nicht unter das Motto „Unstern“ passen, hieß es in einem lapidaren Zweizeiler der Kunstfestleitung, und diese Absagen haben unter Nike Wagner Tradition. Andererseits könnte die Tiefurter Gitarrennacht Bestandteil eines neuen, anderen Kunstfestes sein, welches Weimar, im Gegensatz zu Wagners Narzissinsel, wirklich gut zu Gesicht stehen würde.

Nach vorjähriger Zwangspause kehrte die „Guitar-Night Tiefurt“ in nunmehr achter Auflage erfrischt und mit neuen, engagierten Sponsoren zurück und traf wieder auf einen großen Kreis von interessierten Zuhörern. Im stimmigen Ambiente der Festscheune des „Cafes am Schlosspark“ präsentierten fünf Ensembles unter dem Motto „Musica da Camera“ den meines Erachtens nach besten Jahrgang dieser Reihe.

Schwungvoll eröffnet das Festival durch das „Duo Consensus“ mit Gitarristin Karoline Kunft und Christian Laier an der Mandoline. Die Kombination bestach durch frische Interpretationen von Pujol und Castelnuovo-Tedesco und die ungewöhnlichen Klänge der Saiteninstrumente. Das preisgekrönte „Guitar Duo Klemke“, ebenso wie ihre Vorgänger in der Weimarer HfM angesiedelt, bot mit zwei Konzertgitarren ein virtuoses und einfühlsames  Zusammenspiel auf sehr anspruchsvollem Niveau. Die populären Kompositionen von Castelnuovo-Tedesco und Joaquin Rodrigo erreichten ein begeistertes Publikum, dass damit auf einen der Höhepunkte des Abends eingestimmt wurde. Unter dem Dirigat von Professor  Mathis Christoph, der für das durchdachte Konzept und die Besetzungen des Abends verantwortlich zeichnete, spielte die „Capell- und Cammermusik Weimar“, klug eingebettet in zwei Vivaldi-Konzerte die „Fratres“ von Arvo Pärt. Dieser Magier des Minimalismus, der als einer der spannendsten Gegenwartskomponisten gilt, und Filmen wie „Heaven“ oder „Kira“ mit seinen Werken unvergessliche Soundtracks gab, war eine der intensiven Entdeckungen des Abends. Die kleine Streicherbesetzung mit Schlagwerk und die Solisten Tomasz Zawierucha und Christiane Spannhof erwiesen Vivaldi und Pärt hingebungsvoll und dynamisch genau Referenz, und ernteten dafür verdient begeisterten Beifall.

Mit der Einladung des „Escolaso Guitarra Tango Trio“ hatte Mathis Christoph den Clou des Abends gelandet. Die drei Vollblutmusiker waren dank seines Organisationstalents extra (!) aus Argentinien angereist, und zelebrierten mit Tangointerpretationen eine neue Dimension musikalischen Zusammenspiels. Solch ein Feuer, solch eine Spielfreude und eine fast beiläufig zelebrierte Professionalität sucht seinesgleichen. Astor Piazollas „Suite Troileana“ geriet, ebenso wie die anderen Stücke des Trios, zu leidenschaftlichen Begegnungen mit dem Hochamt dieses Instruments und riss das Publikum zu Beifallsstürmen hin, sodass im streng gesetzten Zeitrahmen des Freitagabends trotzdem eine Zugabe unausweichlich war. Zu nachmitternächtlicher Stunde gab es dann eine Wiederbegegnung mit „Synergy“. Das Jazzduo mit Susan Weinert (Akustikgitarre) und Martin Weinert am Kontrabass zeigte wieder konzentriertes und lustvolles Zusammenspiel auf der Grundlage von Eigenkompositionen. Ein gereiftes Zwiegespräch mit viel harmonischer Raffinesse und polyrhythmischen Sequenzen, das aber bei aller Intensität doch etwas zu artifiziell geriet.

Abschließend seien noch der hervorragende „Rynkowski-Sound“ und die liebevolle gastronomische Umsorgung der Cafe-Betreiberfamilie Hecker erwähnt, die der Gitarrennacht ein besonderes Wohlfühlgepräge gaben. Insgesamt also ein vielfältig inspirierender Gitarrennachtabend, der in der diesjährigen Auflage seine jährliche Existenzberechtigung nachdrücklich und auf höchstem Niveau unter Beweis stellte.



25. August 2008


Abnutzungen


Es schwingt Wehmut mit, wenn die Jenaer Kulturarena beendet wird, so auch im siebzehnten Jahr. Die Besucherzahlen sprechen für sich und das Festival kann für sich behaupten, der wichtigste und stimmigste Popkulturtreffpunkt Thüringens zu sein. Trotzdem mischen sich Fragen in die Bilanz, denn man bemerkt durchaus Abnutzungserscheinungen und den scharfen Wind des Marktes. Am deutlichsten spürbar ist das bei den Konzertabenden: viele Musiker sehen es nicht als Auszeichnung sondern als Routine, auf dieser Bühne zu spielen. Und so gehen Jamie Lidell und „Caravan Palace“ schon nach 80 Minuten backstage, während Stars wie Joe Sample und Nils Landgren drei Stunden die Arena aufheizen. Zwischen gelangweiltem Kalkül und musikalischem Enthusiasmus leuchten stets Sterne wie Sandy Dillon oder „Trio Bravo“ hervor, und der Glänzendste war diesjährig wohl unumstritten Heimkehrer Rainald Grebe mit umwerfend komischer und ungemein politischer Botschaft, ohne dem politischen Lagerwahn zu verfallen. Künstlermagneten  wie Manfred Krug (mit Attitüde zum Minimalismus) oder Joan Armatrading (mit schulmeisterlichen Touch) ziehen erwartungsgemäß viel Publikum. Die Bereitschaft sich auf Experimente einzulassen ist dagegen gesunken, öfter war die Arena fühlbar leer, und das liegt nicht nur am Wetter, sondern an Konzepten, die sich, offensichtlich etatbedingt,  an Konzertagenturbetrieben bedienen, anstatt auf Trüffelsuche zu gehen. Konstant attraktiver dagegen die Filmarena mit neuen Betreibern und schönen Wieder-Begegnungen auf großer Leinwand wie  „Once“, „Auf der anderen Seite“ oder der Kurzfilmnacht. Auch die Kinderarena wird gut angenommen, aber dort  wünschte man sich Entdeckungen. Der Gastronomiegürtel bleibt mit vielseitigem Angebot ein verlässlich freundlicher Stadttreffpunkt, doch die Umsätze sind nicht üppig. Und die „adapoe“-Mitarbeiter garantieren traditionell Licht- und Hörerlebnisse, wenn die mitgebrachten Bandtechniker den Sound nicht verpfuschen. Insgesamt ein Jahrgang, der etwas in der Luft hängt. Aber solches hatte das zu quietschbunte Plakat  schon suggeriert. Ein deutlicheres Bekenntnis der Jenaer Stadtverwalter  könnte da für mehr Flugsicherheit sorgen.



20. August 2008


Qualitätslese


Cineasten sind hart im Nehmen, wie die Kurzfilmnacht im Jenaer Arenarund am Dienstagabend bewies. Trotz vorherbstlicher Kühle ließen es sich über 1200 Zuschauer bis nach Mitternacht nicht nehmen, die exzellente Auswahl von „backup“- Chefin Juliane Fuchs und Robin Mallick vom Filmfest Dresden begeistert zu begutachten. Die eröffnenden „Monopol-News“ erwiesen sich als anregendes Kinomagazinformat, das beispielgebend für die Fernsehbranche gelten sollte. Moderator Steffen Quasebarth durfte auf der Arenabühne seinen subversiven, intelligenten Charme gekonnt spielen lassen, und wirkte zudem in der Satire „Deep Ilmpact“ mit einem brüllend komischen Udo-Jürgens-Karaoke mit.

Die siebente Kurzfilmnacht war ein Gemeinschaftsprojekt  des Jenaer Kurzfilmwettbewerbs „cellu l’art“, den Filmern von „VIDEOaktiv“ (beide Jena), der Weimarer Bauhaus-Uni und dem Filmfest Dresden. Letzteres steuerte mit „Robin“, einer eindringlichen Sozialstudie über die Verletzung einer Kinderseele,  seinen diesjährigen nationalen Spielfilmpreisträger und den Höhepunkt des Abends bei. Ebenso beeindruckend die Animationen „Liebeskrank“ von Spela Cadez aus Ljubljana als tiefsinnige Parabel und die oscarnominierte „Madame Tutli-Putli“ mit Horrorvisionen einer Zugreise. Das tricktechnische Level war atemberaubend, aber auch Produktionen mit klammem Budget wie die Dokumentation über eine Oldtimer-Rallye aus Apolda von Mario Koch konnten mit  Witz  und genauer Beobachtungsgabe punkten. Die Filme hatten die große Leinwand durchwegs verdient und zeigten stilistisch vielfältig, was in der kleinen Form möglich ist. Insgesamt ein hochqualitativer Maßstabsjahrgang mit hohem Unterhaltungswert.



8. August 2008


Kurzbesuch


Achthundert Arena-Besucher warten geduldig. Eigentlich soll die Pariser Band „Caravan Palace“ schon längst spielen, doch bisher tönt nur der Soundcheck über den zentralen Jenaer Platz. Doch nach einer halben Stunde, und einer kurzen  Entschuldigungsansage von Festivalleiterin Margret Franz stellen die Zuhörer sofort fest, dass sich das Warten gelohnt hat.

Elektroswing beschreibt das Konzept von „Caravan Palace“ so bündig wie schlüssig. Zu den ausgelassenen Swingnummern der guten alten Jazzepoche mixt das Septett groovende Beats und satte Synthesizerbässe. Diese Mischung geht sofort in Blut und Beine, und so wandelt sich das Arenarund am Mittwochabend nach wenigen Titeln in ein Tanzparkett. Atemberaubende Unisonopassagen der Geiger Hugues Payen und Aurélien Trigo (der gleichzeitig als Sänger und Bandleader firmiert), sowie die flinke Gitarre von Arnaud de Bosredon zeigen, dass die Musiker in Augenhöhe mit ihren Vorbildern kommunizieren. Sängerin Sonia Fernandez Velasco, die neben energiegeladenen Scat-Gesang auch noch furiose Klarinettenduette mit Camille Chapellière liefert, heizt den rhythmischen Kessel zusätzlich auf. Cool, frech und unbedingt partytauglich kommt „Caravan Palace“ daher, und präsentiert mit geschickt und sparsam eingesetzten Samples und treibenden Basslinien eine so zeitgemäße und lockere Hommage an Django Reinhardt, Louis Armstrong und Cab Calloway, dass nur die eingefleischten Puristen ein wenig die Mundwinkel nach unten ziehen. Nach einer Stunde gehen die Musiker dann schon zum Zugabenteil über, und nach exakt achtzig Minuten ist das Konzert beendet. Und das ist gegenüber dem enthusiastischen Publikum ein Schlag ins Gesicht, da nicht mal die Mindestspielzeit erreicht wurde. Und für diese Arroganz der Band geht trotz des mitreißenden Konzerts der Daumen ärgerlich nach unten.



31. Juli 2008


Intensivtäter


Es dauerte eine Stunde, bis der Funke aus diesem internationalen Musikschmelztiegel am Mittwochabend so richtig zum Arenapublikum übersprang, doch dann war kein Halten mehr: „Incognito“ hatte die Tanzbeine voll im Griff. Schon 1993 , noch unter Norbert Reiffs Ägide, hatten die Vollblutmusiker aus England, Schottland und Jamaika (um nur drei vertretene Länder zu nennen) mit ihrer explosiven Popjazzmischung das Abschlusskonzert zu einem zündenden Erlebnis gemacht. Diesmal also eine Wiederbegegnung, die leider nur 1100 von möglichen 3000 Zuhörern mobilisierte.

Schon die Funkystyle-Eröffnung des Konzerts mit „Who needs love“ brachte fast alle Stärken der Zehnergruppe voll zur Geltung: Rasante  Bläsersätze mit Paul Martin Greenwood (sax, fl), Sidney Gauld (tp) und Trevor Mires (tb), dazu fette und virtuose Keyboardpassagen von Matthew James Simon Cooper und markante Licks der Gitarre von Bandleader Jean Paul Edward Maunick. Dazu die souligen Sänger Anthony Momrelle, Melonie Alison Crosdale und Joy Rose, wobei letztere durch exzessive Röhre den meisten Zwischenapplaus einheimste.

„Incognito“ sieht sich nicht unter dem Label Acid-Jazz, wobei diese Einstufung ihrem Konzept sicher am Nächsten kommt. Zwischen Al Jarreau, Chaka Khan und „Earth, Wind & Fire“ ist der Sound ungefähr verortet, und auch ein bisschen David Sanborn und „Mothers Finest“ klingen mit. Sangbare Melodien, rhythmisch treibende Perfektion und energetische Publikumsanmache leeren langsam die Arenabänke, um das Publikum vor der Showbühne klatschend und tanzend zu versammeln. An dieser Stelle sei auch mal der professionelen Sound- und Lichtregie von adapoe-sound gedankt, die bisher jedes Arena-Konzert dieses Sommers zu einem akustischen und optischen Erlebnis werden ließen. Zwei volle, schweißtreibende Stunden dauerte der Intensiveinsatz der Band, an anderen Abenden hatten allzu routinierte Musiker ihr Publikum mit vorfristigen Konzertenden enttäuscht. Denn auch das macht eine gute Live-Band aus: bei begeistert erklatschten Zugaben nicht auf die Uhr zu schauen. „We are one nation under the groove“ verkündet Maunick abschließend in die Arena. Und das hat er mit „Incognito“ wieder einmal überzeugend unter Beweis gestellt.




24. Juli 2008


Sirenen


Stimmige Cocktailkleider, perfekter Triogesang, stilechte Adaptionen moderner Popsongs und täuschend echt duplizierte Standards der Swinggeschichte - das ist Konzept der „Puppini Sisters“, die am Mittwochabend den Sommer in die Arena brachten.

Das exzentrische Damentrio ließ die vierziger Jahre der Musikunterhaltung ebenso Revue passieren wie die aktuelleren Hits. Mit exakt abgestimmter Bühnenshow und instrumentalem Background von Henry Tyler (dr), Martin Staines (git) und Kontrabassist Henrik Jensen erklangen Evergreens wie „Bei mir bist du schön“ und „Mr. Sandman“ in betörend authentischen Interpretationen, die den Originalen in Nichts nachstanden. Kate Mullins, Stephanie O’Brian und Marcella Puppini können nicht nur singen, sondern tragen mit Geige, Akkordeon und Triola musikalisch ebenbürtig zum „Puppini Orchestra“ bei. Und sie sehen zudem unverschämt gut aus. Mit spielerischer Leichtigkeit präsentieren sie vor rund 1400 begeisterten Besuchern Kate Bushs „Wuthering high“ oder “Walk like an egyptian“ der Bangles im Retrosound der Swing-Ära. Das passiert, trotz hohen rhythmischen und harmonischen Schwierigkeitsgrads, ebenso virtuos wie charmant. Nach eineinhalb Stunden gibt die Interpretation von Gloria Gaynors „I will survive“ den krönenden Abschluss eines kurzweiligen Konzerts. Manchmal kommen perfekte Kopien in die Nähe von Innovationen. Und das ist bei den „Puppinis“ durchaus auch gut so.



20. Juli 2008


Routinen


Verregnetes Kulturarena-Wochenende präsentiert Legenden und bewegt Kinder


Sicher steht im Olymp der A-cappella-Bands der Name „Manhattan Transfer“ in Leuchtbuchstaben geschrieben, und solche  Ehrung hat das legendäre Gesangsensemble  zweifelsohne verdient. Trotzdem ist dies noch lange kein Grund, sich auf Lorbeeren auszuruhen, wie es der Samstagauftritt in Jena zeigte. Rasant begann das Quartett, verstärkt durch eine vierköpfige instrumentale Backroundband, mit dem groovenden „Birdland“ und eroberte die übersichtlich gefüllte Arena mit perfektem Satzgesang und ausgefeiltem Arrangement. Nur gibt es diese Sanges-Nummer schon seit fünf Jahren, und nach mehreren dieser Wiedererkennungsstandards war die Luft ziemlich raus. Alles routiniert, alles makellos sauber und auf leichte Unterhaltung abgestimmt, erfüllten die Vokalsenioren Tim Hauser, Janis Siegel, Alan Paul und Cheryl Bentyne mit ihrer gefälligen Swingpopjazz-Mischung die Erwartung vieler Besucher nicht. Zudem kühlte der Platzregen, der bei der Version „Rain in Spain“ punktgenau einsetzte,  die Gemüter merklich ab, und so wurde die nachfolgende spannende Version von Miles Davis „Tutu“ leider unterspült. Nach 80 Minuten gab es mit „Tuxedo junction“ schon die erste Zugabe, die gefolgt von  „Chanson d’amour“ und einem unverstärkten A-cappella-Abschluss das Publikum in den Regenabend entließ. Legenden sind eben auch nicht mehr das, was sie versprechen...

Der Sonntagmorgen gehörte der Kinderarena, und es ist durchaus löblich, dass die Veranstalter an dieser Tradition festhalten. Allerdings wäre ihnen bei der Programmauswahl ein pädagogisch versierteres Händchen zu wünschen. Die „Blindfische“ aus Oldenburg reihen zwar in einer losen Nummern- und Animationsfolge durchaus eingängige Hits. Doch das Musikertrio, welches vor fünf Jahren schon einmal die Arena beehrte, und nun im Rahmen seiner Abschlusstournee spielte, hat nur ein Ziel: die kleinen Zuschauer möglichst viel mit Mitmachaktionen zu beschäftigen. Dramaturgische Schlüsse sucht man hier vergebens, das Spiel von Markus (git), Rolf (b) und Schlagzeuger Andy hangelt sich an den Liedinhalten entlang. Und so wird die Arena zum Fußballrund, man kocht „Spinatspagat“, lernt zum Flamenco zu klatschen und bewegt sich zu afrikanischen Rhythmen bei „Akkualle“. Es gibt keine Reflexion oder wechselnde Darstellungsformen. Angeboten wird ein simples Rockkonzert für Kinder mit eingängigen Refrains, etwas Halbplayback und ein wenig Rollenspiel. Wenn sich die Akteure bei der Zugabe als „Piraten“ verabschieden, wäre der Reise mit Kindern mehr Tiefgang und weniger Erwachsenenwelt zu wünschen.



13. Juli 2008


Ganz wenig ist umso mehr


Erfurter Theatersommer mit einer bejubelten Interpretation des „Don Quichotte“


Schon die pfiffige Grundidee sorgt dafür, dass „Don Quichotte“ zum Renner der diesjährigen Spielzeit wird: Der kasachische Regisseur Igor hat sein Ensemble nicht bezahlt. Nun steht er samt seiner Frau Olga vor dem Problem, die Europatournee mit der  spanischen Saga  nur zu zweit und mittels kärglichen Requisiten spielen zu müssen. Beide machen aus der Not der eventuell scheiternden Europatournee eine Tugend. Denn sie wollen aus ihrem Dorf  Semipalatinsk nach Spanien reisen, um dort ihr Heldenepos am Originalort aufzuführen. Und so löst die Souffleuse und Bühnenbildnerin das Dilemma nach anfänglichem Zögern damit, den verzweifelten Gatten anzuspornen und mit Sackkarren, Instrumentenhüllen, Klammern, Windmaschine, Balalaika, Wollschaf, Hammer, Becken, Schlegel, Rohr und einer Tischwindmühle die komplette Szenenfolge sowie alle  handelnden Personen zu imaginieren. Zum andauernden Vergnügen des Publikums, was sich in Überzahl am Freitagabend im Hof der Musikschule einfand, gelingt dieses Theaterwunder. Staunend, lachend und auf anspruchsvolle Weise unterhalten erlebt man pausenlos kreative Umbauten und überraschende Umnutzungen ohne dass dabei Geschichte oder Rahmenhandlung verloren gehen.

Dass „Don Quichotte. Das wahnwitzige Theaterstück“ zum Sommerhit geriert, liegt zunächst an den beiden Erzkomödianten Christiane Weidringer und Klaus Michael Tkacz. Nach den Erfolgsproduktionen „Parzival“ und „Ärger auf Walhall“ kann man die neue Premiere durchaus als krönende Entwicklung bezeichnen, ob man den Maßstab nun an spielerischer Perfektion, komischem Talent, Ensemblegeist oder der Ausdrucksvielfalt anlegt. Indem die Requisiten quasi zur dritten Spielfigur mutieren, werden ständig originelle Sichtweisen produziert. Und spätestens an dieser Stelle sei auch Regisseur Harald Richter zu loben, der Cervantes Epos in Utopie, Komik und tragischen Momenten ernst nimmt, und trotz leichter Machart durchaus auch philosophisch tiefe Momente erzeugt.

Es würde das Vergnügen des künftigen Publikums schmälern, würde man alle innovativen Umsetzungen des Stoffes verraten. So seien hier stellvertretend nur die umwerfend komische Wandlung Weidringers von Dulcinea zu Sancho Panza und das schwarzhumorige Massakrieren eines Stoffschafes erwähnt.

Auch musikalisch ist das Duo Weidringer/Tkacz gereift. Flamencoakkorde auf der Balalaika, gekoppelt mit  alphornähnlichen Tönen eines Metallrohrs sind wohl nicht allzu weit von der kasachischen Seele entfernt, und auch Kinoheld „Borat“ grüßt im anarchischen Geiste.

Mehr kann man von Sommertheater eigentlich nicht erwarten, und so wäre, unabhängig von den jubelnden Standing Ovations des Premierenabends zu prophezeien, dass dieser „Don Quichotte“ trotz kleiner Längen im zweiten Teil durchaus das Zeug zu einem echten Thüringer Exportschlager hat. Bravo!


nächste Aufführungen: bis zum 3. August täglich, außer donnerstags um 20.30 Uhr im Hof der Musikschule, Allerheiligenstraße, Erfurt



27. Juni 2008


Betuliches von den Gleichen


Premiere des „Erfurter Theatersommers“ als behäbige Geschichtsstunde


Es war der Auftakt des „Erfurter Theatersommers“, und von diesem Donnerstagabend hätte man mehr erwarten können. Zwar kämpfte die Premiere der „Legende vom Brautbett“ mit Tücken des Stromnetzes, doch das war für das Publikum ein unmerklicher Nachteil. Enttäuschend war da eher, wie gut aufgearbeitete  Thüringer Geschichte inszenatorisch verschenkt wurde.

Der spielerisch aufgewertete Monolog erzählt die Geschichte des Ernst von Gleichen und seiner zwei Frauen aus Sicht seiner Erstgemahlin Angelika. Annette Seibt gibt dieser und anderen Spielfiguren Gesicht und Temperament und schafft es doch nicht, mit diesen Wandlungen durchgehend zu fesseln. Zu chronologisch, betulich und manchmal  dozierend kommt die Sagenerzählung daher, obwohl Regisseur Harald Richter  sich müht, die trockene Geschichtsstunde aufzulockern. Das gelingt im angenehmen Ambiente des Innenhofs unter dem Lauentor immer dann, wenn die einfallsreichen Requisiten (Ausstattung: Coco Ruch) ins Spiel kommen: das Zweitgesicht des Kräuterweibleins Marthe, die orientalische Landschaft, welche der Suppentopf zaubert, oder das titelgebende Brautbett. Dann lockert sich auch das Spiel von Annette Seibt, und lässt mehr Gestaltungswillen erkennen, während sie ansonsten versucht, den Text mit mimischem Überagieren zu retten. Das ist schade, denn gerade die poetische und überzeugende Wendung am Ende des Monologs birgt viele Chancen zur inszenatorischen Umsetzung, doch da ist das Gespenst der Angelika leider schon hinreichend entzaubert. Warum das Publikum vor der neuen Oper von Angelikas  Geist, statt von einem lebenslustigen Burgfräulein abgeholt wird, bleibt wohl Geheimnis der Regie. Die Dreiecksbeziehung zwischen Ernst, Angelika und Melechsala wirkte sehr bieder, und nicht  erotisch aufgeladen. Mit mehr Puppenspiel sowie Sichtwechseln im stimmigen Aufführungsort wäre sicher mehr Spannung möglich gewesen. Trotzdem dankte das Publikum mit herzlichem Applaus, der nach dem engagierten Solo durchaus verdient war. Doch von der „Theaterfirma“ ist man sonst halt Besseres gewohnt...



31. Mai 2008


Traute Zweisamkeit


Der prachtvolle Festsaal der Wartburg brachte schon so manchen Musiker ins Schwärmen. Auch Sting-Gitarrist Dominic Miller konnte sich der Faszination des Spielorts am Samstagabend nicht entziehen: "Wir fühlen uns als Teil des Raumes."

Schon zum wiederholten Mal gastierte der begehrte Studio- und Live-Musiker mit dem „Level 42“- Keyboarder Mike Lindup im Rahmen des „Wartburgfestivals“. Auch wenn das Konzert im Gegensatz zum Vorjahr nicht ausverkauft war, konnte sich das Publikum wieder an filigran gefeilten Kompositionen mit Konzertgitarre und Flügel erfreuen. Mit fast durchgängigem Serenadencharakter boten Miller und Lindup auskomponierte Soundtracks zu ruhenden Landschaften. Das Repertoire des Duos reichte von klassischen Adaptionen  wie dem „Air“ von Bach und Saties „Gymnopedies“ bis zu Sting-Interpretationen wie „Fields of gold“ oder „Bring  on the night“. Selten erlaubten sich die Musiker rhythmisch forcierte Ausbrüche. Lindup unterstützte das Arpeggiospiel Millers mit sanften pianistischen Kontrapunktierungen und steuerte zudem stimmungsvolle Vokalisen bei.

Trotz aller harmonischen Finesse und musischer Virtuosität fehlte dem Programm eine schlüssige Dramaturgie. Viele Stücke ähnelten in Aufbau und Form, und ein paar rasante Unisonopassagen hätten dem Abend sicher gut getan. So blieb manchmal der Eindruck eines spontanen, aber routinierten Zusammenspiels ohne wirkliche Überraschungen. Die drei Zugaben waren trotzdem verdient, denn schließlich hatte man anspruchsvolle und eingängige Popmusik mit sympathischen Musikern gehört.




15. Mai 2008


Dieses war der sechste Streich


Ein bissiger Chansonabend mit den Salonhoppern Pigor und Eichhorn nebst Verstärkung im Spiegelzelt



Mit schöner Regelmäßigkeit hat sich das Berliner Duo einen Stammplatz im Weimarer Spiegelzelt erobert. Das sicher auch deshalb, weil sich Pigor & Eichhorn, erweitert durch den leisen DJ Ulf, mit jedem Programm neu erfinden. Pianist Benedikt Eichhorn bleibt im sechsten Abend des Hiphop-Chansonniers zwar ungeschorener, er darf den Meister interviewen und wieder ein eigenes Chanson eigenbegleitet singen, (das diesmal folgerichtig „Der Begleiter“ heißt); aber der Star des Abends bleibt eben Pigor, und das lässt er seinen Tastenknecht genüsslich spüren.


Wer alle Pigor-Programme gesehen hat, erfreut sich an den immer neuen Spielvarianten der Auseinandersetzung zwischen Pianist und Sänger, während sich Ulf hinter seinem Computer sicherheitshalber bedeckt hält. Das Publikum teilt lachend die diabolischen Lüste der Bühnenkontrahenten, doch vereint schlagen die drei umso stärker zu. Da wird der Aufstand der frustrierten Computernutzer ausgerufen, der Sex mit der Parfümverkäuferin zum aberwitzigen Zahlenspiel und deutsches Heimweh durch maulende Rentner relativiert.


Die durchwegs ungewöhnlichen und originellen Chansonthemen liegen zwar auf der Straße, aber Pigor sammelt sie geschickt und einzigartig auf, veredelt sie durch seine Wortkaskaden und gibt seinen Zuhörern intelligente und witzige Unterhaltung in Bestform. Was sich dabei so leicht und eingängig anhört, birgt meisterhaftes Arrangement durch seine musischen Begleiter und höchste sprachliche und rhythmische Präzision des Sängers und Moderators Pigor. Bei einem in der Mitte des Abends platzierten Interview geißeln Pigor und Eichhorn stereotype Journalistenfragen und eitles Talkshowgehabe; der Ablauf des Abends  ist perfekt durchstrukturiert und verrät professionelles Regiehandwerk.


Insgesamt ist „Volumen 6“ wieder ein gelungener Angriff auf Lachmuskeln und Denkwerk und lässt neue Facetten entdecken. Beispielsweise beim „Mitteleuropäer-Blues“ oder dem hochdynamischen „Jung und inkompetent“ mit leisen, intensiven Tönen. Die dritte, begeistert erklatschte Zugabe macht nach all den Missstandsanalysen wieder Mitklatschmut, denn „die Kevins haun uns raus“. Bis es allerdings dazu kommt, freut sich das Publikum selbstredend auf ein jährliches Wiedersehen im Spiegelzelt.


Übrigens kann man diesen Abend heute noch einmal an gleichem Ort erleben. Erstaunlicherweise sind sogar noch Karten vorhanden



1. Mai 2008


Krauses Passion


Ein Kommentar von Matthias Huth


In einer der ruhigen, eindringlichen Szenen des Meisterthrillers „Sieben“ von David Fincher erzählt Detective Somerset alias Morgan Freeman von einem polizeilichen Ratschlag in amerikanischen Metropolen. Angegriffene sollten in Notsituationen immer „Feuer“ schreien. Denn Hilferufe wären nicht dazu angetan, Anwohner aus ihrer Lethargie zu reißen. Momentan gibt es in Thüringen eine Menge unqualifizierter oder institutionell gehorsamer Brandmelder, obwohl in diesem Falle kein Löschbedarf vonnöten ist.


Es geht um die Ernennung Peter Krauses zum Thüringer Kultusminister durch Dieter Althaus. Diese Berufung erfolgt in einem Kontext, der die Opposition nach Neuwahlen schreien lässt. Meiner Meinung nach, ist die Beförderung Krauses (im Gegensatz zu der unsäglichen Bestallung der Volkskammer-Opportunistin Marion Walsmann zur Justizministerin) eine der raren vernünftigen Entscheidungen des Ministerpräsidenten, denn der Vorsitzende des Weimarer Kreisverbandes der CDU ist ein kluger Kopf. Und er ist ein Mann, der Göbels Nachfolge durchaus antreten kann, denn Krause bewies sich bisher in Sachen Kultur kompetent.


Doch Peter Krause ist ein streitbarer Intellektueller. Wenn man ihm etwas vorwerfen könnte, dann, dass er Fettnäpfchen nicht immer geschickt ausweicht. Aber was in den letzten Tagen über ihn hereinbrach, ist die größte Rufmordkampagne der Nachwendezeit in Thüringen.


Krause hat 1998 ein halbes Jahr redaktionell für die „Junge Freiheit“ gearbeitet. Die Zeitung steht in Deutschlands heutiger Presselandschaft für ein Scharnier zwischen rechter Intellektualität und braunem Rand. Diese Zuordnung war in der Zeit, als Krause dort publizierte, nicht absehbar. Insofern war es folgerichtig, dass die Rechtsauslegerzeitung sich bald von ihm trennte. Denn soviel Freigeist war den braunen Lesern sicherlich suspekt. Zitate gefällig?


„Für Konzepte reicht, wie bei der DVU, ein A-5-Blatt... Die Rechte verbreitet den schlichten Mythos von der Macht des Politischen und Überschaubaren. Deshalb wird sie gewählt“.


Oder Krauses Analyse zu politischen Tendenzen im Osten: “Die DVU ist eine der unappetitlichsten Gaben, die uns die politische Entwicklung der jüngsten Jahre beschert hat...Was bot sich am ehesten an, um das politische Tabu zu brechen, das wohlgeordnete Parteiensystem zu ärgern, als für eine extrem-unpolitische und am meisten verfemte "Partei", für das Blöde und ästhetisch Unzumutbare zu votieren?

Und auch dieses Interview wird der braunen Klientel nicht geschmeckt haben: Dort verlautet Ferdinand Fürst von Bismarck: „Auch das innenpolitische Konzept Hitlers und der Rassenwahn stehen nicht in der Tradition Bismarcks oder Preußens“.


Wenn Krause in der „Jungen Freiheit“ und anderen Zeitschriften, wie beispielsweise der „Etappe“ für etwas plädierte, dann war es die Freiheit des Denkens, und das steht unstrittig diametral zu rechtsextremen Gedankengut. Sein generelles Journalistencredo gilt  staatlicher Souveränität und korrekter Aufarbeitung des Unrechts kommunistischer Diktaturen. Das kann man einem Bürgerrechtler aus der DDR nicht verdenken. Schließlich waren wir mal das Volk, und wollten es auch bleiben. Krause war Erstunterzeichner des „Neuen Forums“ in Jena, und das ist ein weiterer Beweis für seine demokratische Gesinnung.


Dass er nun als parteipolitisches Bauernopfer an den rechten Rand geschoben werden soll, ist absurd. Skandalös wird es aber dadurch, dass die Vermutung einer Nähe zum Rechtsradikalismus durch Krauses Wirken bei der „Jungen Freiheit“ vor seinem geschriebenen Wort in dieser Postille steht. Und dass Vertreter der Politik- und Journalistenschickeria sich nicht einmal die Mühe machen, Krauses Texte, (wenn überhaupt?), dann vorurteilsfrei zu lesen. Sachliche Information wird durch Spekulation ersetzt, auch wenn letztere durch Krauses Lebenswirklichkeit widerlegt wird. Was nicht passt, wird eben passend gemacht.


So unterstellt SPD-Matschie Krause eine Relativierung des Holocaust, welche nirgendwo belegt ist. Die Grüne Roth blubbert natürlich auch etwas, aber das kennt man ja. Und die PDS ist eh dagegen. Nossen, der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde Thüringens kennt eigentlich Krauses liberale Ansichten seit Längerem, hängt sein Mäntelchen aber feige in den Gegenwind. Und Knigge hockt auf seinem Buchenwaldberg und hat urplötzlich Bedenken. Wenn Krause wirklich ein verkappter Türöffner für die braunen Horden sein sollte, warum war er denn dann für den Gedenkstättenleiter Knigge als Stadtrat seines Ortes tolerabel?


Anders gefragt: Hat sich Krause jemals einem Engagement Weimars gegen Rechts entzogen? Oder reicht es mittlerweile schon, unangepasstes konservatives Denken zu zeigen, um als Nazi zu gelten? Und wenn Krause schon 1998 eine fundierte Parteienanalyse des rechten Spektrums liefert, ist das dann schon eine Sympathieerklärung? Ist der, welcher den Brand beschreibt, auch der Brandstifter? Und haben wir nicht seit Aristoteles den ehernen Rechtsgrundsatz „In dubio pro reo - Im Zweifelsfalle für den Angeklagten? Und letztlich: Steht vor der publizistischen Meinungsbildung nicht erstmal die gründliche und unabhängige Recherche?


So viele Fragen, da will ich auch mal spekulieren. Ich glaube, dass Dr. Peter Krause manchen Weimarer und Thüringer Pfründen gefährlich werden könnte. Da müssten beispielsweise Finanz-Forderungen aus der Hochkultur und Besetzungen in der Politikvetternwirtschaft wirklich begründet werden. Vielleicht erscheint Krause manchem Ratgeber ohne Mandat deshalb als nicht ministrabel.


In einem wunderbaren kultur- und medienkritischen Artikel Krauses im Literaturmagazin „Palmbaum“ aus dem Jahr 2006 steht sein folgender Satz: „Das Vermögen, Stimmungen zu evozieren und die Presse zu beherrschen, entscheidet.“ Krause ist vielleicht ein Prophet und wäre sicher ein guter Kulturminister -  ein Nazisympathisant oder Rechtsradikaler ist er nicht.


Aber er wird mit diesen von Politik und Medien herbei geschriebenen Stigmata leben müssen, und das ist ungerecht. Laute Feuerwarnungen vor dem braunen Spuk sind richtig. Falscher Alarm ist aber in diesem Bereich sehr gefährlich, weil er letztendlich zum Weghören führt. Darüber sollten sich die Kreuziger Krauses ernsthaft Gedanken machen.


„Sieben“ endet mit einem inneren Monolog Sommersets. „Ernest Hemingway hat mal geschrieben: ‚Die Welt ist so schön und wert, dass man um sie kämpft.‘ Dem zweiten Teil stimme ich zu.“



27. April 2008


Hüttenzauber


Brittens „Sommernachtstraum“ als frische und geglückte Kooperation im DNT


Die Sommernachtstraumwelt ist eine Dorfkneipe mit Blick auf malerische Bergeshöhen, und das Kreuz am Gipfel lässt auf deutsches Brauchtum schließen. Und da Bier in dieser Operninterpretation ein ganz besonderer Saft ist, nimmt Shakespeares Liebesverwirrspiel stilecht und ein wenig profan seinen Lauf.


Der klassische Stoff in Benjamin Brittens Opernfassung erwies sich bei der DNT-Premiere am Samstagabend als außerordentlich geglückte Zusammenarbeit zwischen jungem Staatstheater, Musikhochschule und Musikgymnasium. Der musikalische Part verlangt Orchester und Chor viel Rhythmusgefühl und harmonische Hürden ab, welche die jungen Musiker unter dem Dirigat von Juri Lebedev achtbar meisterten. Die ungewöhnliche Orchester-Besetzung des modernen Klassikers Britten, der Harfeneinsätze, Glockenspiele und verschiedene Schlagwerke in seiner 1960 entstandenen Komposition favorisiert, gibt Shakespeares Libretto eine belebende Leichtigkeit, obwohl man eingängige Ohrwürmer vergebens suchen wird. Brittens situative Musik findet sicher nicht jedermanns Ohr, aber sie verprellt niemanden, und begeistert die Kenner.


Und da die Kooperation der Weimarer Kulturinstitutionen etwas Besonderes ist, scheint es laut Programmheft keine Regisseure, sondern nur ein Inszenierungsteam zu geben. Doch die Zusammenarbeit von Tobias Katzer und Elena Tzavara, beide Stipendiaten der „Akademie Musiktheater heute“ ist so schlüssig, dass man (im Gegensatz zu den jüngsten „Faust“-Debakeln“) durchaus von einer gelungenen Regiearbeit sprechen kann.

Das liegt zunächst an der intelligenten Hinterfragung des Stoffes. Während noch im ersten Teil der heimattümelnde Touch etwas  flach wirkt, verdichtet sich im zweiten Akt das Konzept als humorvolle und intelligente Lesart des Librettos und lässt den Akteuren viel Raum zwischen  Kabinettstückchen und anspruchsvollem Spiel.


Der schwule Lebemann Oberon (Countertenor Matthias Koch) und die Kneipendiva Titania (Sopranistin Hellen Cho) geraten wegen eines Lustknaben in zaubervollen Streit, den das prollige Lederhosenoriginal Puck (Ferdinand Dörfler) in ein Liebeschaos wandelt. Das Quartett Lysander (Artjom Korotkov), Demetrius (Piotr Prochera), Hermia (Janine Metzner) und Helena (Juliane Leonore Schenk) findet durch Bierrauschzauber keine Liebesseligkeit sondern ungewollten Partnertausch. Zwar sind die erotischen Bilder abgegriffen, aber die Sangesleistung der vier HfM-Opernstudiomitglieder ist nahezu professionell, nur im gemeinsamen Gesang sind noch einige harmonische Ungenauigkeiten zu hören.


Die sechs Handwerksmeister, auch allesamt vom Opernstudio, spielen ihre Kabinettstückchen bravourös und komisch aus. Wenn dann Fürst Theseus (Andreas Koch) und Gattin Hippolyta (Christine Hansmann) als trefflich karikierte Theaterabonnenten die absurde Inszenierung ihrer Untertanen ertragen um sich schließlich bierselig und brünstig in die Arme zu fallen, erreicht der Opernabend seinen spaßigen Höhepunkt, ohne dem platten Klamauk zu huldigen.


Insgesamt überzeugen Instrumentalisten und Sänger in einer anspruchsvollen Inszenierung, die von Kathrin Broses faszinierendem und sinnfälligem Bühnenbild gerahmt wird. Der begeisterte Schlussapplaus ist verdient, und sollte dem DNT vielleicht ein paar mehr Aufführungstermine abringen. Denn bisher besteht die Chance den „Sommernachtstraum“ zu sehen nur heute (Montag, 28. April, 19:30 Uhr) und am Donnerstag (1. Mai, 19:30 Uhr). Schade eigentlich, aber der abgesetzte „Faust II“ lässt ja ein paar Abende offen...




18. April 2008


Effektive Beschränkung


Grandioses Prolog-Konzert der 15. Jazzmeile im mon ami


Der Prolog der 15. Jazzmeile hätte spannender kaum sein können, und nachfolgende Konzertangebote müssen die Messlatte hoch legen, um im Vergleich bestehen zu können. Der Schweizer Nik Bärtsch mit seinem Quintett „Ronin“ setzte im großen Saal des mon ami am Donnerstagabend sicherlich Jazz-Maßstäbe, wenngleich leider nur sechzig Besucher dem außergewöhnlichen Angebot folgen wollten.


Bärtsch ist Pianist und Komponist und verbindet Minimal music mit groovendem Jazz. Kleine Melodiesegmente werden in immer neuen Variationen aneinandergereiht, dadurch ergibt sich ein ständiges Pulsieren der Musik. Das klassische Jazz-Schema von Thema und Chorus ist hier völlig aufgelöst, jeder Musiker kommt ständig zu Wort, aber mit wechselnden dynamischen Gewichtungen. Das fordert sowohl dem Quintett als auch dem Publikum höchste Konzentration ab, denn feinste Nuancierungen prägen die langen Kompositionen, die manchmal meditativ und manchmal unablässig rhythmisch treibend wirken.


Mit der Präzision eines beseelten Schweizer Uhrwerks spielen Pianist Nik Bärtsch, Schlagzeuger Kaspar Rast, Björn Meyer am Elektrobass, der Perkussionist Andi Pupato und Sha mit Bass- und Kontrabass-Klarinette sowie Sopransaxophon die bis ins kleinste Detail ausgefeilten Module, welche die Stücke der aktuellen CD “Holon” originell und organisch zusammenführen. Man erstarrt bei soviel musikantischem Können fast in Ehrfurcht, daher nach den langen Stücken kein frenetischer Applaus, obwohl der sicher verdient wäre.


Das geniale an diesen Stücken ist, dass sie die Ohren wieder für Musik schärfen, aber das ist halt auch sehr intensiv und anstrengend. Und zugegeben: ganz neu ist Bärtschs Konzept nicht: schon in den 80er Jahren gab es in der DDR mit der visionären Amiga-Platte „Unit“ des Trios Fiedler/Eitner/Schlott die geglückte Verschmelzung von Minimal music und Jazz.

Auf Bärtschs zeitgeistgemäß titulierten Zen-Funk muss man sich einlassen, aber dieser Einsatz lohnt. Gerade in der Beschränkung des Materials zeigen sich die Meisterschaft des klug besetzten Ensembles und das überragende Rhythmusgefühl der Musiker. „Ronin“ ist keine leichte Ohrenkost, aber durch hohe Innovation geprägt. „Viel Spaß mit den Liedern aus unserer Heimat“, sagt Nik Bärtsch verschmitzt bei einer der wenigen Konversationen. Zugabe und der Applaus beweisen, dass das Publikum diesen Spaß gehabt hat.


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