Tagebuch von Matthias Huth 2006

 

23. November 2006

Gelungener Einstand

Der neue James Bond „Casino Royale" ist in der Gegenwart angekommen


Geheimdienst ist ein sehr dreckiges und hartes Geschäft. Das zeigt uns der Fall Roewer ebenso wie im Nachtprogramm versteckte Dokumentationen über Stasiverstrickungen des ZDF. Wesentlich unterhaltsamer geht es da bei dem neuen James Bond „Casino Royale“ zu. Der Einstieg mit Daniel Craig ist mehr als nur überzeugend, er stellt alle seine Vorgänger bis auf den Bondgott Connery in den Schatten. Paul Haggis, der am Drehbuch mitarbeitete, ist für den überzeugenden Neustart mit verantwortlich, denn dieser begnadete Schreiber, der mit „L.A. Crash“ einen der verdientesten Oscars einheimste, hat sich nicht der „Q“-Welt ergeben, sondern hat sich aufmerksam die Erfolgsserie „24“ angesehen.
Craig ist ein physisches Schlachtpaket mit klugem Kopf und gezähmten Manieren, der den Terroristen-Bankier Le Chiffre jagt. Und er verliebt sich richtig, was auch bei einer Eva Green nicht ganz unverständlich ist. Und er schlägt hart, er blutet, er schwitzt und er schreit, wenn er gefoltert wird.
„Casino Royale“ hat nichts mehr von der Gentleman-Attitüde in Plastikwelten und sofortwilligen Frauen. Dieser Bond ist bis auf eine einfallslose Titelmusik fast in der Realität angekommen und zeigt seine Energie mit aufregenden Stunts ohne Maschinen. Alleine die anfängliche atemberaubende Verfolgungsjagd über Baustellengerüste und Kräne ist das Kinogeld wert, aber auch sonst wartet „Casino Royale“ mit einigen Überraschungen und passenden Sprüchen auf.
Sicherlich ist Craig nicht der Romantiker, er ist ein präziser Arbeiter in einer kleinen Hierarchie. Er will wohl nicht die Welt retten, aber im richtigen Moment das Richtige tun. Und so verhindert er Flugzeugattentate, liquidiert Verräter und pokert für sein Vaterland, ohne seinen Körper zu schonen.
Dieser Bond ist ein Seelenverwandter Jack Bauers, obwohl er nicht ganz so viel Stress hat wie der CTU-Agent. Aber auch hier gibt es unglückliche Liebe, Verrat und ein bisschen Hinterfragung der harten Männer und schönen Frauen.
„Casino Royal“ sollte ursprünglich „Bond begins“ heißen, und das wäre sicher ein besserer Titel gewesen. Denn die Geschichte führt zu den Anfängen des Geheimdienstagenten, erklärt auch spätere Haltungen des 007 und atmet trotz realistischer Gegenwarten noch ein wenig Zeitgeist der Sechziger.
Judi Dench als „M“ ist eine intelligente Chefin, und es wäre sicher eine ebenso spannende Geschichte, wie sie zu dem Job gekommen ist. Sie ist einem Bond spielend gewachsen, und Mads Mikkelsen gibt „Le Chiffre“ als ebenso überzeugend fiesen Gegenspieler.
Die 144 Minuten sind nie langweilig, und für Pionierblasen und Getränkeumsatz gibt es im Cinestar auch eine kleine Pause. Es lohnt sich also, den neuen Bond zu sehen, wenn man nicht mehr als spannende Unterhaltung erwartet. Und das, liebe Autorenfilmer, will ja auch gekonnt sein.


13. November 2006

Erlaubt ist, was lustig ist?

Das "kleine Arschloch" gibt es jetzt als Realfilm. Unter den Namen "Borat" testet Hardcore-Komiker Sacha Baron Cohen die Schmerzgrenzen der Satire und spaltet damit die Meinungen der Kinozuschauer...

Als Taxifahrer im Madonna- Video wurde er international bekannt, seine Shows als Ali G. arbeiteten gezielt mit beleidigenden Fragen, die einen hiesigen Karl Dall als Weichei dastehen ließen. Nun hat Sacha Baron Cohen einen weiteren Coup gelandet. "Borat", der unlängst im Kino anlief, ist eine anarchische Fake-Dokumentation über einen kasachischen Reporter, der seine Nation filmisch über Amerika aufklären, und seine Libido an Pamela Andersen ausleben will. Zunächst: Es ist ein sehr lustiger Film. Die Figur des Borat, von Sacha Baron Cohen selbst gespielt, ist wohl bis jetzt seine überzeugendste Rolle: ein Naivling, der freundlich sämtliche Tabus bricht und seine chauvinistischen sowie rassistischen Überzeugungen wie selbstverständlich als kasachisch-landeseigen präsentiert. Dabei ist "Borat" seelenverwandt mit dem "kleinen Arschloch" von Moers, welches mit ähnlicher Intention operiert. In absurder Form führt Sacha Baron Cohen viele Klischees vor, sein Humor ist aufklärerisch bis zur Schmerzgrenze. In den besten Filmmomenten, etwa, wenn er im texanischen Stadion das Publikum nationalistisch hochprügelt, bis der es dann mit seiner kasachischen Hymne verstört; oder bei der Einladung im vornehmen Hause, wo seine Fäkalien weniger Anstoß erregen, als die Einladung einer farbigen Nutte, ist "Borat" eine glänzende Satire. Dagegen stoßen Szenen, wie bei dem Besuch einer jüdischen Familie oder als menschlicher Elefant in einem amerikanischen Porzellanladen schon an die Schmerzgrenze des Geschmacklosen, und sind eher diffamierend als aufklärend.
Trotz allem teilt "Borat" genüsslich nach allen Seiten aus, nimmt Politik, Medien und religiöse Erwecker ebenso auf die Schippe wie Macho-Studenten und Straßenrapper.
Dass "Borat" jetzt beispielsweise in russischen Kinos die Vorführlizenz verweigert wird, zeigt deutlich, dass es durchaus noch treffsichere politische Satire gibt. Da können die handzahmen Privatsender-Comedy-Äffchen wie Appelt, Oschmann oder Barth durchaus noch was lernen...


2. November 2006

Mediales Brandmal

Ein evangelischer Pfarrer im Ruhestand hat sich am Reformationstag verbrannt. Also vorgestern, am 31. Oktober. Er wollte ein Zeichen setzen gegen die schleichende Ausbreitung des Islam. Er hat nichts gegen diese Religion gesagt, oder deren Anhänger. Er wollte halt nur ein eigenes Zeichen setzen, weil ihn die seine Amtskirche nicht ernst genommen hat.
Er ist nicht der erste, der mit seinen kritischen Anmerkungen quasi ins Leere gepredigt hat, obwohl sein Anliegen durchaus ehrenhaft ist. (Weimars Superintendent Wolfram Lässig hat beispielsweise mit den 99er Kanzelstreit und seinen mahnenden Worten gegen die Pfarrstelleneinkürzungen seinen Landesbischof verärgert. Vielleicht wurde er nach 38 Jahren (!) Kirchendienst auch deswegen nicht vom Bischof verabschiedet...)
Die Tat des Windischholzener Pfarrers, der in der heutigen TLZ-Ausgabe als "Ex-Pfarrer" betitelt wird (so etwas gibt es nicht!) ist erschreckend, zumal ja die Spekulation offen bleibt, was passiert wäre, wenn eine bestimmte Tür des Augustinerklosters nicht verschlossen gewesen wäre, und damit die Selbstverbrennung vor der Gemeinde stattgefunden hätte. Doch sollte man bei solchen Gedankenspielen nicht den Unterton zulassen, dass der Selbstmörder damit andere als sich selbst verletzen wollte.
Was die Tat aber exemplarisch aufzeigt ist, wie hier die Wichtigkeit von Nachrichten eingeordnet und manipuliert wird. Weder dem gestrigen "heute-Journal" im ZDF, noch den "Tagesthemen" der ARD, war diese Selbstverbrennung eine Meldung wert. (Und nebenbei: Tagesthemen-Nachrichtensprecherin Susanne Daubner war nicht in der Lage, den Namen des 80jährigen Schriftstellers de Bruyn richtig auszusprechen!) Wichtiger waren den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmagazinen beispielsweise die Apothekenstreits oder das Porträt einer Alzheimer-Kranken). Der mdr hatte im Videotext eine längere Meldung, aber auch nicht als Top-Nachricht.
Online hatte die Bild-Zeitung erst heute reagiert (die diesbezügliche Pressekonferenz fand gestern nachmittag statt), SPIEGEL-ONLINE wurde dagegen mit einem längeren Artikel seinem Ruf als beste deutsche Nachrichtenquelle gerecht. Die Radiostationen Thüringens vermeldeten gestern, und heute befassen sich die Thüringer Zeitungen TA und TLZ ausführlich mit dem Thema (dieser Zeitpunkt allerdings feiertagsbedingt, muss man fairerweise einräumen...). Dagegen waren die Online-Redaktionen dieser Zeitungen gestern noch im Dornröschenschlaf.
Gerade die Nähe zum Brüsewitz-Selbstmord sollte sensible Medienmacher erkennen lassen, wie wichtig und schockierend das Thema für die hiesige Bevölkerung ist. Bis gestern hat sich der Nachrichtenstandort Thüringen jedenfalls nicht mit Ruhm bekleckert.


1. September 2006

Offener Brief zur Situation des Kunstfestes 2006 in Weimar

Wir finden es höchst an der Zeit, uns als Künstler und Intellektuelle gegen die Art und Weise zu verwahren, mit der Nike Wagner das Weimarer Kunstfest repräsentiert und das Bild von Weimar in der Öffentlichkeit zeichnet.
Der Eklat bei der Eröffnung des diesjährigen Kunstfestes zeigt unserer Meinung nach explizit, dass Nike Wagner ihrer Aufgabe nicht gewachsen ist und die Öffentlichkeit wissentlich in die Irre führt. Unterstützt von ihrer Geschäftsführerin Gräfin Franziska zu Castell-Castell wird bewusst der Eindruck erweckt, dass die Kunstfest-Leitung für die Auslassungen Hermann Schäfers nicht verantwortlich ist; er wird von Gräfin Franziska zu Castell-Castell sogar als Lügner hingestellt. Dabei ist die Lesart des Einladungsbriefes an Hermann Schäfer unseres Erachtens nach eindeutig. Das Buchenwald-Gedenkstättenleiter Volkhard Knigge nach Informationen der "Thüringischen Landeszeitung" Nike Wagner im Vorfeld eindeutig vor den Problemen mit dem Redeinhalt Schäfers bei der Eröffnungsveranstaltung "Gedächtnisort Buchenwald" gewarnt hat, legt den Schluss nahe, dass Nike Wagner und Gräfin Franziska zu Castell-Castell diesen Inhalt der Rede erwartet haben, und Hermann Schäfer bewusst zum Zwecke der Provokation und Brüskierung einsetzten.
Ein nach ihrem eigenem Bekunden "ahnungsloses" Zuarbeiten für die Zeitschrift "Junge Freiheit" lässt eine Gesinnungslinie erkennen, mit der Nike Wagner als Leiterin des Weimarer Kunstfestes nicht mehr tragbar ist. Und wenn sie in "SPIEGEL online", die Reaktion des Publikums auf die Schäfer-Rede zunächst als "unartig" deklariert, zeugt auch das von einem merkwürdigen Selbstverständnis.
Wir sehen es auch nicht mehr ein, dass wir quasi als "Gastgeber" von Nike Wagner und Gräfin Franziska zu Castell-Castell hinnehmen müssen, dass die Kunstfestleitung über Weimar in der Öffentlichkeit ein Bild verbreitet, das vielleicht eher ihrem Horizont denn der Wirklichkeit entspricht. In einem Interview in der Zeitung "Die WELT" vom 23. August 2006 wird den Weimarern von Nike Wagner unterstellt, "dass sie sich in ihrer hübschen Kleinstadt langweilen, und deshalb lieber unterhalten werden wollen." An anderer Stelle sagt Gräfin Franziska zu Castell-Castell wörtlich: "Dadurch, dass Weimar eine provinzielle Kleinstadt ist, ist auch herzlich wenig los." Das ist unserem Erachten nach rufschädigend.
Ein Blick in den Veranstaltungskalender zeigt deutlich, dass es in Weimar auch außerhalb des Kunstfestes jederzeit ein ausreichendes, anspruchsvolles Kulturangebot gibt. Und das, obwohl wir von solch komfortablen finanziellen Zuwendungen, wie sie das Kunstfest seit der Ägide von Nike Wagner bekommt, nur träumen können und viele Künstler ihre Projekte ohne materielle Förderung durchsetzen.
Selbst wenn man über die Qualität mancher künstlerischer Darbietungen in Weimar durchaus streiten kann, so ist doch Eines unmissverständlich klar: Der Großteil der Weimarer wehrt sich öffentlich und unbequem mit "bunter Vielfalt" gegen jegliche Vereinnahmung durch nationalsozialistisches Gedankengut. Wenigstens diese Protesthaltung sollte die Kunstfestleitung nicht nur wahrnehmen, sondern auch öffentlich unterstützen.
Letztlich zeigt das selbstherrliche Auftreten Nike Wagners und ihrer Geschäftsführerin Gräfin Franziska zu Castell-Castell, der Umgang mit ihren Kritikern und die Ausgrenzung eines Großteils des regionalen künstlerischen Potentials, dass die momentane Kunstfestleitung von Anfang an nicht bereit war, sich wirklich auf das gegenwärtige Weimar einzulassen. Aus diesem Grunde halten wir eine Weiterbeschäftigung Nike Wagners und ihrer Geschäftsführerin Gräfin Franziska zu Castell-Castell als Weimarer Kunstfestleitung für nicht mehr tragbar und bitten die politisch Verantwortlichen, endlich die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und Alternativen zur aktuellen Form des Weimarer Kunstfestes zuzulassen. Nike Wagner wurde als eine Person mit "Strahlkraft" engagiert, doch auf diese Art der Ausstrahlung können wir gerne verzichten.

Erstunterzeichner: Matthias Huth (Verfasser), Gabriele Gericke (Autorin), Daniel Schmidt (Grafikdesigner), Martin Kranz (Veranstalter), Jürgen Postel (Musiker), Karsten Hentrich (Dipl.-Ing Arch.)


1. September 2006

Naturromantik

Das Wetter war am Donnerstagabend endlich hold, und die beeindruckende Naturbühne an und auf der Ilm im Tiefurter Park tat ein Übriges, um das Publikum einzunehmen. Aufgeführt wurde vor ausverkauftem Rund das goethesche Wald- und Wasserdrama "Die Fischerin". Da die Uraufführung des kleinen Singspiels 1782 an gleichem Ort stattfand, war dies ein passender Beitrag zur 800-Jahr-Feier des Tiefurter Parks. Der Reiz der Darbietung lag im romantischen Ambiente, der liebevollen Ausstattung und der musikalischen Ausführung. Unter der präzisen Leitung von Mathis Christoph entwickelte das Kammerorchester der Weimarer Musikhochschule einen überraschend vollen Klang, der die Sänger nicht akustisch übertönte.
Die Handlung ist schnell erzählt: Fischerin Dortchen, sopranistisch frisch besetzt mit Susanne Langbein, spielt ihren Ertrinkungstod vor, um den künftigen Gatten Niklas (Björn Adam) und dessen Vater (Stefan Puppe) nachhaltig zu erschrecken. Die Tändelei findet natürlich ein glückliches Ende und das Sängertrio glänzt durch Intonationsreinheit und gute Textverständlichkeit. Insgesamt ein freundliches Sommerabenderlebnis, welches durch die nachfolgende Illumination des Parks romantisch abgerundet wird.


20. August 2006

Formfragen

Die neue Berliner Chansonszene verträgt keine große Arenabühne


Nicht jede Sehnsucht trägt auf einer großen Bühne. Bei dem diesjährig vorletzten Arenaabend zeigten sich die Vertreter der neuen Berliner Chansonszene zwar inhaltlich in entspannter Verfassung, nur die Form bereitete entschieden Probleme.
Kitty Hoff eröffnete das Doppelkonzert im lockeren Charlestonkleid und erinnerte damit auch äußerlich an den Retrostil, den sie und ihr "Schwarzwald-Quartett" ("Forêt-Noire" klingt natürlich besser) pflegten. Mit leichter und ironischer Brechung und etwas ätherisch angehaucht singt die Hoff von Leichtmatrosen, kleinen Hunden und vom Himmel, der das Meer berührt. Sehr poetisch und eingängig ist dies ein beswingter Soundtrack für laue Sommernächte mit Samba-, Bossa- und Reggeaezutaten. Doch auch der besungene "Walzer der Möglichkeiten" offenbarte die Schwäche des Konzerts: in kleiner Clubatmosphäre mag das Sehnsuchtskonzept ausgezeichnet funktionieren, doch optisch trägt das Ganze auf großer Bühne einfach nicht. Die sensible Beleuchtung von "adapoe-sound" tut, was sie kann, aber das musikalisch perfekte Ensemble steht einfach zu still, die Frontsängerin trippelt hin und her und bleibt in den hinteren Zuschauerreihen gesichtslos, und so war die Zugabe wohl eher Pflichtübung als Publikumsbedürfnis. Es blieb eine Sehnsucht, die per CD garantiert besser befriedigt werden kann.
Wer die charismatische Lisa Bassenge mit ihrem Trio im vorigen Jahr im Weimarer Spiegelzelt erlebte, konnte das benannte Manko in Jena noch deutlicher erkennen. Mit ihrem exzellenten Bandtrio im Hintergrund gelangen ihr zwar bei der Interpretation von Hollaender-Hits im originellen Popgewand deutlich innovativere Momente als bei Kitty Hoff. Die inzwischen hochschwangere "Nylon"-Frontsängerin ist stimmlich nach wie vor faszinierend und eigenständig, doch erfordert ihr Auftritt den intimen Rahmen. Zudem geriet bei den Eigenkompositionen manches musikalisch zu fade, und konnte nur durch die intelligenten Texte gerettet werden. Als Zugabe dann mit "Frühling in der Schönhauser" noch ein Thalheim-Cover, aber frenetischer Kulturarena-Applaus klingt halt anders. So bleibt als Fazit der perfekt arrangierte Sound für grassierenden Neoliberalismus im Ohr, und die Achtung vor perfektem Sound und kreativem Bühnenlicht durch einheimische Könner.


13. August 2006

Perfekte Kopie

Tom Gäbel lässt die Kulturarena cool swingen


Das Zauberwort heißt Retro. Und auch wenn Tom Gäbel seinem Übervater Sinatra laut Ankündigung entfliehen will, so erinnert schon der Eingangstitel "Let the good times roll" zwingend an die amerikanische Instanz. Und so erlebte die Arena am Samstagabend einen bestens aufgelegten Entertainer, faszinierenden Sänger und potentiellen Womanizer.
Das Talent des Westfalen wurde in Deutschland geschickt von Stefan Raab mit einem Fernseh-Jazzabend protegiert, und auch Superstar Robbie Williams hatte mit seiner Swing-CD die Welle erzeugt, auf der Gäbel erfolgreich reitet. Er kopiert Sinatra mit Stimme und Habitus so täuschend echt, dass man wirklich meint, einem der legendären Konzerte der Jazz-Ikone beizuwohnen. Daran hatte natürlich auch Gäbels exzellente zehnköpfige Bigband ihren Anteil, die stilistisch sicher und mit hoher Musikalität agierte, und dem Leadsänger damit verlässlichen Hintergrund garantierte. Hervorzuheben sind hier der virtuose Tenorsaxophonist Denis Gäbel und der sensible Pianist Lars Duppler.
Tom Gäbel beschränkte sich nicht nur auf seine gesanglichen Qualitäten, sondern spielte gekonnt mit dem Publikum und unterlief bei seinen versierten Conferencen ironisch die Erwartungshaltungen an Showmaster. So ließ er einen Weimarer pfeifend zu "Mr. Bojangles" werden, lieferte sich mit Michael Theissing-Tegeler einen schwungvollen Posaunen-Doppelchorus und bearbeitete publikumswirksam bei "Sing Sing Sing" das Tomtom. Das risikofreie Repertoire beinhaltete alle bekannten Sinatra-Hits; die 1700 Arena-Zuhörer ließen sich begeistert in die coole und humorvolle Smoking-Welt des "Rat-Pack" entführen. Die breit kompatible Unterhaltungsshow ließ aber bei aller Liebe zum Detail den kreativen Künstler Tom Gäbel vermissen, eine ungenutzte, doch sicherlich spannende Chance, dem Sinatra-Double etwas Eigenständiges mitzugeben. Fazit: Stilsichere Unterhaltung, aber eine perfekte Kopie ist eben noch kein Original.


6. August 2006

Vielseitige Saiten

Die Gitarrennacht in Tiefurt mit einer überzeugenden siebenten Auflage


Mit fröhlichem Fatalismus könnte man die Tiefurter Gitarrennacht als Festival mit Schlechtwettergarantie apostrophieren. Doch ungeachtet der Regenschauer versammelten sich auch bei der siebenten Auflage viele Interessierte und Saitenfachleute an diesem Wochenende in der Konzertscheune am Tiefurter Schlossparkcafe, um sich auf die stilistische Vielfalt des Instruments einzulassen.
Den Anfang bestritt ebenso routiniert wie einfallsreich Rainer Rohloff mit seinem neuen Programm "SteelDreams", welches sich der Stahlsaitengitarre widmete. Sensibel und virtuos lotete Rohloff die akustischen Klangmöglichkeiten zwischen Irish Folk, Slide-Stil, Jazzstandards ("Birdland) und Pop (Stevie Wonders "I wish") konzentriert und meist verhalten aus. Eindrucksvoll auch die Verbeugung vor seinem prägenden Lehrmeister Mikis Theodorakis mit der Impression "Violette Berge", welche die Bandbreite von Rohloffs Können mit beeindruckender Dynamik zur Geltung brachte.
Dem relativ ruhigen Einstieg folgte ein Gitarren-Oktett der Weimarer Musikhochschule unter Leitung des Gitarrennacht-Initiators Mathis Christoph. Er hatte sich in diesem Jahr für Werke des Komponisten Leo Brouwer entschieden. Stimmungsvolle Impressionen, wie beispielsweise die von klassischem Liedgut inspirierte "Eco's Fantasy", wechselten mit Minimal-Music-Passagen, und stellten das junge Ensemble vor schwierige Aufgaben. Acht Konzertgitarren liefern zudem ein ungewöhnliches Klangspektrum, welches präzises Zusammenspiel erfordert. Das Orchester meisterte diese Hürden mit Bravour und spielte sich somit verdient in das Zentrum des Abends.
Der ungarische Gaststar Tony Pusztai konnte mit präziser Diktion, hoher Virtuosität und seelenvollem Spiel überzeugen. Mit sehr anspruchsvollen Eigenkompositionen ("Kosmos"), die der gitarristischen Moderne verpflichtet waren, sowie einigen exzellenten Ausflügen in den Pop- und Jazzbereich, konnte er nicht nur das Fachpublikum begeistern.
Zu später Stunde gab es dann noch spannende Duoarbeit von Marco de Vries an der E-Gitarre und Florian Rynkowski mit Kontrabass und E-Bass. Beide Musiker aus dem Dunstkreis der Weimarer Musikhochschule spielten improvisatorisch aufeinander zu, interpretierten Gershwin, Jazzstandards und Eigenes mit sanfter Intensität. Überraschungsgast war Sänger David Rynkowski, der mit sanfter Stimme, vergleichbar mit Till Brönner oder Peter Fessler mit dem "Late Night Talk" das zahlreiche Publikum verzauberte.
Insgesamt eine moderne Fusion-Ausgabe der Gitarrennacht, die wieder viele Facetten und Spielweisen zeigte, und nicht nur für Freunde des Instruments zum abwechslungsreichen und kurzweiligen Abend wurde.


5. August 2006

Soundtracks zu weiten Landschaften

Irgendwann in der Mitte des Arenaabends singt sie vom regnerischen Tag, und da fallen die Tropfen vom Himmel. Ein kleiner, magischer Moment im Konzert der norwegischen Sängerin Kari Bremnes. Das Publikum beschirmt sich schnell und routiniert, und es lauscht weiter den Songs, die wie Soundtracks zu weiten Landschaften klingen. Es wird Bremnes erster Auftritt in ostdeutschen Gefilden, und es ist dem Gespür der Jenaer Veranstalter hoch anzurechnen, dass sie sich auch für solch stillere Angebote engagieren.
Bremnes Altstimme, welche an die frühe Joni Mitchell und an Tori Amos erinnert, wird von dem Keyboarder Bengt Hanssen und dem perkussiven Schlagzeuger Helge Norbakken kongenial unterstützt. Akkordisch minimalistische Klangteppiche, stellenweise mit treibenden Beats bereichert, untermalen den melodiösen Gesang. Das sensible Triospiel lässt improvisatorische Freiräume, Norbakken schlägt behutsam mit Reisigbesen auf die Toms und Hanssen setzt nie vordergründig markante Sequenzen auf Synthesizer und Klavier. Mit skandinavischem Charme und tiefgründiger Aussage interpretiert Kari Bremnes neben impressionistischen Alltagsgeschichten die Gedichte ihres Landsmanns Edvard Munch, und wenn sie "Skrik" (Schrei) moduliert, dann sieht man das berühmte Gemälde fast vor sich. Die Musiker arbeiten ihr kontrapunktisch zu, verzichten bewusst auf schaustellerische Virtuosität und sind damit dem Norweger Bugge Wesseltoft dramaturgisch verwandt. Der gesamte Auftritt wirkt wie aus einem Guss: konzentriert, etwas melancholisch und beruhigend.
Am Ende des freitäglichen Chillout fragt Kari Bremnes die rund 1400 Besucher, warum es in Deutschland so viele Apotheken gäbe. Schließlich hätten diese doch keine Mittel gegen Melancholie und Einsamkeit. Und empfiehlt ihre Musik als bessere Medizin. Und diese ist jedem Gesundheitsreförmchen zweifellos vorzuziehen. Und nicht nur deswegen erklatscht das begeisterte Publikum drei Zugaben.



23. Juli 2006

Lahmer Dreier

Eine gute Parodie zeichnet sich dadurch aus, dass sie das Original ernst nimmt, und intelligent hinterfragt, und bestenfalls Eigenständigkeit erreicht. Das ist bei der neuen Produktion "Die Gräfin von Gleichen - Die Wahrheit!" des "Erfreulichen Theaters" aus Erfurt nicht der Fall. Ronald Mernitz hat sich der alten thüringischen Sage angenommen und ihre Potentiale derart billig verschenkt, dass seine Version wohlmeinend als Sommerabend-Dreistigkeit durchfällt. Katrin Heinke verliest als Erzählerin die Originalgeschichte. Diese idealisierte Mär der mittelalterlichen Bigamie wird mit markanten, aber wenig wandlungsfähigen Handpuppen (Eva Noell) spielerisch und inhaltlich kontrastiert. Das geht hoffnungsvoll in der trauten Burg Gleichen als Hausfrauenidyll los, bis der Hausherr Ernst (Paul Olbrich) mit seinem drögen Ritterkollegen Ulf von Wetzleben (Eva Noell) nach Jerusalem kreuzzügelt. Bei der versehentlichen Landung in Ägypten wird der Mann seiner zukünftigen Zweitfrau von den Grafen niedergemetzelt. Die Muslimin befreit Ernst später aus seiner Gefangenschaft, um sich schlussendlich mit dem Brand der Thüringer Gleichen-Burgen an ihm zu rächen.
Man hätte mit dieser skurrilen Geschichtsdeutung durchaus eine subtile Auseinandersetzung von christlichen und islamischen Wertvorstellungen erwarten können, stattdessen werden die Figuren nahe Büttenrednerniveau gezeichnet. Warum beispielsweise der ägyptische Sultan (Ronald Mernitz) in polnischem Dialekt radebrecht, ist nur eine der Ungereimtheiten dieser behäbigen Kollektiv-Inszenierung, welche auch in der Ausstattung mit wechselnden Diahintergründen und gelegentlichem Schattenspiel kaum Überraschungen bereithält. Dabei ist die Puppenführung durchaus solide, und vereinzelt gibt es schwarzhumorige Momente. Wenn das Stück dann aber mit ernstem Ton abschließt, ist dies dramaturgisch nicht schlüssig. Die Publikumsreaktion im ausverkauften sonnabendlichen Michaelishof war denn auch eher freundlich, denn begeistert. Fazit: Unerfreulich flaches Sommerpuppentheater mit fraglicher Botschaft.


20. Juli 2006

Ein neues Stadtritual und ein voller Erfolg

Vierzig Leute waren schon morgens in den Goethepark gekommen, um mit Tai Chi -Lehrer Stephan Potengowski die Seele zu stärken. Lokalsender Radio LOTTE hatte "Vive la difference" ausgerufen, und damit den Donnerstag zu einem besonderen Sommertag werden zu lassen. Nicht nur Senderchef Mathias Buß war von der Resonanz begeistert, und so wird jetzt jeder Tag um 7.30 Uhr am Ochsenauge mit sanfter Bewegung begonnen.
Der sengenden Hitze begegneten die Lotterianer mit Liegestühlen und Mittagsruhe-Angeboten, und in der kühlen Jakobs- und Herderkirche gabs sogar ein wenig Orgelmusik. Die Lotte-Liegestühle waren denn nicht nur schnell belegt, sondern im Nachhinein auch gut verkauft
Nach soviel Entspannung gab es dann am Abend auf dem Theaterplatz das "Diner". Sechzig Plätze zu Füßen des Doppeldenkmals standen an der festlich eingedeckten Tafel, und jeder konnte ein dreigängiges Menü kostenlos zu sich nehmen. Weimarer Gastronomen, Hotels und Einzelhändler hatten die Aktion tatkräftig und materiell unterstützt, stellvertretend sei hier die "Creperie am Palais" genannt, die das Menü maßgeblich verantwortete. Serviert wurde das Ganze von Stadtpolitikern wie Wolf, Illert, Schremb und Hafner, die mit sichtlichen Vergnügen überbackene Brötchen, Pute auf Basmatireis und Kirmeskuchen kredenzten.
Natürlich reichten die Stühle für die Hungrigen nicht aus, und so wurde auf die DNT-Treppe ausgewichen. Und da konnte man dann auch den Oberbürgermeister beim Bierzapfen auf die Finger sehen. Stimmungsvoll beendete Trompeter Clemens Gaida mit klassischen Stücken vom Theaterbalkon das Schlemmen. Und damit hat Lotte wieder mal einen lockeren Impuls ins Herz der Stadt gegeben. Mathias Buß visioniert: "Das gibt's nächstes Jahr wieder, nur mit einer noch größeren Tafel..."


16. Juli 2006

Goldkehlchen

Das Spektrum der dritten A-cappella-Nacht "Stimmfonie" im Weimarer "mon ami" war breit bemessen, und die Qualitätsmaßstäbe hochgesteckt. Das moderne Sängertreffen versammelte lokale Chöre sowie als Gaststars die "Stouxingers". Nach einer blässlichen Songwritereröffnung des Newcomers Maximilian Wilhelm bot der Weimarer Handwerkerchor trotz kleiner Schwächen im Bass und leicht unausgewogener Stimmführung mit klassischen Akzenten und Schlageradaptionen wie den "Caprifischern" solides Amateurniveau. Mit schwungvollen Gospel- und Jazzstandards brachten die "Jakob-Singers" aus Weimar dann Bewegung in den Abend, die besonders durch den temperamentvollen Dirigenten Bertram Schulz forciert wurde. Die 25 Amateure interpretierten intonationssicher und locker, und zeigten beachtliche Entwicklungen auf. Aber eigentlich war die dritte "Stimmfonie" der Abend der halleschen "Stouxingers". Was dieses Sextett unter Leitung des genialen Arrangeurs Michael Eimann darbot, war schlicht atemberaubend. Fünf charismatische Männer und eine Frau (faszinierend: Katharina Gebus) eroberten das Publikum schon mit einem virtuosen Eingangsmedley im Sturm. Dicht arrangiert wurden "Snow in April" von "Prince" oder der Beatles-Evergreen "All my loving" zu atemberaubenden Hörerlebnissen. Die bassistische Stimmtechnik von Karsten Müller setzte archaische Akzente, und mit witziger, abwechslungesreicher Präsentation und hochprofessionellem Können avancierten die Hallenser zum eindeutigen Höhepunkt des Abends. "Next Voices", ein Konglomerat von Gymnasiasten aus Weimar, Erfurt und Rudolstadt, unterstützt vom Vokalquartett "Yellow an Green" und einigen "Stouxingers" boten dann mit einer Premiere groß angelegtes, mitreißendes Chortheater mit amerikanischem Feeling, ehe sich fast alle Mitwirkenden mit einem furiosen "Mozart-Medley" kraftvoll verabschiedeten. Die Messlatte für die nächste "Stimmfonie" ist also sehr hoch angesetzt. Begeisterter und verdienter Applaus.


9. Juli 2006

Sanfte Brise statt Sturm

Töchter stellen Fragen, und Väter müssen sie in der Regel irgendwann beantworten. Da hilft Prosperos Zauberkunst nur bedingt, denn seine flügge Tochter Miranda will Genaueres über Herkunft und Perspektive wissen. "Im Auge des Sturms", eine von Charles Way eingedampfte Fassung von Shakespeares "Sturm" widmet sich diesem familiären Konflikt und bildete am Freitagabend Grundlage für die letzte Saisonpremiere des Jugendtheaters im Weimarer Stellwerk.
Unter Regie von Regine Heintze mühen sich die jungen Protagonisten redlich, die Rebellion Heranwachsender gegen väterliche Besorgnis darzustellen, doch emotional erlebbar wird das leider selten. Die Inszenierung stattet sich klassisch orientiert in Kostüm und Bühnenbild aus (Janet Plaumier Gainza, Katja Fritzsche), verhandelt aber Gegenwärtiges zu spannungsarm. Die konzentrierte Sprache fordert schauspielerischen Duktus, und damit sind die Laien-Akteure überfordert. Frank Grobe als kraftstrotzender Prospero fehlt die Möglichkeit, den Charakter subtil zu gestalten, und Hans Witte opfert Trinculos moralisches Dilemma einer gleichförmigen Freundlichkeit. Anna Kunze (Miranda) und Marie-Luisa Dünger (Stephania) steht der Trotz durchaus gut, aber das Liebes-Begehren kommt sehr lau herüber. Einzig Ariel (Kristoffer Keudel) mag als skurriler Luftgeist spielerische Akzente zu setzen. Trotzdem ist Leistung des Quintetts durchaus achtbar, und die jugendliche Zielgruppe kann sich in der Problemstruktur durchaus erkennen. Udo Hemmanns Musik und das witzig animierte Video von Marie Geißler bringen Frische in den biederen Ablauf, doch letztlich fehlt der zündende Funke für ein potentielles Feuerwerk. Fazit: Sympathisches Botschaftstheater für Jugendliche, sonst aber sanfte Brise statt Sturm.


30. Juni 2006

Show als Wechselbad

Vielleicht ist nach einhundert Folgen ein wenig die Luft ausgegangen. Jedenfalls präsentierte sich "Kudernatschs Kautsch" im Hof der "Engelsburg" nach dem großen Jubiläum relativ kurzatmig. Die Show ist ein schräges Estradenprogramm mit spielerischen Einlagen, moderiert von dem vielseitigen Medienkünstler André Kudernatsch und versiert flankiert von der "Kaiser-Heiser-Kombüse". Der Abend lebt somit von der Interaktion und Qualität der eingeladenen Gäste und dem skurrilen Charme Kudernatschs. Mittlerweile hat die "Kautsch" sowohl eine Heimat in der Leipziger "Moritzbastei" als auch in der Erfurter "Engelsburg" gefunden. Letztere entschieden sich in der 101. Folge am Donnerstagabend für eine Freiluftvariante, welche sich durch kleine Bühne vor langem, schlauchartigem Publikumsraum denkbar ungünstig offerierte. Das Weimarer A-cappella-Quartett "Yellow and Green" schaffte es trotzdem mit witzigen Parodien und sängerischer Virtuosität den Funken erstmal überspringen zu lassen, der ansonsten auf das Stichwort "Finale" mit lärmenden Fußballfaninstrumenten im Publikum bereitwillig entfacht wurde, im Laufe der Show aber durch ständige Wiederholungen müde erlosch. Die Milbenkäseverkostung hatte durchaus informatorischen und lukullischen Reiz, wurde aber durch den krampfigen Humor des Herstellers Helmut Pöschel kaputtgeredet. Peinlicher wirkte nur noch der Auftritt des Möchtegern-Komikers Edno Bommel, der mit seinen Telefonspäßchen die Privatradiohörer sicherlich erfreut, hier aber tiefgelegtes Klassenkasperniveau zeigte. Kudernatsch konnte nichts mehr retten, zumal er diesmal ziemlich blässlich interagierte, was seiner Magenverstimmung geschuldet war. Letztlich versöhnte dann aber der anarchische Puppenspieler René Marik mit absurder Komik und intelligent reduziertem Spiel und heimste damit verdient den starken Schlussapplaus ein. Fazit: Nicht die stärkste "Kautsch", trotzdem insgesamt sehens- und fortsetzenswert.

nächste "Kautsch" am 3. August, Engelsburg, 20 Uhr


16. Juni 2006

Leistungsschau

Da das Spiegelzelt sich auch als Förderer lokaler Aktivitäten versteht, fand dort im Nachgang zum Hauptprogramm am Donnerstagabend die diesjährige Jazznacht statt. Das Jazzinstitut der Weimarer Musikhochschule stellte sich wieder zur Leistungsschau. Trotz fehlender Bigband und damit verbundenem Grummeln hinter den Kulissen, präsentierten sich die Ensembles in Bestform. Die Abkehr vom sterilen Festsaal der HfM war sinn- und überfällig, und füllte das Zelt fast vollständig.
Kontrabassist Matze Eichhorn erwies sich zum Auftakt nicht nur als exzellenter Instrumentalist, sondern zeigte in ungewöhnlicher Besetzung mit weiteren elf Kommilitonen sein beachtliches Können als Arrangeur. Tuba und Bassflöte waren als Exoten im Bläsersatz, verstärkt mit den Vokalistinnen Winnie Brückner und Sophie Grobler Fundament für harmonisch dichte und exzellente Kompositionen und Interpretationen wie "The way you look tonight", stilistisch vergleichbar mit den "Sketches of Spain" von Miles Davis oder dem frühen Mahavishnu-Orchestra.
Überraschung und Höhepunkt des Abends war der Auftritt des Trios "Cocoon" mit der charismatischen Sängerin und Pianistin Claudia Nehls. Das kreative Konglomerat aus Songwriting, polyrhythmischem Jazz und Weltmusik wandelt intensiv und mitreißend auf ungehörten Pfaden. Stimmig, sensibel und relativ eingängig erinnert Nehls, einfühlsam begleitet von Kontrabassist Ulf Mengersen und Schlagzeugerin Karoline Körbel, an eine Kreuzung von Kate Bush und Aziza Mustafa Zadeh. Bei entsprechender Vermarktung wäre diesem originären Projekt eine internationale Spitzenzukunft zu prophezeien.
Das Quintett um den hervorragenden Saxophonisten Hannes-Daerr spielte ausgereiften, klug gesetzten Straight-Jazz mit viel improvisatorischem Freiraum und packender motivischer Arbeit. Neben Daerr erwies sich Gitarrist Christoph Bernewitz wieder einmal als versierter und überzeugender Wanderer zwischen musikalischen Welten.
Abschließend bot "Funkation" mit Frontfrau Sophie Grobler erfrischende Funkadaptionen nach gängigen Mustern. Die Chillout-Version von Miles Davis "So what" und das humorvoll zelebrierte " Big service" rundeten die vielseitige, von Jeff Cascaro engagiert moderierte und organisierte Jazznacht ab. Eindeutiges Fazit von Kritiker und Publikum: Ein gelungener und musikalisch hochwertiger Abend, der Spiegelzelt-Tradition werden sollte.


11. Juni 2006

Sockelsturz

Es ist die sarkastische und schonungslose Abrechnung eines prominentem Abschlachterlebens, welche in einer lockeren Lehrstunde abgehandelt wird. Das Weimarer "Theater im Gewölbe" hat sich mit "Napoleon im Heldenhimmel" des französischen Feldherren angenommen und präsentiert eine anspruchsvolle Ehrung ohne falsche Ehrerbietung. Wolf-Dieter Gööck hat sich Stück und Hauptrolle auf den Leib geschrieben, und gibt den Feldherrn zwischen monströsem Zweckdenken und feingeistiger Attitüde. Zwischendurch steigt der Schauspieler immer wieder zu gegenwärtiger Reflexion aus der Feldherrnrolle und provoziert gekonnt mit historischen Gleichnissen. Polemisch, kurzweilig und scharfzüngig bietet er eine Menge Essay, unterbrochen durch neugetextete Popadaptionen von Manu Chao bis Boney M. Eindrucksvoll auch seine Interpretation von Heines "französischen Grenadieren", die falsches Pathos hintersinnig entlarvt.
Trotz intelligentem und humorvollem Ansatz ist Gööcks Selbstinzenierung nicht immer stimmig und könnte manchmal ein gemächlicheres Sprechtempo vertragen. Das Lied vom napoleonisch agierenden Popstar ist ein wenig flach, und die Gottesgestalt, verkörpert durch den einfallsreichen und virtuosen Cellisten Klaus Koch als Spielfigur teilweise unlogisch und entbehrlich. Die Stärken der Geschichtsstunde liegen in der engagierten zeitpolitischen Analyse, dem musikalischen Feld und der souveränen spielerischen Leistung Gööcks. Insgesamt ein ebenso amüsanter wie kritischer Abend, der historische Fakten nicht zu platter Unterhaltung degradiert.


8. Juni 2006

Anziehender Zeltplatz

"The same procedure as every year": auch im dritten Jahr konnte das Spiegelzelt in Weimar mit 11000 Besuchern und damit einer 90-prozentigen Auslastung an 35 Abenden wieder Erfolgsgeschichte schreiben. Dazu sprach ich mit einem der Veranstalter vom "kulturdienst", Martin KRANZ

Konnte Sie im diesjährigen Programmangebot noch etwas überraschen?

Immer wieder. Wie beispielsweise die Sängerin Jocelyn B. Smith mit ihrer Präsenz nach kurzer Zeit das Spiegelzelt-Publikum von den Sitzen reißt, ist schon faszinierend. Aber auch bei Hagen Rether war ich über die konzentrierte Aufnahme seines anspruchsvollen Kabarettprogramms bewegt.

Gab es Flops?

Nein. Selbst der ersatzweise in Programm genommene Brel-Abend von Filip Jordens lockte 230 Besucher. Auch unser lokales Engagement mit Wahltalk und einem Benefizkonzert zur Städtewette mit Karl-Heinz Böhm füllte das Zelt bis auf den letzten Platz.

Wo holen Sie sich Anregungen?

Die meisten Programme schauen wir uns nach Möglichkeit in der Szene Berlins, Hamburgs und Münchens an. Sicher gibt es dadurch auch eine Art Rotation, aber mittlerweile wird unser Zeltprogramm auch leicht kopiert

Was erwartet uns im vierten Jahr?

Wir werden vom 4. Mai bis 17. Juni 2007 die Pforten öffnen. Wie immer wird jetzt vom Programm noch wenig verraten. Nur soviel: Spielort, Zeltgröße, Gastronomie und das intime Ambiente bleiben. Und den Kabarettisten Andreas Rebers werden wir uns auch nächstes Jahr wieder gönnen.

Was steht auf dem "kulturdienst"-Wunschzettel?

Wir könnten uns das Festival an einem zusätzlichen Spielort unter unserer Leitung durchaus vorstellen. Wenn aus einigen Spiegelzelt-Abenden ein ähnliches Fernsehformat wie "Mitternachtsspitzen" entsteht, wären sicherlich nicht nur wir, sondern auch die Zuschauer glücklich.


6. Juni 2006

Kontrastprogramm

Das "mon ami" in Weimar bot mit den A-capella-Formationen "Niniwe" und "Ajaja" einen kontrastreichen Pfingstmontagabend. Die Ensembles hatten sich während eines Wettbewerbs in Graz spontan zu einer Konzerttournee verabredet, wobei das Leipzig-Weimarer Frauenquartett "Niniwe" als Gastgeber fungierte. Das Spitzentreffen füllte den großen Saal mit vorwiegend fachkundigem Publikum. Unter der kompositorischen und konsequenten Leitung Winnie Brückners hat sich "Niniwe" zu einer internationalen Größe entwickelt, die in punkto Originalität des Arrangements und konzeptioneller Eigenständigkeit seinesgleichen sucht. Zahlreiche Preise bei internationalen Festivals honorierten die mutige Abwendung vom Mainstream, die das Auditorium gewinnbringend fordert, ohne akademisch zu langweilen. Spannende Pop-Bearbeitungen ("Feelings") wechselten mit ergreifenden Eigenkompositionen ("In the night") welche in der intelligenten Harmonik teilweise an Eislers "Woodbury-Liederbüchlein" erinnerten. Hoher Anspruch, gepaart mit sängerischer Perfektion sowie der sinnfällige Sequenzereinsatz ließen den ersten Konzertteil zu einem Heimspiel der Superlative werden, zumal der junge Vokalpercussionist Indra Tedjasukmana als hochtalentierter Überraschungsgast das Ganze gewinnbringend abrundete.
Dagegen lag die Originalität des gemischten Londoner Quintetts "Ajaja" eher in der Kopie gängiger Genregrößen. Sicher auch das ein interpretatorisches Pfund, welches an "Singers Unlimited" oder "Manhattan Transfer" erinnerte, in seiner Perfektion und Popularität aber auf sicheren Gleisen fuhr. Jazzklassiker von Ellington, Porter und Mercer, stilsicher, frisch und versiert dargeboten, ernteten verdienten Beifall. Die gemeinsame Zugabe begeisterte mit der eingängigen Eigenkomposition Brückners "Ooyaha" und entließ die Zuschauer aus einem musikalisch faszinierenden Abend.


1. Juni 2006

Kultivierter Zorn

Während andere sich lustig bis zum Abwinken gerieren, winkt er erst einmal ab. Hagen Rether ist ein Meister des kabarettistischen Understatements, vergleichbar vielleicht mit Altmeister Hüsch, aber mit wesentlich langsamerer Gangart. Das ausverkaufte Spiegelzelt folgte am Mittwochabend Rethers Welten in atemloser Begeisterung, denn seine Pointen kommen subversiv und sein Duktus ist manipulativ. Das Publikum wird zum Komplizen eines zornigen Moralisten, der sein Unbehagen an Mächten und Strukturen so eloquent und kultiviert zu vermitteln weiß, dass selbst eingefleischte Pessimisten ihren Meister finden.
Der junge Essener Shooting-Star prangert politische ("der Bundestag als Friedhof der Alphatiere") und religiöse Vertreter ("Dalai Lama ist der Peter Lustig für enttäuschte Christen") und ihre mediale Vermittlung hart und direkt an. Dabei nutzt er die gängigen Klischees nicht zur Diffamierung, sondern entlarvt mit absurden Spielszenen und ätzendem Spott Mechanismen von Öffentlichkeit und Sprache. Dabei gerät manches zur Bestandsaufnahme, doch die scheinbare Beiläufigkeit, mit der Rether seine Angriffsziele fixiert, ist ebenso spannend wie stilsicher. Vom Drehstuhl aus erklärt er Weltliches und Himmlisches als Brutstätte der Lüge, sein assoziatives Klavierspiel untermalt seinen leisen Sprachduktus und selbst ein langsam gelöffelter Joghurtbecher wird zur diabolischen Attitüde. Eine große kabarettistische Entdeckung, die als Zugabe mit einer intelligenten Grönemeyer-Parodie brillierte und den begeisterten langen Applaus mehr als verdient hatte.



29. Mai 2006

Jahresgabe

Auch bei seinem dritten jährlichen Spiegelzeltbesuch am Sonntagabend stellte sich Andreas Rebers als Meister seines Genres unter Beweis. Der Kabarettist pflegt einen Personalstil weitab vom Mainstream der Branche, was ihm mittlerweile auch in Weimar einen festen Fankreis beschert. Assoziativ, mit vielen aktuellen Bezügen und hoher Gagdichte entwirft Rebers ein Panoptikum deutschen Kleingeistes zwischen Globalisierung, Konsumterror und Herrenmenschallüre. Lässig und gezielt politisch inkorrekt verbindet er Tagesgeschehen mit absurden Philosophien. Das verlangt dem Publikum starke Aufmerksamkeit ab, und dieses folgt amüsiert seinen gedanklich schnellen Wendungen und quittiert mit viel Zwischenapplaus. Eine weitere Stärke ist Rebers Musikalität. Wie er seinem Akkordeon virtuos osteuropäische Folklore entlockt oder mit deutschem Schunkelgut perfide die Volksseele entlarvt, sucht seinesgleichen. Rebers Chansons, selbstbegleitet am Klavier wie die Ballade vom Schlachter sind Kleinode mit Sprachwitz und expressiver Musikalität, seine Botschaften analytisch klar und nie im Seichten beheimatet. Eine lange, kurzweilige und gewinnbringende Sternstunde, zumal sich Rebers jedes Mal fast komplett neu erfindet. "Provinz ist da, wo man Lehrer zu den Intellektuellen zählt", sagt Rebers irgendwann. Dieser tut er jährlich mehr als gut.


22. Mai 2006

Realitätsverluste

Was ist eigentlich ein "schmutziger" Wahlkampf? Und wurde ein solcher in Weimar geführt? Wenn man die Nachlese des Wahlsonntags in Weimar betrachtet, dann fällt unter anderem auf, dass Herr Hölzer eine "Schmutzkampagne" für seine Niederlage verantwortlich macht.
Was Hölzer nicht sagt: Wer für diese angebliche Kampagne verantwortlich zeichnet. Und bei Unausgesprochenem kommt ja dann nur der Gegner, in diesem Falle Stefan Wolf in den Sinn. Doch der hat sich in allen offiziellen Statements zu dieser Kampagne nicht geäußert.
Das Problem ist aber: es wird ihm indirekt angelastet. Und deshalb war in den letzten Stichkampfwochen ja auch weniger von Programmatiken die Rede, damit Hölzers Opferrolle auch zieht. Nun ist das eventuelle Kalkül nicht aufgegangen, die wenigen Wähler haben anders entschieden, und nun ist man halt sauer. Hat ja auch eine Menge gekostet für das Weimarwerk, diese vielen Plakatmotive und die letzten Flyer, die in Weimarer Briefkästen anzeigten, dass die Westgeburt Wolfs ein Standortnachteil wäre. Wo kam eigentlich der Schremb her? Jedenfalls beeilte der sich dann zu versichern, dass man diese Flyer ja eigentlich nicht verteilen wollte, das wäre wohl ein internes Abspracheproblem gewesen. Na ja, hat wohl einer der vielen Kommunikatoren an der falschen Schraube gedreht.
Während man in der Weimarer Lokalausgabe der "Thüringischen Landeszeitung" eine durchaus faire Wahlanalyse findet, leckt die lokale Konkurrenz so offensichtlich Wunden, dass Objektivität kaum auszumachen ist. Dumm gelaufen für die heimlichen Unterstützer, auch wenn im Kopf ja "überparteilich" steht.
Und damit zur Eingangsfrage. Ist es nicht eher "schmutzig", dem politischen Gegner seine Herkunft vorzuwerfen? Und ist es wirklich "schmutzig" auf ein laufendes Verfahren hinzuweisen, und die vorher verheimlichte SED-Mitgliedschaft wenigstens mal wertfrei zu erwähnen?
Aber der Pragmatismus ist schon am Wahlabend wieder eingekehrt, denn Hölzer räumt mit seinem erfolglosen Sparringpartner Illert ein, dass man ja mit den Wahlprogrammen gar nicht weit auseinander lag. Wenn das so ist, warum dann überhaupt so viele Kandidaten? Auch das vielleicht ein Aspekt für die Auswertung der Wahlmüdigkeit.
In den höheren Etagen Thüringens werden die abenteuerlichen Schuldzuweisungen für Wahlniederlagen fortgesetzt. Herr Althaus versteigt sich laut "TLZ" zu der Analyse, dass der Wahlsieg der SPD in den Kommunen nur durch die Zusammenarbeit mit der Linkspartei zustande gekommen ist, und es für ihn inakzeptabel ist, dass die Linkspartei jetzt in den Rathäusern mitregiert. Ist das auch "schmutziger" Wahlkampf, oder offenbart sich da ein Demokratieverständnis?
Dass ist das Problem bei Wahlniederlagen: es wird nicht vor der eigenen Tür gekehrt...




18. Mai 2006

Klosterwochenende


Das Schwarze mit der blonden Seele hat die Kunst der kleinen Form als eine Domäne entdeckt, und ist in diesem Jahr Hauptsponsor des Kulturfestivals in der Klosterruine Paulinzella. Die zweite Auflage des viertägigen Kleinkunst-Konzentrats offeriert Wieder- und Neubegegnungen mit national etablierten Künstlern verschiedenster Genres. Den Auftakt gibt Robert Kreis, der mit humorvollen musikalischen Anleihen an die goldenen Zwanziger Kulturarena und Spiegelzelt begeisterte. Die Schauspielerin Thekla-Carola Wied wird im Zusammenspiel mit der exzellenten Köstritzer Jazzband unter anderem aus Kästners Werken lesen. Wer an Humor zwischen Faschingslaune und Typenkabarett Gefallen findet, sollte den Postbotenkomödianten Hans Hermann Thielke mit seinem aktuellen Programm "Jetzt rede ich!" aufsuchen. Den krönenden Abschluss bildet der Auftritt des A-Capella-Trios "Ganz schön feist", die mit intelligenter Mischung aus Humor und Popgesang das Thüringer Publikum nachhaltig begeisterte. Kombitickets ermöglichen den Kleinkunstfreaks ein verbilligtes Kulturwochenende, auch für Übernachtungsmöglichkeiten wird gesorgt sein. Ein vielseitiger Septemberauftakt.


2. Kulturfestival in der Klosterruine Paulinzella, 31.8. bis 3.9. 2006
Infos unter www.kulturfestival-paulinzella.de



17. Mai 2006

Wenige Lichtblicke

Sonja Trebes hat eine Botschaft und deswegen das Stück "Dämmerland" geschrieben. Und sie brachte dieses groteske Märchen in diesen Tagen im Eigenauftrag auf die Bühne des Weimarer "mon ami", hat sich Studenten der örtlichen Bauhaus-Uni und Musikhochschule, sowie Sponsoren und Förderer gesucht und ihr Stück selbst inszeniert. Viel Idealismus und Umsetzungskraft kann der Gesangsstudentin der HfM bescheinigt werden, die unter Anderem mit Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" oder der Operettenregie "Die schöne Galathee" auch schon lokale Erfolge verbuchen konnte.
Dass "Dämmerland" diesen Erwartungen nicht standhalten konnte, lag zunächst am Stück. Mit holzhammerartiger Ideologiekritik im Mantel des Märchens wird durch allzu agitatorische Texte fast jede Poesie vertrieben, der Plot ist vorhersehbar, wenn auch das kitschige Happyend vermieden wird. Platte Klischees von Wirtschaftsmacht und Politklüngel schematisieren Gut und Böse, außer bei zwei Hauptfiguren gibt es keine Wandlungen und erst recht keine Überraschungen. Dazu kommt eine recht einfallslose, mit dramaturgischen Längen und steifer Theatralik überzogene Inszenierung mit einem Bühnenbild, dass den Namen kaum verdient und einzig von Odette Lacasas mäßig inspirierten Kostümen aufgefangen wird.
Die Geschichte des von der Hofgesellschaft missbrauchten Prinzen, der durch eine Begegnung mit zwei widerständischen Schwestern eine temporäre Läuterung erfährt, wird zudem von einer Bühnenmusik Kolja Trolls (ebenfalls HfM) gehemmt, die sich trotz einiger eingängiger Motive nicht zwischen Kammeroper, Weillscher Prägung und Musical entscheiden kann, und bei einigen handlungstragenden Rap-Einlagen unter der musikalischen Leitung von Benjamin Roser peinlich akademisch holpert.
Damit wären bei den zudem reichlich verschenkten Möglichkeiten der Videoprojektion die zweieinhalb Stunden als ambitionierter Theater-Versuch abzutun, wenn da nicht fünf gute Darsteller wären, die stimmlich und spielerisch professionelle Leistungen abliefern. Allen voran Friedrich Rau, der mit deutlicher Artikulation, Bühnenpräsenz und tenoraler Stärke den Prinzen gibt. Mit Dana Gensch (Lucida) und Natalie Niederhofer (Zest) agieren präzise zwei exzellente Sängerinnen, welche Stimmvolumen und Wandelbarkeit beweisen. Der niederträchtige Kanzler (Jens Grotegut) hat zwar sängerische Schwächen, holt dafür aber im diabolischen Spiel auf, und die Pressesprecherin (Laura Bergander) gibt im engen Rahmen ihrer Rolle eine gut beobachtete Parodie von Privatfernsehreporterinnen. Doch das Quintett kann die schwache Inszenierung nur partiell retten, und so bleibt ein freundlicher Applaus für die Bühnenleistung und den guten Willen.



7. Mai 2006

Voll des Lebens

Beim dritten Gastspiel in Weimar ließ Georgette Dee ihr Publikum zunächst eine halbe Stunde ausharren, bevor sie mit Pianist Sebastian Unditz und Kontrabassist Jürgen Attig die Bühne betrat. Das Publikum im ausverkauften Spiegelzelt verzieh ihr diese Verspätung gerne, erlebte sie doch mit den "Bar-Liedern" das bis jetzt intensivste und persönlichste Konzert der Diseuse. Friedrich Hollaenders " Wenn ich mir was wünschen dürfte" eröffnete mit leiser Referenz an Marlene Dietrich den durch Coverversionen und Neuinterpretationen eigener Lieder geprägten Abend. Doch was Georgette Dee so faszinierend und unverwechselbar macht, sind ihre intelligenten und spontanen Conferenzen. Die Ratgeberin in allen Liebeslagen erzählt sarkastisch und frei von Attitüde ihr Leben jenseits der Biederkeit. "Ich mag keine netten Abende, weil ich nicht nett bin", sagt sie, aber eine Romantikerin ist sie trotzdem, was ihre Liedauswahl zwischen der Träne im Knopfloch und ihrem Herz, getränkt in Weiß, beweist. Der Wechsel des Geschlechts bleibt Nebensache, ihre Haare sind kurz, das effektvoll drapierte Samtkleid ist so weiblich und kosmopolitisch wie Georgette Dees Sicht der Dinge und Weltläufe. Mit bissigem Humor führt sie im zweiten Teil in die Welt ihrer fiktiven Freundin Irmtraut ein - einer "Altreichen" deren größter Wunsch ein Lokalverbot ist, und in der sich der unbändige Freiheitswillen der Künstlerin konträr spiegelt. Da bricht sich dann ein gesunder Fatalismus Bahn: "Die Welt ist voll von uns allen", der aber das traurige Lächeln nie verliert. Und wenn die Diseuse reichlich alkoholisiert aber mental klar und atemberaubend als Zugabe den Evergreen "Sorry" covert, dann weiß das Publikum: Ihr tut das Leben nicht leid, sie lebt es einfach aus. Ein geistreicher, hochmusikalischer und intimer Abend, der keine Oberfläche zulässt und das mitternächtliche Vogelgezwitscher um das Spiegelzelt noch intensiver erleben lässt. Bravo!


Form- und Ideenvielfalt

In über vierzig Ländern ist "Tres Courts" an diesem Wochenende parallel angelaufen, und bindet sich im Lichthaus-Kino in Weimar bereits zum zweiten Mal ein. Das internationale Drei-Minuten-Kurzfilmfestival wartet in seiner achten Auflage wieder mit stilistischer Breite und Ideenvielfalt auf. Bauhaus-Professor Lorenz Engell pries denn auch bei der Eröffnung am Freitagabend die Chancen der Kürze, die Dichte und Vielfalt zulässt und unserer schnelllebigen Zeit medial entspricht. Den lokalen "Vorspann" lieferten sechzehn Beiträge der Weimarer Bauhaus-Universität, die sich mit dem internationalen Aufgebot in Einzelfällen durchaus messen konnten. Hervorragend trotz einfacher Machart der humorvolle "Vaterschaftstest" von Katherine Landgrebe, und die Meditation über ein Rilke-Gedicht "Die Stille" von Susann Maria Hempel und Olaf Helbing. Letzteres mit einem Handy realisiert, zeigt einen wichtigen Trend der Kurzfilmszene auf, der die Möglichkeiten dieser Technik demonstriert und versucht auszureizen.
Die internationale Auswahl setzte vorrangig auf leichte Unterhaltung in breit gefächerter Formensprache. Dominierend waren diesmal schwarzhumorige Animationen wie die brachiale Klosterverteidigung "SuperMoine" oder die zwerchfellerschütternde Flugbegleitung "I love sky". Schräge Realfilme wie "Park", in dem tierisches Verhalten auf Menschen übertragen wird oder die witzige Hommage an die Stummfilmzeit "Le baiser" konnten ebenso spontan begeistern. Anspruchsvolle Animationen wie das fatalistische "Teddy" aus Utrecht oder der dreidimensional perfekte "Monkey King" aus Paris zeigten eindrucksvoll die Möglichkeiten des Mediums, während Spielereien wie "Parallelitis" oder "Transluscene" eher dem Selbstzweck dienten. Insgesamt eine kurzweilige und vielseitige Werkschau, der auch in der achten Auflage die Ideen nicht ausgehen.


5. Mai 2006

Witz in Scheiben

André Kudernatsch ist ein ebenso sanfter wie bissiger Zeitgenosse. Seine Talkshow "Kudernatschs Kautsch" verbucht in Erfurt und Leipzig Kultcharakter. Das "mon ami" in Weimar erlebte den umtriebigen Medienmann anlässlich der Reihe "Literalounge" als schwarzhumorig geprägten Autoren. Im Zentrum des Leseabends standen Vierzeiler aus seinem Buch "Alles Wurscht. Reime gegen Käse", die in Witz und Form an Heinz Erhardt und Robert Gernhardt erinnerten. Kudernatsch reimt über verschiedene Wurstsorten wie beispielsweise die Touristenspeckblutwurst und deren Hersteller mit Hintersinn und überraschenden Wendungen, sodass man ihm manch holperndes Versmaß lachend verzeiht. Ebenso amüsant wie gekonnt boshaft auch die Prosaparodie "Zonenrinder", in der er den wortähnlichen Bestseller mit seinem Duktus entlarvt. Moderne Folksongs aus der Feder von Gitarristin und Sängerin Jean Lelá gaben dem Donnerstagabend ein solide groovendes musikalisches Gerüst. Insgesamt eine leise und zwerchfellintensive Nahrungsmittel- und Biografiekunde.


André Kudernatsch "Alles Wurscht. Reime gegen Käse", Fünf-Finger-Ferlag Leipzig, 2005
ISBN 3-9808934-2-1, 8,50 €




30. April 2006

Sonntagsgroove

Ein erfrischendes Preisträgerkonzert füllte am Sonntagvormittag den Weimarer "Saal am Palais" bis auf den letzten Platz. "Deutschland sucht den Schupra-Star", witzelte denn auch Entertainer und Juryvorsitzender Lars Reichow, der locker durch das Programm führte und für seine kompetenten Beurteilungen gelobt wurde. Der Geschäftsführer des Hauptsponsors Grotrian-Steinweg, Burkhard Stein lobte die "familiäre Atmosphäre" des "8. Bundeswettbewerbs Schulpraktisches Klavierspiel". Neun Preise für zwanzig Kandidaten waren gerecht verteilt und verdient. Besonders aufhorchen ließ Laurenz Gemmer von der Hochschule für Musik Köln, der die Runden Liedspiel und Improvisation gewann und als "deutscher Keith Jarrett", so Lars Reichow, eine beeindruckende pianistische Performance zeigte. Es gab zwei Gesamtpreisträger: Michael Ebert von der Gastgeber-Universität Weimar überzeugte mit einem virtuosen Potpourri aus Klassik- und Ragtime-Elementen und die konzentrierte Fugenimprovisation von Elisabeth Berner (Musikhochschule Freiburg) erreichte fast bachsche Größe.
Den Publikumspreis errang der Weimarer Claudius Taubert, der mit dem charismatischen Sänger Friedrich Rau eine mitreißende Version des Beatles-Hits "Hello, goodbye" zelebrierte. Insgesamt eine beeindruckende und unterhaltsame Leistungsschau, die durchaus größere Säle begeistern könnte und in zwei Jahren wieder an gleichem Ort ausgelobt wird.


28. April 2006

Talentesaal

Getreu dem Bonmot, dass die Schulpraktiker die besser bezahlten Live-Musiker sind, stellen sich an diesem Wochenende zwanzig Studenten aus Hochschulen Deutschlands einem Wettbewerb, der besonderes Augenmerk auf improvisatorische Fähigkeiten und pianistische Spontaneität legt. Zum achten Mal wurde mit tatkräftiger Unterstützung der Klaviermanufaktur Grotrian-Steinweg der "Bundeswettbewerb Schulpraktisches Klavierspiel" ermöglicht, der mit den Anforderungen junge Talente nach Weimar zu locken vermag; zumal sich in der Männerdomäne diesmal auch drei weibliche Studenten behaupten. Im Bereich Lied können die Kandidaten zunächst mit einem selbst gewählten Paradestück imponieren, bevor sie sich an klassischem und internationalem Volkslied sowie Jazzstandards spontan beweisen müssen. Außerdem sind ihre Fähigkeiten im Blatt- und Partiturspiel sowie der Improvisation gefordert. Das größtenteils aus Fachleuten bestehende Publikum lässt sich bei den Wertungskonzerten begeistern, in lockerer Atmosphäre sind Konkurrenzgedanken hintangestellt, und so bekommt jeder Teilnehmer verdienten Applaus. Die versierte Jury unter Vorsitz des etablierten Musikkabarettisten Lars Reichow wird die Qual der Wahl haben, die bisherigen Beiträge legten die Latte relativ hoch. So brillierte Martin Falke aus Leipzig mit dem Nachtlied "Schlaf, Kindlein, schlaf" in verschiedenen Stilepochen, Benedict Goebel aus Berlin groovte mit einem witzigen Stevie-Wonder-Medley während sich Bernd Schneider aus Stuttgart schon jetzt als pianistisch gewitzter Entertainer präsentierte. "Bis jetzt Qualität auf hohem Level" konstatierte auch HfM-Professor Gero Schmidt-Oberländer. Morgen werden um 10 Uhr die gekürten Preisträger im Weimarer Saal am Palais ein Abschlusskonzert geben, wo sicher noch weitere Entdeckungen präsentiert werden.


23. April 2006

ZWEI JAHRE SALVE - EINE LAUDATIO

Auf Anfrage unseres lokalen Fernsehsenders SALVE-TV, gehalten am 23. April 2006 im mon ami Weimar

Wie es da so steht, mit seinen noch wackligen Beinen, und manchmal noch das stützende Tischbein sucht, liebevoll und modern verpackt in weiß, grau, orange und etwas rot, und es lächelt als wollte es sagen, hier bin ich, das zweijährige SALVE, und ich möchte, dass ihr mich mögt oder zumindest richtig wahrnehmt.
Sicher, eine normale Laudatio beginnt nicht mit solch verschachtelten Sinnbildsätzen, aber SALVE ist auch kein normaler Fernsehsender. Vor zwei Jahren mit dem schweren Erbe seines Vorgängers und mit hohem Anspruch in einer Stadt angetreten, die viele solcher Existenzen nicht einem Miteinander, sondern eher einem "Trotz alledem" verdankt, hat sich der lokale Televisionär für Weimar und Apolda zu einem kleinen Gütesiegel in der Fernsehlandschaft entwickelt. Anders als ihrer finanziell meist besser aufgestellten Konkurrenz gelingt es SALVE in vielen Beiträgen eine hohe Authentizität zu vermitteln. Relativ frei von geheimen Maßgaben ferngesteuerter Chefetagen werden Bilder und Geschichten möglich, die eine Region in ihrer Gesamtheit facettenreich und weltoffen vermittelt und nicht nur oberflächlich beschreibt. Oder anders gesagt: SALVE ist hier angekommen, ohne stehen zu bleiben.
Zwei Jahre ist SALVE alt und trotzdem hat es schon zwei mitteldeutsche Medienpreise eingeheimst. Eine Erfolgsgeschichte, welche sicherlich andernorts von den lokalen Medienmitbewerbern besser präsentiert worden wäre, zumal sich ja in dieser Region die guten Nachrichten eher selten finden. Und deswegen sei es an dieser Stelle gestattet, an die Tageszeitungsverantwortlichen zu appellieren: "Wacht endlich auf! SALVE ist kein Schmuddelkind, nur weil es auf einer auch von euch begehrten Frequenz sendet".
Der Medienstandort Thüringen wird durch mediales Miteinander groß und nicht durch eigensinnige Kleinstaaterei. Solch ein Kind braucht auch gebührende Beachtung, und die wird ihm noch versagt. Oder sollte man es als normal hinnehmen, dass einem bayerischen Fernsehpreis in einer Thüringer Tageszeitung eine halbe Seite mit Foto eingeräumt wird, während der Mitteldeutsche Fernsehpreis in eine Notizspalte platziert wird? Das ein mit viel Aufwand und wenig Geld produzierter Spot, der es bundesweit in die Kinos geschafft hat nicht mehr als eine Pressemeldung wert ist? Oder ein selbstherrlicher Chefredakteur die SALVE-Live-Berichterstattung über ein wichtiges öffentliches Theaterpodium kraft seiner Beziehungsmacht einfach verbieten darf?
Nein, mein kleines SALVE, du brauchst jetzt nicht zu weinen...
Denn deine Zuschauer haben dich lieb, darauf kannst du bauen.
Und du kannst auf so Vieles stolz sein. Zum Beispiel auf dein gelungenes Layout und die gereifte und sinnfällige Struktur, die aus deiner werktäglichen Sendestunde mit praktischer Sendeschleife ein Erlebnis macht. Dass du der Kultur und den Bauhaus-Filmproduktionen den verdienten Platz einräumst, ohne die Wirtschaftsmeldungen zu vernachlässigen.
Dass du in deiner Ägide Moderatorinnen wie Antje Genth-Wagner oder Lena Liberta zur Professionalität in ihrem Metier reifen lässt, mit der sie ihren sicher besser bezahlten Kolleginnen in Nichts nachstehen. In dem du bei Nachrichtensprechern wie Sebastian Kroggel oder Olivia Betz anfängliche Unbeholfenheiten tolerierst, und sie damit jetzt zu starken Sendepersönlichkeiten formst.
Oder auf eine Rubrik wie "High Society" bei der Nadja Sturm allerdings ruhig noch eigenständiger und beharrlicher an Fassaden kratzen könnte. Und natürlich auf den "Fuchs", der mit freundlicher Spontaneität bei "Serious Entertainment" nicht nur seiner bevorzugten Musikszene ein Sprachrohr bietet.
Auf der zweijährigen Habenseite natürlich die Alexandra-Formate mit augenzwinkernden Reisen in DNT-Partnervermittlungsreiche oder präzisen und mutigen Beobachtungen zu Ausländerproblematiken in Weimar-West. Und diese Alexandra Janizewski betreut dich seit Oktober 2005 nun auch noch als Redaktionsleiterin, und da bist du ja in besten Händen
Und letztlich kannst du auch deine Kameraleute, Schnittmeister und auf die Werbung stolz sein. Werbung bei der man das Bemühen erkennt, trotz kleiner Etats fast immer optimale Leistung zu zeigen.
Und auch wenn es mich manchmal nervt, dass Herr Tsum-Tsu nur Bahnhof versteht, der Radebrechtvers des Apoldaer Vereinsbräus nicht so richtig unseren Geistesgrößen entspricht und manche Produktionsbezeichnungen der Härterei "Reese" mein Laienwissen überfordern, so bin ich diesen Werbekunden doch sehr dankbar, das sie im Umfeld Objektivität zulassen, und keine Meinungen kaufen. Und deswegen wünsche ich SALVE auch noch recht viele Geldgeber mit solcher Einstellung, damit sich alle ein bisschen als Väter eines kritischen Medienkleinods betrachten können. Oder um mit einem anderen Klassiker, nämlich Brecht zu wandeln: "Sie nützen sich, indem sie SALVE nützen".
Ja, Mama Judith Noll und der oft ferne Papa Josef Westerhausen können schon stolz auf ihr SALVE-Kind sein. Obwohl ich dem Papa mal dringend ans Herz legen muss, das solche Kinder im wahrsten Sinne viel finanzielle Zuwendung brauchen, sonst gibt es unnötige Palastrevolutionen wie zum letzten Zwiebelmarkt und Personalverschleiß. Denn SALVE ist nur noch partiell Spielkind, es reift zur eigenständigen Persönlichkeit, und da ist kein Investment umsonst.
Und deswegen will ich SALVE zum Geburtstag die eingangs erwähnte, längst fällige Beachtung, sowie treue Zuschauer, weiterhin gute Ideen und engagierte Mitarbeiter, komfortablere Produktionsbedingungen und besagte Zuwendung wünschen. Und natürlich, dass sich der neue Studioaufbau bewährt, die authentische mediale Begleitung des Alltags in Weimar und Apolda im Sendekonzept bleibt und der tägliche Begleiter seine regionale Akzeptanz ausbauen kann. In diesem Sinne und in kritischer Verbundenheit herzlichen Glückwunsch.
Und noch ein abschließender Wunsch und Tipp: Da SALVE jetzt zwei Jahre alt ist, sollte es ruhig etwas souveräner mit seinem Internet-Tagebuch umgehen.


20. April 2006

Big Mama, immergrün

Früher, als es noch keine jammernde Musikindustrie, Superstarsternchen und böse Raubkopierer gab, konnte sich Melanie als Flower-Power-Ikone einfach mit eingängigen und tollen Folksongs etablieren. Und trotzdem ist diese Melanie Safka, deren Hit "Ruby Tuesday" dauerhafte Weltbekanntheit erlangte, eigentlich eine Unbekannte geblieben. Das Erfurter "Dasdie"-Brettl" bot am Mittwochabend die Chance einer Wiederentdeckung in unpassendem Großbankett-Rahmen. Der Star aus Nashville quittiert das mit einem schmunzelndem: "Sieht ja aus, wie bei einer Hochzeit" und singt "Rock'n roll heart".
Melanie ist in die Jahre gekommen und in die Breite gegangen. Doch wie sie da steht, mit Hippiekleid und Strähnchenfrisur, ist die Assoziation Woodstock und FlowerPower sofort präsent. Das liegt natürlich vor allem an ihrer unverändert kraftvollen und markanten Altstimme, dem melodischen Gegenstück zu Janis Joplin. Eine Stimme, die gegenwärtig wohl am ehesten mit Marianne Faithfull zu vergleichen wäre.
Nicht immer trifft Melanie den Ton, dafür aber den Nerv der ausgereiften Jugend, die den Saal vollständig füllt und in Erinnerungen schwelgt. Und so präsentiert die Folk-Ikone mit natürlicher Bühnenshow eine Art Wunschkonzert mit den legendären Hits "Nickel Song" und "Candles in the rain". Das Publikum singt und klatscht sich bereitwillig in die Lagerfeuerromantik, die neuen Songs klingen wie die Alten, und die Botschaft bleibt zeitlos.
Im Soloteil erweist sich Melanies Sohn und Begleiter Beau Jarred mit seiner Eigenkomposition "Two sisters" als exzellenter Konzertgitarrist, ansonsten bleibt er sympathischer, wenn auch manchmal musikalisch etwas undisziplinierter Sideman. Fast zum Konzertende kommt dann das ersehnte "Ruby Tuesday" und der Saal liegt Melanie zu Füßen. Sie parliert anschließend komödiantisch über den Jugendwahn und empfiehlt hitverdächtig "I try to die young".
Im Zugabenpack dann "What have they done to my song, Ma?" "Lay down" und selbstverständlich "Peace will come". Sie kann es eben immer noch und sie trägt den Starstatus mit der Leichtigkeit einer Ballerina.
Melanie freut sich übrigens wirklich immer noch über Blumen. Auch das wird bleiben von diesem Abend. Standing Ovations.


8. April 2006

Beseelt bis beswingt

Da "Amarcord" sich mittlerweile als Synonym für höchste vokale Klangkultur etabliert hat, war es vorhersehbar, das Konzert des Ensembles als einer der Höhepunkte der diesjährigen "Thüringer Bachwochen" festzumachen. Die Weimarer Herz-Jesu-Kirche war am Freitagabend folgerichtig ausverkauft; das teilweise fachkundige Auditorium ließ sich von dem A-cappella-Gesang nachhaltig begeistern.
Der erste Konzertteil bot streng liturgisches Maß und zeigte von Anfang an die überragende Qualität des Quintetts. Die "Moosburger Graduale" zählen zu den hohen Parcours des Genres. "Amarcord" sang diese Unisono-Partien wie aus einem Guss, Phrasierung, Tempo und Duktus genau aufeinander abgestimmt. Eindrucksvoll auch das innige Glaubensbekenntnis des "Credo" von Jehan Ockeghem (1410-1497) und die Wiederbegegnung mit dem "Sanctus", welches vielen Zuhörern durch die Fassung des "Hilliard Ensembles" mit Jan Garbarek bekannt sein dürfte.
Nach dieser beseelten Ostereinstimmung folgten dann im zweiten Konzertteil Interpretationen von Gospels und Spirituals mit hohem Anspruch an Dynamik und Arrangement sowie witzige Versionen von Beatles-Evergreens. "Can't buy me love" wurde zum Madrigal umfunktioniert, und mit dem abschließenden "Deconstructing Johann" wurde die Großartigkeit Bachs anhand humorvoller Verknüpfung seiner bekanntesten Kompositionen auf höchstem Niveau dargeboten. Mehrere frenetisch erklatschte Zugaben beendeten diesen faszinierenden Abend, der auch in seiner Vielseitigkeit internationale Größe bot. Bravo!


3. April 2006

Bauklötze

Der Bestseller "Per Anhalter durch die Galaxis" beginnt damit, dass der Erdenheld Arthur Dent durch den fortschreitenden Abriss seines Hauses geweckt wird. Er hätte sich halt bei einer verwinkelten Behörde über die Baupläne informieren sollen - damit wird sein verständlicher Protest lapidar abgeschmettert.
Diese absurde Szenerie erinnert mich ein wenig an das aktuelle Prozedere beim Bau des "Zentrums für intelligentes Bauen" (CIB) auf dem jetzigen Parkplatz der Coudraystraße. Ein Neubau also, der von der Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen, kurz STIFT, ab Oktober dieses Jahres errichtet wird. Jede Wette, dass nur ein Bruchteil der Weimarer Bevölkerung von der nun beschlossenen Umsetzung weiß, denn sonst würden die Einheimischen wahrscheinlich schon eher auf die Barrikaden gehen. Zwar beteuert Bürgermeister Stefan Wolf, es hätte doch genügend Informationsmöglichkeiten gegeben, und sein Kollege von der Materialforschungs- und Prüfanstalt Professor Joachim Bergmann legt sicherheitshalber nach, dass man ja in dieser Hinsicht keine Bringepflicht habe.
Die Realität besagt Anderes: Noch im Dezember 2005 war es für interessierte Bürger nicht möglich, von der hiesigen Stadtverwaltung einigermaßen konkrete Auskünfte zu bekommen.
Wie sieht dieser Wettbewerbssieger denn nun aus?
"Das ist kein Klotz", beteuert Bauhaus-Rektor Professor Gerd Zimmermann, und von seiner Warte mag er Recht haben. Vielleicht ist es eher ein funktionaler großer Schuhkarton mit viel Glas, stützendem Beton, ein wenig Holz und Alibigrün. Ein richtig innovativer Wettbewerbssieger ist es nicht, eher ein gemeinsamer Nenner.
Die Begründungen für diesen besiegelten Entwurf des Münchner Architekturbüros Henn, sind so absurd wie schleierhaft. Einerseits wären da stadtgeschichtliche Gründe maßgebend gewesen: die Coudraystraße hätten damals auch Scheunen gesäumt, und an solche sollte das CIB erinnern. Na ja, ein Feldversuch für solche Assoziationen würde wohl andere Ergebnisse bringen. Und wenn man schon historische Verbindungen zur Verteidigung dieses Neubaus herstellen will, dann sollte man etwas mehr Ehrfurcht vor dem Straßennamensgeber haben, denn Clemens Wenzeslaus Coudray (1775-1845) war nun mal ein bedeutender Architekt, der das Stadtbild Weimars nachhaltig prägte.
Die andere Entwurfsbegründung liegt bei dem nun fertig gestellten Gegenüber: der Materialforschungs- und Prüfanstalt. Dazu vielleicht der Kommentar eines nicht genannt sein wollenden Denkmalschützers: "Eine architektonische Sünde zieht die nächste nach sich".
In der Tat hat Weimars Innenstadt in jüngster Zeit einige dieser Betonklötzer zu verkraften gehabt: das neue Studienzentrum der "Anna-Amalia"-Bibliothek (mit wesentlich angenehmeren Innen - als Außeneindruck), den Bibliotheksneubau in der Steubenstraße und schon genannter Neubau der Materialforschungs- und Prüfanstalt in der Coudraystraße.
Die Juroren, welche für solcherart Architekturen verantwortlich zeichnen, hebeln damit denkmalschützerische Erwägungen glatt aus. Mit dem Anspruch auf Modernität werden hier monumentale Tatsachen geschaffen, die meines Erachtens weder besonders kreativ und ästhetisch sind oder etwa einem Bauhaus-Gedanken entsprechen, sondern eher das Stadtbild nachhaltig beschädigen.
Dass solche elitären Durchsetzungen überhaupt möglich sind, liegt auch in einem sonderbaren Weimarer Konstrukt begründet. Die Denkmalpflege ist hier nämlich der Stadtplanung unterstellt, und damit werden Kontrollbegehren zumindest fraglich. Ob die verantwortlichen Touristiker überhaupt ein Mitspracherecht hatten, und es wahrnahmen, bleibt auch ein Rätsel. Denn die herbeigesehnten und wirtschaftlich erforderlichen Besucher kommen doch wohl sicherlich wegen der historischen Substanz. Denn diese macht, man mag es mögen oder nicht, einen hauptsächlichen Reiz Weimars aus.
Wohlgemerkt: Nichts gegen einfallsreiche neue Architektur. Aber Gesichtslosigkeit unter dem Deckmantel der Moderne sollte geahndet werden. Und die stattlichen 7,2 Millionen für das CIB von öffentlicher Hand, scheinen im Hinblick auf den desolaten Zustand von örtlichen Schulen und Kindergärten zumindest moralisch fragwürdig.
Arthur Dents eingangs erwähntes Problem löst sich dahingehend, dass wenig später die Erde von Außerirdischen pulverisiert wird. Das ist hier wohl nicht zu befürchten, aber man sollte sicherheitshalber protestieren. Vielleicht könnten die Außerirdischen einfallslose Architektur nicht leiden...


2. April 2006

Aufklärende Medienkunde

Um es vorwegzunehmen: "Creeps" von Lutz Hübner ist ein brandaktueller und toller Plot, und somit zu Recht ein Liebling der Jugendtheaterbühnen. Am Freitagabend brachte die Erfurter "Schotte" das Stück auf ihre Bühne, und konnte die Zielgruppe ehrlich begeistern.
"Creeps" ist der Name einer Fernsehshow, bei der sich drei junge Mädchen bewerben. Man hat sie eingeladen, die Erwartungen sind hoch, die Charaktere im Wachsen, aber schon geprägt.
Letztlich stellt sich das Ganze als zynisch kalkulierter Missbrauch heraus, dem die Konkurrentinnen zwar vereint, aber erfolglos entgegentreten - die Medienmaschine frisst ihre Kinder.
Angesichts der allgegenwärtigen Castingsshows ist "Creeps" Medienaufklärung ohne Zeigefinger. Die Inszenierung von Matthias Thieme und Uta Wanitschke besetzt die Rollen altersentsprechend und erreicht damit eine hohe darstellerische Authentizität. Die kesse ostdeutsche Petra (Angelique Kranholdt), das Landei Maren mit viel Idealismus (Friederike Küstner) und die nur scheinbar abgeklärte Lilly (Alexandra Stein) erspielen sich am Premierenabend die Sympathien der Zuschauer und erbringen für ihren Altersmaßstab beeindruckende Leistungen. In einer naturalistischen Bühne (Paul Jokisch) agieren sie ebenso unbekümmert wie verletzlich. Leider hat es die Regie zumindest bei der Premierenbesetzung nicht verstanden, sprachlich präzise zu arbeiten, sodass der Duktus manchmal aufgesetzt wirkt und hastig Text verschenkt wird. Das gilt besonders für die Stimme aus dem Off (Steffen Wilhelm), der den allzu lässigen Slang dem Tempo opfert. Deswegen erreicht die Inszenierung nicht ganz die mögliche Intensität. Dafür trifft der handlungstragende Trailer von Steffen Wilhelm geschickt das Niveau der heutigen Musiksender.
Insgesamt eine sehenswerte und spannende Schotte-Produktion, die besonders Schülern dringend zu empfehlen ist.


18. März 2006

Der große Trompeter

Sven Regener ist charismatischer Sänger und Trompeter. Und er trägt seine Band "Element of Crime" auf den Schwingen seiner Poesie. Es ist dieser unvergleichliche Mix aus kultivierter, leichter Melancholie und populärer Melodik, der am Freitagabend die Thüringenhalle ausreichend füllte.
Die Band ist nicht superstarkompatibel. Unverbraucht, mit natürlichen und lockeren Duktus bringt das Quartett die Ballade zum schwebenden Schwerpunkt. Harmonisch konventionell aber nie langweilig bewegen sich Jakob Ilja (Gitarre), Richard Pappik (Schlagzeug) und Bassist David Young souverän zwischen Folkwalzer und erdigen Retrorock, eine hauptstädtische Mischung, die bundesweit ein Stück Delmenhorst mitbringt.
Regener, der als Autor mit den "Herr-Lehmann"-Büchern Kultstatus erlangte, ist als Songtexter ein Freund der Bilder. Er pflegt die Neurosen als Landschaftsgärtner, lässt den Himmel die Augenfarbe seiner Liebe tragen. Sein Leben hat manchmal keinen Platz für Zwei, denn "richtig schön warst du nur mit dir". Mit solch hintergründigen Formulierungen über das ewige Werden und Vergehen der Liebe geriert er sich unauffällig als Sprachrohr der Generation Zwanzig plus. Ein bisschen schauen Tom Waits, die Dire Straits und Randy Newman über die Schulter. Aber der Sound bleibt eigenständig, eine Meßlatte, welche die solide Vorband "Home of the Lame" erst noch erklimmen muss. Ein heiter-schwermütiger Abend mit Flugpotential und Bodenhaftung. Und endlich mal kreativer Schlagerabend, bei dem man dank guter Soundtechnik die Texte versteht. Viele Zugaben.



12. März 2006

Erfahrungsschatz

Wieder mal ein intelligenter, witziger und authentischer Ausflug in die DDR-Geschichte, dafür war bei der freitagabendlichen Leseveranstaltung im Kesselsaal des DNT der Regiealtmeister Frank Beyer schon Garant. Zusammen mit Christine Becker, der Witwe seines langjährigen Freundes Jurek Becker las er eine Auswahl von Briefen, die sein Bruder im Geiste zwischen 1969 und 1996 verfasst hatte.
Jurek Becker hatte sich mit "Jakob der Lügner" und "Irreführung der Behörden" einen kritischen Namen gemacht, und schuf nach der Wende mit den Drehbüchern zu "Liebling Kreuzberg" eine witzige und realitätsnahe Fernsehserie. Seine früheren Reiseprivilegien verklärten nicht seinen sezierenden Blick auf die Systemfehler der DDR, was er in sehr direkten oder süffisanten Schreiben an Funktionäre der "Aktuellen Kamera" oder Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann zum Ausdruck brachte. Bei Briefen an Kritikerpapst Reich-Ranicki oder Wolfgang Thierse schimmert die schriftstellerische Eitelkeit durch, andernorts erweist sich Becker als warmherzig sorgender Vater in Briefen an seinen Sohn.
Literaturwissenschaftlerin Christine Becker hat mit dieser persönlichen Edition wichtige Kutur-Strukturen der DDR aufgehellt, und im nachfolgenden Gespräch wurde dieses Erinnerungspotential durch kluge Antworten von Beyer noch verstärkt. Kein Ostalgie-Abend, und das war in Zeiten medialen Geschichtskitschs sehr wohltuend.


9. März 2006

Wehmut

"Das Beste zum Schluss" titelte das "mon ami" und dieses Motto schien der Mittwochabend wörtlich umzusetzen. Denn mit dieser Veranstaltung verabschiedete sich die profilierte Sängerin, Gesangspädagogin und Komponistin Monika Achtergarde, besser bekannt als "Nyka" nach zehn Jahren aus Weimar, um nach Frankfurt umzusiedeln.
Sie hinterlässt das Pop-Vokaloktett "Günni und die Amazonen", welches sich engagiert und auf gehobenem Amateurniveau mühte, den Auftaktteil mit Bearbeitungen von "Route 66" bis zum ABBA-Evergreen "Thank you for the music" zu füllen. Aufhorchen ließ da lediglich Achtergardes Schülerin Melanie Krug, die mit "Autumn leaves" eine beeindruckende stimmliche Leistung offerierte.
Im zweiten Teil zeigte dann Monika Achtergarde mit humorvollem Unterton ihr Können. Jazzklassiker wie "Lullaby of Birdland" wurden zu Meisterleistung im Scatgesang. Pianistisch begleitet von Josephine Paschke stellte sie zudem zwei Songs aus ihrem neuen Projekt "Lopo und Celia" vor, bei dem sie Lyrik von englischen Meistern wie Christopher Marlowe vertonte. Diese Eigenkompositionen sind hitverdächtig und begegnen internationalen Höchststandards auf Augenhöhe. Noch in diesem Jahr will Monika Achtergarde damit auf Tournee gehen. Und so endete der Abschied einer kreativen Künstlerin mit verdientem, wehmütigen Applaus. Sie wird fehlen, und das wird Weimar wie so oft nicht bemerken.


26. Februar 2006

Der Teppich unter der Wüste

Die Glückssuche und seine verschlungenen Pfade sind Kerngedanke der Geschichte vom "kleinen Muck". Christoph Werner, erfolgreicher hallescher Intendant hat das Hauffsche Märchen schon vor Jahren originell interpretiert, und nun kehrte diese Stückfassung in seine ehemalige Arbeitsstätte ein.
Es ist eine sehr vergnügliche "Waidspeicher"-Premiere geworden, dominiert durch das geschickte Doppelspiel von Tomas Mielentz und Martin Vogel. Überzeugende musikalische Zuarbeit (Mario Hohmann) sowie eine wandlungs- und ideenreiche Ausstattung (Martin Gobsch) tragen ebenso zum Gelingen des Puppenspiels für Kinder ab acht Jahren bei. Ständige Wechsel zwischen Darstellungsebenen und mit wenigen Orientteppichen imaginierten Räumen ordnen sich stringent dem Handlungsablauf unter, auch wenn sich manche Erzählstränge unter der Regie von Melanie Sowa im Nirwana verlieren. Kindgemäß und mit viel Detailwitz entsteht eine Wüstenlandschaft über Teppichen, der Sultan freut sich auf eine Bauchtanzgruppe und Frau Ahavzis Katzenschwänze amüsierten kleine und große Besucher zur Premiere am Freitagabend. Und orientalische Weisheit samt exotischem Flair lassen den Karikaturenstreit für eine Puppentheaterstunde marginal erscheinen. Sehr empfehlenswert.


9. Februar 2006

Leichte Kost

"Ich wollte unterhaltend sein", bekennt er beim anschließenden Forum im "mon ami". Und das ist Jan Weiler zweifelsohne gelungen. Der deutsche Bestsellerautor, dessen Debütband "Maria, ihm schmeckt's nicht" sich schon 800000 mal verkaufte, ging nun mit dem Nachfolgerbuch "Antonio im Wunderland" auf ausgedehnte Lesereise und machte am Mittwochabend unter den Fittichen der örtlichen Thalia-Buchhandlung erstmals in Weimar Station. Der Kleinkunstsaal war gut und interessiert gefüllt, Jan Weiler hatte ergo keine Mühe, sein Publikum sofort zu erobern.
Er ist nach 70 Lesungen auch Routinier in eigener Sache, die Gags sind genau kalkuliert und die Botschaft kompatibel. Es geht wieder um Migrationsprobleme italienischer Gastarbeiter am Niederrhein, um deutsche Ängste, Vorurteile und Feste sowie diesmal auch um esoterisch dominierte Hausgeburten. Anekdotisch, mit süffisantem und heiteren Grundton nimmt Weiler seine Protagonisten aufs Korn und erweist sich als würdiger Kishon-Nachfolger. Der ehemalige Werbetexter ist auch ein guter Selbstverkäufer, er versteht es, sprachlich zu imaginieren und seine Zuhörer zu vergnügen. Sicher ist Weilers Literatur mehr für den entspannten Augenblick, wobei er untergründige Probleme durchaus thematisiert. So ist nach den vier perfekt vorgetragenen Kapiteln alles gesagt, es bleiben abschließende Fragen nach Vergangenheit und Zukunft des Erfolgsautors. Er wird in diesem Jahr noch ein Reisetagebuch und ein Fußballmärchen herausgeben, und sein Erstling kommt 2007 mit Starbesetzung ins Kino. Und er schreibt an einem neuen Buch, aber schließt eine Fortsetzung seiner Familiengeschichten kategorisch aus. Verdienter Applaus für einen netten Unterhaltungs-Abend.



6. Februar 2006

Kraftweiber

Drei gereifte skandinavische Energiebündel füllten die "Alte Oper" in Erfurt am Sonntagabend ansehnlich, wenn auch nicht auf den letzten Platz. Das Publikum erwartete eine Auffrischung von Erinnerungen, denn in den 50ger und 60ger Jahren war den Hits von Siw Malmkvist, Gitte Haenning und Wencke Myhre kaum zu entkommen. Doch auf diesen Lorbeeren ruhten sich Trio und Band nicht aus, sondern setzten statt dessen auf Vielseitigkeit und komödiantischen Witz. Wenn das Schlagerdreigestirn sein Alter oder die Dialekte der Herkunftsländer selbstironisch aufs Korn nimmt, ist das manchmal vordergründig, aber insgesamt sympathisch. Hans Marklund hat das Drehbuch der Tourshow geschrieben, die sich nach zwei Jahren nun langsam dem Ende zuneigt. Und man sollte schon erlebt haben, wie die Grazien ein Abba-Medley zelebrieren, Wencke Myhre im Chanson ihre Einsamkeit nach dem Auftritt besingt oder Gitte Haenning in atemberaubender Jazzintensität eine Bluesversion von „There‘s no Business like showbusiness“ gibt und bei ihrem lasziven "Fever"-Cover von ihren Kolleginnen humorvoll konterkariert wird. Zwar hätten die Arrangements vom beachtenswerten Abba-Pianisten Anders Eljas etwas einfallsreicher orchestriert werden können, und auch Siw Malmkvist ist stimmlich stellenweise nicht mehr ganz auf der Höhe, doch das machen die anderen Vokalistinnen wieder wett. Am Ende ertönen dann doch die alten Hits vom Gummiboot, nicht lohnendem Liebeskummer und dem Cowboymann, dann bekommt das Auditorium, worauf es gewartet hat. Mitklatschen und stehende Ovationen quittieren verdient einen schwungvollen Unterhaltungsabend.


28. Januar 2006

Narrenkäppchen

Die immergrüne Mär vom "Rotkäppchen" bot dem Puppentheater "Waidspeicher" Gelegenheit zum amüsanten Possenspiel. Erwartungsgemäß wird die Grimmsche Vorlage modern hinterfragt; Rotkäppchens Mutter geriert zum wichtigen Handlungsträger und zögerndem Jäger, der einsame Wolf kämpft mit Libido- und Magenproblemen. Oma geht nicht immer ans Telefon und die oberschlaue Enkelin landet mit ihr vorlagentreu im Magen des Untiers, um letztlich durch Scherenschnitt befreit zu werden. Dazu tönen Wagnersche Klänge. Überhaupt dominieren in der kurzweiligen Inszenierung Wera Herzbergs witzige musikalische Zitate zwischen "Killing me softly" und "Zauberflöte", einfallsreich instrumentiert durch das vierköpfige Spielerensemble Kerstin Wiese, Annika Pilstl, Judith Kühn und Tobias Weishaupt.
Das Quartett weiß im Doppelspiel mit Christian Werdins Stabpuppen versiert umzugehen, dafür hapert es des Öfteren beim Sprachduktus. Auch die Handlungslogik ist nicht immer zwingend. Und ob die kindliche Zielgruppe alle Gags und Fremdworte (sensibel, kultiviert) versteht, sei dahingestellt. Trotzdem überwiegt der positive Eindruck in diesem sprühenden Gagfeuerwerk, das selbst anderen Grimmschen Märchen noch Nebenrollen einräumt. Der herzliche Premierenapplaus am Freitagabend war jedenfalls redlich verdient; damit empfiehlt sich die Inszenierung als lohnender Familienbesuch.

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