Spiegelzeltblog 2012
Krrrtikrrrtsch: versuchen Sie das mal auszusprechen! Dort saß ich im „Köstritzer Spiegelzelt“, um fast JEDE Veranstaltung mitzuerleben. Und machte das auch freiwillig und gab meinen Senf dazu!
Zugegeben: ich bin etwas voreingenommen. Denn in sieben vergangenen Jahren ist das „Spiegelzelt“ nicht nur für mich eine Institution und Attraktion geworden. Denn wo in Weimar kann man sonst in hoher Konzentration, angenehmer Atmosphäre und hautnah Spitzenkünstler erleben? Jedenfalls habe ich (fast) jeden Abend am „Krrrtkrrrtsch“ (übersetzt: Kritiker-Tisch) gesessen, und von den Veranstaltungen in diesem Blog wertend berichtet.
TEXTE IN CHRONOLOGISCH UMGEKEHRTER REIHENFOLGE GEORDNET
17. Juni
Die Finalisten
Da waren sie wieder, die Publikumslieblinge des Zelts, und sie hatten diesmal zum Abschluss der Saison eine Special-Edition mitgebracht. „Maybebop“ ist im Vergleich der anderen A-cappella-Formationen der unangefochtene Marktführer: witzig, originell und mit perfekt aufeinander abgestimmten Sängern.
Natürlich regierte auch König Fußball, und das Quartett gab mit Lust zwischendurch Spiel- und Endstände durch. Daneben jede Menge Hits. Eröffnet wurde mit „Komm bald“ bis dann Sänger Olli eingestehen musste „Ich interessier mich nicht für Fußball“, und dementsprechend als Außenseiter behandelt wurde. Eine Zuhörerin hatte sich im Vorab per Mail Titel gewünscht. Dem entsprachen die Sänger zunächst mit einem Song von Paul Simon. Dann wollte Olli schon wieder „Panzer fahrn“. Zur Beschwichtigung seines Gemüts wurde erstmal eine halbstündige Fußballpause eingelegt, und das „Dorinth“-Hotel war so nett, die Zeltgäste vor ihrer Leinwand platzieren zu lassen. Und bevor die Zuschauer ins Freie strömten, hatten kräftige und fleißige Helfer die Catering-Küche quasi lautlos abgeräumt.
Mit einem rasantem Cover von Chick Coreas „Spain“ läutete „Maybebop“ den zweiten Konzertteil ein. Dann gab es wieder herrliche Blödeleien wie „Fpaniff“ und das groteske „Vogellied“. Mystisch auch wieder die Interpretation des „Königs von Thule“, bis dann das Publikum mit viel Spaß als Schlagzeug fungierte. Da der „Adventskalender im September“ immer noch fehlte, ließ sich das Sängerquartett auf Improvisation durch Publikumsvorgabe ein. Dabei hatte der „Papst einen Burnout“. Dem folgte dann ein düsterer „Kindergartentechno“, sehr zum Amüsement der Zuhörer. Das abschließende „Bi-Ba-Butzemann“ zeigte noch einmal im pfiffigen Arrangement die Höchstleistung des Quartetts. Der lange Zugabenteil bot noch einmal die „Boys am Bassbass“ und den gruselig-spaßigen „Kaktus“ bis sich das Ensemble mit der anrührenden Ballade „Solid gold“ in die Sommernacht verabschiedete, und damit eine hochkarätige Spiegelzeltsaison beendete.
16. Juni
Unser Harry
Wenn der Harry ins Erzählen kommt, dann aber richtig. Und trotzdem kommt man schon ins Rätseln, wenn man seine Profession beschreiben soll. Er ist Übersetzer, Schalk, Lebenskünstler, Lindenstraßen-Schauspieler, Kolumnist und Protestredner, um nur einige Facetten seines Schaffens aufzuzeigen. Und er ist ein witziger Beobachter der Zeitläufe. So mokiert er sich darüber, wie viele Vorbilder öffentlich popeln, wie beispielsweise der Bundestrainer, und was das für Auswirkungen hat. Er liest aus den Kinderbüchern mit Mister Gum, allerdings nur Anfänge und Enden: „damit sie die Bücher dann auch kaufen“! Und er schildert seinen Weg vom Weimarer Hauptbahnhof, vorbei am Thälmanndenkmal, und bedauert, dass er diesmal für seinen „Teddy“ keinen Nelken mitgenommen hat. Er lästert gerne über Bremen und ist stolz auf seine St. Pauli-Anstecknadel. Er ruht in sich mit seinen Erzählungen, die er immer wieder genüsslich anekdotisch unterbricht. Und da der Mann viel erlebt, kann er das auch gut vermitteln, und das Publikum amüsiert sich über drei Stunden ziemlich prächtig. Allerdings sei dem Künstler ins Stammbuch geschrieben, dass sich auch in der Beschränkung der Meister zeigt: weniger wäre vielleicht mehr gewesen. Doch trotz der Fülle und einer langen Zugabe, welche aus vielen Witzen, drei Hymnen und dem brüllend komischen „Knolls Katzen“ besteht, ist das Publikum bestens unterhalten, und die irische Seele des Künstlers hat das sichtlich erfreut.
15. Juni
Die Power-Liesl
Es geht ein bisschen so los wie bei der Maxi-Playback-Show, wie sie da aus dem Publikumsraum kommend, zunächst als Märchentante einleitet, um dann im feschen Dirndl über Land und Leute herzuziehen. Lisa Fitz ist mit ihren 62 Jahren ein mitreißendes Energiebündel: frech, klug, engagiert und dazu auch eine gute Gitarristin.
Ihr Thema ist der Mut, den man immer dann nicht hat, wenn man ihn bräuchte, und sie schlägt einen weiten Bogen über die Weltkriege und deutsche Panzerlieferungen nach Saudiarabien bis zu internetabhängigen Nerds. Sie zitiert viel Philosophisches und wird manchmal auch etwas derb. Dazu gibt’s witzig angeschossene Feindbilder wie die „Geranien-SS“ und eine umwerfend komische Geschichte eines Neonazis im Wartezimmer. Auch die aktuelle Politikerriege bekommt ihr Fett weg, wobei sie sich hier eher an Äußerlichkeiten abarbeitet.
Und dann gibt es da noch die Lieder, im ersten Teil noch Playback begleitet mit harten Rockriffs und moralischem Impetus. Später, im zweiten Teil dann der wunderschöne Reinhard Mey „Sei wachsam“, bei dem sie sich selbst auf der Gitarre begleitet. Dann eine Abrechnung mit Machosprüchen von Putin bis Ecclestone und abschließend die kraftvolle Geschichte der Rosa Parks, welche durch ihren Mut die Initialzündung zur Aufhebung der Rassentrennung in Amerika lieferte.
Da hat die Fitz ihr Zeltpublikum schon längst erobert, und deswegen gibt es dann auch noch eine witzige Zugabe über das Liften, welche Fitz mit perfekten Grimassen illustriert. Ein sehr unterhaltsamer und engagierter Abend, und auch Frau Fitz würde nach eigenem Bekunden gerne wiederkommen.
FAZIT
Bayrisches Powerpaket mit kritischem Blick
ZITAT DES TAGES
„Was ist Demokratie? Wenn vier Füchse und ein Hase übers Abendbrot abstimmen“! Lisa Fitz
SPLITTER
Es gab noch einen weiteren Star des Abends. Intendant Martin Kranz kürte Reinhard Müller-Hollenhorst zum Stammgast der Saison. Der rüstige Weimarer hat schon zwanzig Veranstaltungen in den letzten sechs Wochen besucht. Das ist Rekord, und deshalb heimste er auch starken Applaus ein.
13. Juni
Mitreißender Soulgottesdienst
Da war er wieder, der Soulprediger aus Hamburg, und seine Brüder und Schwestern hielten ihm an beiden Abenden die Treue. Stefan Gwildis hatte einige Neue, und viele alte Hits mitgebracht, die er der Gemeinde darbot, und zudem hatte er hervorragende Verstärkung mit dem Tobias-Neumann-Trio. Diese Musiker haben Soul und Swing im Blut und der Meister fühlte sich auf diesen Klangteppichen sichtlich wohl. Er kann aber auch solo, wie er bei virtuosen Scat-Einlagen unter Beweis stellte. Und es gab wieder die Mitsingtitel. Bei „Grau“, einer tollen Hymne an die Himmelsfarbe, stand denn auch das ganze Zelt und sang und klatschte euphorisch mit.
Gwildis versteht es, mit seiner bescheidenen und sympathischen Art und seiner Reibeisenstimme das Publikum zu fesseln und zu begeistern. Er lässt auch den Musikern Platz für ihre Soli, und Pianist Tobias Neumann nimmt dieses Angebot bei „Grau“ auch dankbar an. Zwischendurch gibt’s dann auch die aktuellen Fußballergebnisse, und da setzt sich Gwildis gegen eine EINZIGE intolerante Dame im Zelt souverän durch. Und wer die Freude der Künstler beim verkündeten Endergebnis sieht, weiß, dass König Fußball auch diese Herren nicht kalt lässt. Da ertönt dann auch die Nationalhymne in witziger Fassung, es ist eben Live und ein großer Spaß. Und der Abend krönt sich vor der Pause, als Gwildis sein Mikrofon zufällig vor die Nase von Günther von Dreifuß hält, und der den Ball gekonnt aufnimmt, und den Part des Frontsängers adäquat übernimmt.
Zum Ende des Programms gibt es, wie im Vorjahr Gwildis Cover von „Just my imagination“, und das Publikum geht wieder begeistert und hüftschwingend mit. Ein großartiger Abend, der mit einem Joe-Cocker-Klassiker beendet wird. Dann sind auch schon mehr als zweieinhalb Stunden vergangen, und so sagen die Brüder und Schwestern: „Hallelujah, und komm bloß wieder“!
11. Juni
Der Tribunal-Rhetoriker
Hagen Rether ist sein eigenes Markenzeichen. Mit rehbraunen Hundeaugen, feinem Anzug und sorgsam gebürsteten Pferdeschwanz sitzt er vor dem Flügel, den er aber diesmal erst nach exakt 90 Minuten bedient. Überhaupt mutet Rether seinem Publikum einen außergewöhnlichen Marathon zu, denn sein Programm wird noch einmal eineinhalb Stunden dauern.
Hagen Rether macht extrem politisches Kabarett, aber er serviert es so geschickt, dass man es kaum merkt. Er schont seine Zuhörer nicht, sondern macht ihnen sukzessive klar, dass sie Teil des großen Weltproblems sind. „Ich weiß auch nix. Ich red aber was“, sagt er treuherzig ins Publikum. Er weiß aber eine ganze Menge, wenn er Zusammenhänge herstellt, die Lügen von Politikern und Absichtserklärungen entlarvt und mit messerscharfer Logik mediales Hyperventilieren geißelt. Und er hat Ängste: „Wenn Romney gewinnt muss Dylan wieder Lieder schreiben“, beispielsweise, oder vor dem Stalinismus, der natürlich in Wahrheit nur ein Ablenkungsmanöver ist. Wie auch der „Drecks-Guttenberg“ und dann kommt Rethers Mantra: „Was reg ich mich auf“.
Hagen Rether wirkt auch als Aufklärer, als er klar zwischen linker und rechter Gewalt differenziert. Ach ja, und romantisches Bluesklavier spielt er auch noch. Zu später Stunde gibt es trotzdem noch tobenden Applaus, und wie man hört, wird er auch im nächsten Jahr wiederkommen.
10. Juni
Prinzentrio
Mit „Ganz Schön Feist“ setzte das Spiegelzelt den Reigen der a-cappella-Spitzenformationen fort. Die drei Göttinger sind alte Hasen in der Branche, und dementsprechend souverän und abgeklärt brachten sie denn auch ihr Abschiedskonzert zu Gehör. Zwanzig Bühnenjahre verbinden die kleine Formation, und das schlägt sich positiv in Klang und abwechslungsreichem Repertoire wider.
„Ganz Schön Feist“ blickt zurück auf seine Laufbahn, und da haben sich eine Menge Ohrwürmer angesammelt. Unterstützt durch leichtes Instrumentarium mit Keyboard, Gitarre und Schlagzeug serviert das Trio einen mitreißenden Querschnitt durch sein Schaffen, gespickt mit launigen Moderationen.
Markenzeichen ist der sanfte und beschwörende Gesang des Frontsängers
Mathias Zeh. Mit seiner eingängigen Stimme schmeichelt er schwarzhumorige Texte auf die klug arrangierten Songs, und hat schnell die Lacher auf seiner Seite. „Ganz Schön Feist“ gaben mit diesem Programm übrigens auch ihren Zelteinstand, und eroberten das Publikum im Nu. Ob sie nun das Privatfernsehen mit seinen stumpfsinnigen Talkshows geißeln, das Anbahnen von Damenbekanntschaften und die damit verbundenen Schwierigkeiten schildern oder sich die Welt aus Gänseblümchenperspektive betrachten: das Zwerchfell wird ausdauernd malträtiert. Doch gibt es mit „Letzter Sommer“ auch melancholische Einwürfe, und das tut dem Abend hörbar gut. Vielseitig in den musikalischen Genres zwischen Reggae und Jazz laborierend, wird das Programm nie langweilig und behauptet damit einen Spitzenplatz der Szene. Deswegen auch nach Einlösung von Sanifair-Bons drei Zugaben mit „Aphrodisiakum“ und „Wir sind die Besten“. Letzteres stimmt so, sieht man einmal von „Maybebop“ ab.
9. Juni
Mehr Schauspieler als Sänger
Burghart Klaußner ist in erster Linie ein begnadeter Schauspieler. Und er hat eine persönliche Leidenschaft: Chansons aus der Zeit zwischen 1900 und 1950. Und so begegnet sein Publikum im Spiegelzelt am Samstagabend ein wenig Charles Trenet und Fats Waller, deutschen Emigranten wie beispielsweise Paul Igelhoff und ganz viel Cole Porter. Das Ganze wird aus der Familiengaststätte „Zum Klaussner“ serviert, einem historisch verbürgten Ort, der mit namhaften Gästen dieser Zeit aufwarten konnte.
Klaußner spannt den Bogen sehr weit. Von französischen Salonhit über bayrische Schmankerl bis zu originell übersetzten amerikanischen Songklassikern führt seine internationale Reise. Dabei wird er exzellent von einem Hamburger Musikerquartett unter der Leitung des Pianisten Jan-Peter Klöpfel begleitet. Sensibel erschaffen die vier Musiker zeitgemäße Atmosphäre mit Saxophon, Kontrabass und Schlagzeug und arbeiten Klaußner damit spannungsvoll zu.
Leider kann der Sänger Klaußner nicht das halten, was der Schauspieler Klaußner verspricht. Zu gepresst agiert der Frontmann in stimmlichen Höhen, und manche Präsentation wirkt sehr unbeholfen. Dadurch will frenetische Begeisterung auch nicht aufkommen, man applaudiert artig und ist unterhalten. Mehr aber eben nicht. Denn wenn ein Chansonabend nicht durch die Stimme getragen wird, bleibt ein fader Nachgeschmack. So bleibt in positiver Erinnerung die deftige Ballade vom Fensterputzer, das „Eene, meine Pinpong“ von Peter Igelhoff, und die valentinesk vorgetragene Dialektgeschichte von der Beerdigung des Anspitz. Zum Abschluss singt Klaußner noch die anrührende irische Ballade vom Danny Boy, und er lässt auch einen Koffer in Berlin. Mit „Honey pie“ gibt es noch eine zweite Zugabe bis Sänger und Band ihr Publikum in die kalte Nachtluft entlassen.
FAZIT
Gute Unterhaltung, aber auch nicht überragend.
SPRUCH DES TAGES
„Wo eine Schraube locker ist, ist es die Mutter“. Burghart Klaußner über Psychoanalyse
8. Juni
Gürtellinientreues Ärgernis
Es besitzt Ausnahmewert, wenn der Kritiker schon in der Pause das Zelt verlässt. Aber das kann sich Hans Werner Olm auf die Fahnen schreiben, und sie können es mir hoffentlich nachsehen: der Künstler hat mich aus dem Auditorium vertrieben.
Hans Werner Olm gründete seine Bekanntheit durch sein Engagement beim Privatfernsehen, wo er mit sehr schwarzhumoriger Gagdichte schnell ein vorwiegend jugendliches Publikum eroberte. Olm war das, was man in der Szene extrem nennt: er kannte keine Tabus oder Schwellen, sein Instrument war nicht das Florett, sondern der Hammer.
Nun also Olm im Zelt, und man hätte nach der pianistischen Einleitung mit Debussyklängen vielleicht erwarten können, dass man eine andere Seite des Künstlers kennenlernen dürfte. Leider wurden solcherart Hoffnungen schnell zerschlagen, denn Olm brüskierte mit Brachialgewalt und zotigem Gehabe, dass vielleicht auf Ballermann-Orgien eher gepasst hätte. Nachdem er sich darüber aufregte, wer denn alles Bücher schreibt, setzte er eigene, komplett pointenlose Kostproben über hässliche Frauen, mit denen er schlief und Facebook-Probleme beim Kacken. Letzteres walzte er dann genüsslich aus, und als er dann darüber schwadronierte, wie in seinem Darm ein Fahrradlenker steckte, der beim Bewegen klingelte, war es des Schlechten schon längst zuviel. Zudem gab es noch ein paar Lieder, bei denen sich Olm auf der Gitarre begleitete. Offenbar war er aber nicht in der Lage, sein Instrument richtig zu stimmen. Dabei hätte er sich nur auf den Pianisten verlassen müssen. Dann ging es noch einmal um gute alte Feten mit bedenklichem Frauenbild und Galas mit viel „Verbalkot“. Letzteres wäre denn auch fast das Stichwort des Abends, der die zweifelhafte Prämierung des niveaulosesten Programms der diesjährigen Spiegelzeltsaison locker verdient hat.
7. Juni
Erzählerischer Wasserfall
Ihm ist sein Auto, und damit alles Existenzwichtige, verbrannt. Und so steht Horst Schroth vor „Herbies“ Kneipe, und lässt den 65. Geburtstag seines Freundes Frankie, einem Notar, dicht unter dem „Existenzmaximum“, Revue passieren. Er erzählt wie ein Wasserfall mit kleinen, feinen Pointen. Das Ganze ist weitestgehend unpolitisch, aber sehr unterhaltsam. Da treffen Frankies Exfreundinnen mit der neuen Konkurrenz in Form von Olga aufeinander, Autonome versuchen die Fete aufzumischen, scheitern aber an fundierten 68ern, die Damentoilette wird zum Tribunal und letztlich wird auch die Euro-Krise mitverhandelt. Auch Außenminister Westerwelle bekommt als „El Guido“ sein Fett weg, und die Weisheit von Alexis Sorbas beendet das Programm.
Schroth führt ein leichtes aber scharfes Florett und oszilliert zwischen intelligentem Entertainment und Gags entlang der Gürtellinie. Damit trifft er perfekt den Nerv des Publikums, und wird deshalb auch erst nach einer Zugabe entlassen. Dies ist eine sehr originelle Griechenland-Geschichte, und damit endet ein sehr anregender und atemlos erzählter Abend.
5. Juni
Bayrischer Eulenspiegel
Da war er wieder, der Willy, und er hatte wieder viele Schnurren mitgebracht. Einiges war neu, wie das grässliche Quietschen der Tür in der Weimarer Tiefgarage, manches kannte man schon von seinem Zeltauftritt im vorigen Jahr.
Willy Astor ist das, was man landläufig einen Schelm nennt. Ein bayrischer Till Eulenspiegel, der aufmerksam seine Umgebung beobachtet und daraus oft absurde Schlüsse zieht. Diesmal beginnt er mit einer langen und amüsanten Publikumsbefragung, ehe er seiner „Miss Uri“ huldigt, seine Einkehr bei Esso thematisiert (den gleichen Gag hatte auch Basta im Programm!) und dann fröhlich über deutsche Mundarten herzog. Dass ein Geistlicher ein Rockkonzert als „Tauber Bischof“ verlässt, mag hier als Beispiel dienen. Mit dem Hit „Immer bist Du der Bestimmer!“, entließ Astor sein begeistertes Publikum in die Pause. Danach gab es seine Hits im internationalem Gewand, virtuos mit Gitarre begleitet. Überhaupt ist Astor ein sehr guter Musiker, der es versteht, sein diesbezügliches Können in sein Programm effektiv einzubauen. Mit einem absurden Abzählreim, der Frage nach dem Hummelhonig und einer witzigen Geschichte mit Markenprodukten ging der zweite reguläre Programmteil zu Ende. Dabei hätte er es mit einer kleinen Zugabe, wie den „Kaulquappensocken“ auf den Hit „Guantanamera“ belassen können, aber das Problem war, dass Astor kein Ende fand. Vierzig Minuten Zugabe, die nur einmal erklatscht wurden, dehnten sich zu einem weiteren Programmabschnitt aus, und das war des Guten eindeutig zu viel. Auch wenn er als selbsternannter „Oral-Apostel“ sicher eine Botschaft sendet: auch die gläubigste Gemeinde bracht auch mal wieder eine Pause. Insgesamt war Astors Programm „Nachlachende Frohstoffe“ erheiternde Unterhaltung mit vielen Wiederbegegnungen, und so gab es verdienten und starken Applaus.
FAZIT
Witzig, aber etwas zu lang.
SPRUCH DES TAGES
„Kann man sie als Publikum buchen?“ Willy Astor
3. Juni
Prickelnder Fünferpack
Den hochkarätigen Reigen von A-cappella-Formationen setzte das Spiegelzelt am Sonntag mit „Basta“ fort. Die fünf Hannoveraner zählen seit geraumer Zeit zu den Spitzenvertretern des Genres, und stellten dies auch mit ihrem neuen Programm „Basta macht blau!“ unter Beweis.
Das Konzept des Quintetts ist einfach und wirksam: zunächst ist da der bestechend perfekte Satzgesang. Die Register werden homogen bedient, die Arrangements akkordisch ausgefeilt. Dazu kommen die witzigen und teilweise schwarzhumorigen Texte, verbunden mit kleinen Choreografien, die dem Ganzen noch zusätzlichen Schwung verleihen. Da geht es um den Duschvorhang, der als Einziger an Einem hängt, das gute Frühstück bei Stephanie, das Unglück, im Körper von Reinhard Mey gefangen zu sein oder den unwiderstehlichen „Bratislava Lover“. Das ist alles sehr komisch, und das Zwerchfell des Publikums wird ausreichend massiert. Mit „App Depp“ nehmen sich die fünf Jungs des iPhone-Wahn mancher Zeitgenossen genüsslich auf die Schippe und wenn der schüchternste der Truppe sich als „Wild thing“ entpuppt, bleibt auch kein Auge trocken.
„Basta“ eint also Gesang und Witz in Manier der Comedian Harmonists, und das kommt beim Publikum so gut an, dass Zugaben unvermeidlich sind. Und so kommen wir noch in den Genuss des Hits „Give me hope, Joachim“ und ganz am Schluss kommt dann auch der Bass Andreas zu seinen Ehren mit „Wie gut, dass es mich gibt“.
Insgesamt ein mitreißender Abend mit einem klitzekleinen Makel: die Freunde von „Maybebop“ sind noch besser.
31. Mai
Zauber des Verlorenen
Es hätte fast ein Weimarer Spitzentreffen werden können, denn wenige Kilometer vom Beethovenplatz entfernt gab sich in Ettersburg Kitty Hoff die Ehre, während Lisa Bassenge im Spiegelzelt gastierte. Hoff und Bassenge sind die wohl bekanntesten Vertreterinnen der neuen Berliner Chansonszene, welche mit leicht unterkühltem Flair die Zuhörer in ihren Bann zieht. Das Spiegelzelt war auch sehr gut gefüllt, und der starke Regen tat sein Übriges, um das leicht melancholische Flair des Abends zu unterstützen.
Es begann orientalisch angehaucht mit der Ballade „Über Eis“, und auch „In dieser Stadt“ sang Bassenge in warmer und markanter Altstimme über die Verlorenheit der Menschen, und brillierte nebenbei mit ausgeformten Scat-Gesang. Die Texte haben immer nur etwas Ungefähres und Angedeutetes, und das macht den Reiz der Songs aus. Bei „Mädchen Kosmetik“ geht es um die Außenhülle einer jungen Dame, die erotisch punkten will, aber letztendlich sich selbst sucht.
Das alles bietet Lisa Bassenge mit einem exzellenten Trio, bestehend aus dem Pianisten Christoph Adams, dem Kontrabassisten Paul Kleber, der auch ab und zu den Elektrobass bedient, und dem Schlagzeuger Rainer Winch. Die Drei sind im Jazz beheimatet, und begleiten die Frontfrau sehr einfühlsam und in großer stilistischer Bandbreite. Das wird Udo Lindenbergs „Sizilianischer Werwolf“ zur tragischen Ballade, der „Satte Himmel“ von Sven Regener geriert zum Lebenstraum, und Rio Reisers „Julimond“ bekommt neue Intensität, obwohl hier das Arrangement nicht ganz passend scheint. Mit „Dummes Herz“ von der brandaktuellen CD und dem Cover von Hildegard Knef „Ohne Dich“ bedankt sich die Bassenge mit zwei Zugaben vom begeisterten Publikum. Ein toller Abend, mit einer sehr stimmungsvollen Lichtregie. Aber das soll noch einmal ein Extra-Thema werden.
29. Mai
Böser Zeigefinger
Gerd Dudenhöffer hat einen hessischen Urtyp erfunden, der ihn jetzt schon seit mehr als zwei Jahrzehnten begleitet. Heinz Becker ist ein Bauer, der sich mit blauer Arbeitshose, kariertem Hemd und der „Kapp“ auf einen Stuhl setzt, und dann ohne Pause losbabbelt. Sein Protagonist pflegt eine Art Volkshumor der schwärzesten Sorte, der das Publikum ebenso amüsiert wie verunsichert. Denn Heinz Becker spannt den Bogen weit: von dem Kassenwart Willy Stankow, der nur so lange im Amt ist „weil er noch nicht erwischt wurde“, Philipp Rösler, dem gelernten Vietnamesen und dem Automatikschirm für Griechenland. Mit einer kleinen Verkomplizierung der Sprache hat er die Lacher immer auf seiner Seite, wenn er beispielsweise den Prioritäten den Vortritt lassen muss. Für ihn haben eineiige Zwillinge eben auch einen Makel im Hoden.
Grundgerüst seiner Figur ist der Spießer in Reinkultur, der seiner Frau bei der Sterbehilfe durchaus unterstützen würde, wenn sie ihm denn sagte, wie die Waschmaschine und der Trockner funktioniert. Er balanciert an den Rändern, durchaus auch einkalkulierend, dass es Beifall von falschen Seiten geben könnte. Denn ganz eindeutig sind seine Bühnenhaltungen nicht, sei es, wenn er den Holocaust streift oder den beißwütigen Pitbull in Schutz nimmt. Auch mit dem Mauerfall hat er so seine Probleme („ehemaliges Schwerin“), und das kommt alles so liebenswürdig daher, dass man die Bösartigkeit erst später registriert. Abschließend geriert er sich als Weltenwarner („Die Eiszeit soll auch wärmer werden“). Die Zugabe ist folgerichtig, und da verbindet er schwarzhumorig eine Hemdenwaschung seiner Hilde mit einem Motorradunfall. Langer Applaus für einen Meister des Subtilen, dem man nicht umsonst zwei Abende im Spiegelzelt eingeräumt hatte.
FAZIT
Schwarzer Humor im volkstümlichen Gewand.
SPRUCH DES TAGES
„Ist eine Seebestattung für Blinde überhaupt möglich?“ Gerd Dudenhöffer alias Heinz Becker
26. Mai
Müdes Funkeln
Da waren sie wieder, die Diamanten des Boulevards. Im Vorjahr haben die Marlenepreisträger, und damit Publikumslieblinge des Spiegelzelts, getafelt und die ferngebliebenen Gäste mit ätzendem Spott überzogen. Diesmal legten sich die Beiden ins Bett, und es sollte auch wieder ein Fest geben. Ihre Freunde Peter und Sabine planten, noch einmal heiraten, aber so richtig will es mit der Freude darauf nicht klappen, und Tetta Müller und Lo Malinke haben dadurch wieder Anlass, ihre frechen Sprüche loszuwerden. Natürlich lieben sie sich wieder innig und ziehen übereinander her. Da werden die Schlafgewohnheiten aufgespießt, und das nächtliche Fernsehen, es gibt Unterweisungen im Betten machen und viele Plätzchen zum Knabbern und Krümeln.
Doch um noch mal auf die eingangs erwähnten Diamanten zu kommen: mit dem Funkeln war es diesmal nicht allzu viel her. Die Künstler verlassen sich diesmal doch allzu sehr auf eingeführte Stereotype, es wird auch zuviel gesungen, das Pathos in den Liedern ist dick aufgetragen und mancher Gag kam abgewandelt aus dem letzten Programm. So wurden die zweieinhalb Stunden inklusive Zugabe doch etwas lang, und die Empfehlung, sie beim nächsten Mal nicht als Publikumslieblinge zu wählen, kam auch etwas arrogant daher. Trotzdem ist den Malediven insgesamt wieder ein hoher Unterhaltungswert zuzuschreiben, was auch an der gediegenen musikalischen Begleitung vom Pianisten Florian Ludewig liegt. Das abschließende „Zu fett zum Fliegen“ könnte ein Omen für das Programm gewesen sein, so dass die Zugabe „Meer sehn“ dann wohl eine Empfehlung für neue Programmufer sein könnte.
25.Mai
Hochmusikalischer Wortfetischist
Sebastian Krämer kann Vieles richtig gut. Beispielsweise Klavier spielen. Harmonisch zwischen Jazz und romantischer Klassik verortet, begleitet er seine Chansons in anspruchsvollem und virtuosem Duktus. Ihm zur Seite steht der Cellist Gregor Hovath, der sanft, aber eindringlich begleitet. Und dann sind da Krämers Chansons, die in der deutschen Kleinkunstlandschaft unbedingten Alleinstellungscharakter haben. Sie sind schwarzhumorig, sarkastisch und im besten Falle hochpolitisch. Dabei fordert Krämer seinem Publikum eine Menge Konzentration ab. Denn seine Wortkaskaden, gestählt durch seine Erfahrungen beim Poetry Slam, sind zwar treffsicher, aber tempomäßig sehr rasant. Krämer singt von enttäuschten Lieben, Märchenerfahrungen im Wald, von dem Ding, was die Treppe runtergeht (gemeint ist ein Flummy) und das Möllnhausener Riesenrad. Er hat manchmal Mitleid mit Satan, philosophiert über Vermögen und Unvermögen des Liedes und rechnet mit Herzensbrecherinnen ab. Manchmal erinnern seine Songs an Georg Kreisler („Adonis bringt dich zum Lachen“) oder Tucholsky („Konterrevolutionär“). Insgesamt also ein eigenständiges und brillantes Konzept, stellenweise schwierig zu konsumieren, aber immer lohnend. Deshalb auch mehrere Zugaben, wie das bissige „Wovon träumst du“ und die wunderbare Blödelnummer vom „Zackenu“. Krämer war deutscher Kleinkunstpreisträger 2009, das hat er verdient. Nun muss er nur darauf achten, an seiner erreichten Höhe nicht stehenzubleiben.
FAZIT
Brillanter Wortzauberer mit spannender Musikbegleitung
SPRUCH DES TAGES
„Sehnsucht ist nicht an seiner eigenen Abschaffung interessiert.“ Sebastian Krämer
24. Mai
Tasten- und Textzauberer
Zur Freude von Spiegelzeltmannschaft- und Publikum gastierte auch in diesem Jahr Lars Reichow am magischen Ort. Reichow versteht es, wie kaum ein Anderer den Fokus auf soziale Brennpunkte zu legen. Diesmal fixierte er das Kapital und seine Auswüchse, also genau das richtige Programm zur heutigen Finanzkrise.
Reichow ist zunächst einmal ein virtuoser Komponist und exzellenter Komponist. Seine Songs bestehen aus rhythmisch schnellen und eingängigen Strukturen, die sofort in Blut und Beine gehen. Dazu die bissigen, sarkastischen oder humorvollen Texte, vorgetragen mit seiner leicht rauchigen und wandlungsfähigen Stimme. Und Reichow ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Diesmal skizzierte er den renitenten Sohn auf dem Sitzsack und das reiche Ekelpaket, dessen Möpse nur geringe Überlebenschancen haben. Er geißelt Alltagshaltungen wie den Ärzteplural und das Nachbarschaftsrating. Das ist absurd, komisch und sehr treffend beobachtet.
Und dann gibt es da die kleinen innigen Momente, wie das Chanson „Arme Leute“, welches das soziale Engagement des Künstlers aufzeigt. Denn ihn interessieren nicht die Schlagzeilen, sondern die Auswirkungen auf die Bevölkerung. Natürlich nimmt er sich auch die politische Klasse vor, lässt die Merkel mit ihren europäischen Kühlschrank-Käsen auf Schatzsuche gehen und porträtiert die Schweizer in ihrer Borniertheit. Auch Lottogewinner und Rentner werden satirisch und schwungvoll aufgespießt, und so gestaltet sicha sein Programm „Goldfinger“ sehr abwechslungsreich und in keiner Weise langweilig. Ab und zu lobt er auch in euphorischen Tönen die Stadt Weimar, von der er ehrlich fasziniert ist: „Weimars Menschen halten, was die Gebäude versprechen.“
Insgesamt wieder ein Abend, der die Erwartungen an den Mainzer vollends erfüllte. Deswegen auch viele Zugaben, darunter das Chanson vom Glück, eines seiner schönsten Liebeslieder. Denn die kann er natürlich auch schreiben, wie auch das innige „Immer mehr“. Glücklich die Frau, der solche Songs gewidmet werden, und der Kritiker freut sich schon auf neue Reichow-Welten im nächsten Jahr.
FAZIT
Songwriter-Virtuose mit Botschaft und sozialem Gewissen
SPRUCH DES TAGES
„Der Schweizer ist die Verfeinerung des deutschen Hausmeisters.“ Lars Reichow
23. Mai
Sächsisches Kraftpaket
Das kann eben nur Annamateur: scheinbar Gegensätzliches verbinden, den Abend scheinbar ohne einen roten Faden spannend machen und das Publikum königlich und intelligent amüsieren. Das sächsische Kraftpaket hatte sich diesmal zur Unterstützung des bewährten Cellisten Christoph Schenk und den Berliner Gitarristen Kim Efert geholt. Letzterer gab damit seinen bravourösen Einstieg in das Projekt. Nur einmal fiel er aus der Rolle: als er den Blödeleien von Anna-Maria Scholz nicht widerstehen, und sein Lachen nicht verkneifen konnte.
Annamateur hatte sich für sein Programm „Screamshots“ einen DDR-klassischen Overhead-Projektor, den sogenannten Polylux, mitgebracht. Darauf zeichnete die Sängerin im Rahmen einer fingierten Unterrichtsstunde als unerbittliche Lehrerin ihre Lehrbilder ins Licht, und das war größtenteils urkomisch. Da sind die Malen-nach-Zahlen-Vorlagen allesamt mit schwarz oder grau auszufüllen, die Sonnenuntergänge haben genormt zu sein und die Auswüchse der Schönheitschirurgie werden in einer absurden Anatomie gezeichnet.
Dazu gibt es die unterschiedlichsten Lieder, mal über den Nahen Osten, mal über die Liebende, welche trotzig für sich selber sorgt. Annamateur bleibt dabei sowohl authentisch, als auch ungeheuer intensiv. Das schlägt ihr Publikum von erster Sekunde an in den Bann. Später gibt es dann dafür auch frenetischen Applaus, und die Künstlerin bedankt sich mit mehreren zugaben, darunter einer faszinierenden Coverversion von Michael Jacksons „Bad“. Insgesamt wieder einer Sternstunde im Spiegelzelt. Möge Frau Scholz doch bitte hier Stammgast werden.
FAZIT
Kraftpaket mit mitreißend anarchischem Programm.
SPRUCH DES TAGES
„Es geht auch leiser!!!“ Annamateur als herrische Lehrerin
20. Mai
Jasminblüte im Zelt
Der Mentor und Bandleader David Klein kann wirklich stolz sein. Denn sein Schützling Jasmin Tabatabai hat sich unter seiner Führung zu einer erstklassigen Jazzsängerin und Interpretin entwickelt. Das stellte die Schauspielerin am Wochenende auch im Spiegelzelt mit ihrem Programm „Eine Frau“ unter Beweis.
Es gibt zwei inhaltliche Schwerpunkte an diesem Abend. Da sind zunächst die aufregenden Interpretationen von Schlagern der Zwanziger wie beispielsweise „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ oder „Ich weiß nicht zu wem ich gehöre“. Diese werden im Arrangement von David Klein zu Perlen mit einer Intensität, wie man sie wohl selten auf deutschen Chansonbühnen erlebt. In die gleiche Gattung gehören die vertonten Tucholski-Gedichte mit beißendem Spott oder großstädtischer Melancholie. Zum zweiten Schwerpunkt gehören die eigenen Songs wie „Das Brautkleid“, „Nimm ihn Dir“ oder das Cover „Herbstgewitter über Dächern“ von Reinhard Mey. Jasmin Tabatabai verinnerlicht die Texte und singt sie unaufgeregt und unprätentiös. Damit zeigt sie eine hohe Authentizität, und das Publikum honoriert das mit frenetischem Applaus.
Und hier sei nun spätestens auch die Band erwähnt, welche mit Klavier, Kontrabass, Schlagzeug und Saxophon zu hervorragenden Begleitern mutieren, die kleinste Nuancen der Sängerin aufnehmen und mit ihr zu einem faszinierendem Konglomerat verschmelzen. Sie tragen wesentlich zum Gelingen des Abends bei, der mit einem langen Zugabenteil endet. Bravo!
FAZIT
Ein Chanson-Highlight.
SPRUCH DES TAGES
„Das war einer der schmerzhaftesten Fußballtage meines Lebens.“ Jasmin Tabatabai über das verlorene Fußballspiel der Bayern
SPLITTER
Die Köstritzer Brauerei hatte ein paar Losgewinner und die Journalisten zum Essen ins Spiegelzelt geladen, und auch mir wurde die Ehre zuteil. Bei leckerer Kürbissuppe, leckeren Fleischvariationen und einem göttlichen Erdbeersorbet konnte ich mir es richt gut gehen lassen. Aus dem ferneren Vogtland war auch Heike Ebert angereist, der das Konzert auch ausnehmend gut gefiel. Und wie sie mir verriet, war das ihr schönstes Geschenk, denn sie hatte an diesem Tag auch Geburtstag.
Beinahe hätte es keine Zugabe gegeben. Denn Jasmin Tabatabai und ihre Band hatten sich versehentlich in ihrer Garderobe ein- und aus dem Zelt ausgesperrt. Aber die aufmerksame und gute Seele Kristjan Schmidt reagierte sofort und „befreite“ die Künstler.
17. Mai
Seichte Windelschau
Eine überdimensionale Leinwand, davor ein Schauspieler ohne besondere Ausstrahlung. Eine lapidare Geschichte über das Kinderkriegen und Kinderhaben. Und letztlich ein schwacher Text mit ebensolchen Pointen.
Nein, das was Felix Theissen mit dem Ein-Personen-Stück “Hi Dad!” bot, war keine gute Zeltkost, eher schwaches Boulevardtheater, und das auch noch schlecht gespielt. Unzählig die Versprecher, unsicher die Darbietung und auch das Publikum reagierte einigermaßen verhalten. Sicher wird das Stück auch seine Anhänger finden, aber im Spiegelzelt ist man halt wesentlich Besseres gewohnt. Und da gilt als Vergleich nicht der geniale Malmsheimer vom Vortag.
Ohrenscheinlichste Fehlleistung war allerdings die Arbeit mit dem Sequenzer: Theissen singt eine Melodie, gibt sie gespeichert wieder und setzt eine weitere drauf. Das erfordert musikalische Präzision, sonst ist das Ergebnis schwer zu ertragen. Diese Prozedur gab es im Laufe des Abends drei mal, dazu kam eine Tonpanne, welche nicht vom Hauspersonal geschuldet war. Insgesamt war also dieser Vatertagsausklang eher Ärgernis als Entspannung und nicht komisch. Das Stück beginnt und endet als dramaturgische Klammer in einem Flugzeug, welches schon mal auf die Grundrichtung des Abends einstimmt: Kinder bedeuten Stress und sind trotzdem liebenswert, der Vater leidet ebenso wie die Mutter, nur eben anders und die Schwangerschaft ist eine Neuroseninsel. Das wusste man schon, und wer hier originelle Lesarten erwartete, sah sich enttäuscht. Deswegen gab’s am Schluss auch nur höflichen Applaus, trotz überbordender Publikumsschmeichelei von der Bühne. Und ich fühlte mich erlöst, als Theissen endlich wieder im fingierten Bühnenflugzeug saß…
16. Mai 2012
Wortgewaltiges Schlitzohr
Würde man Jochen Malmsheimers Kunst mit einem herkömmlichen Handwerk vergleichen, wäre er wohl der Schmied, der geschickt mit einem riesigen Hammer umgeht. Denn der Bochumer kommt derartig wortgewaltig daher, dass man sich seinem Sog kaum entziehen kann. Das Zelt war prall gefüllt, um dem neuen Programm “Wenn Worte reden könnten oder: 14 Tage im Leben einer Stunde” zu huldigen. Mittlerweile, so konstatierte Intendant Martin Kranz, sei es bei Malmsheimer zu einem stetigen Besucheranstieg gekommen, was zusätzlich für seine Qualitäten spricht.
Der Redefluss des Mimen ist, abgesehen von einer regen Dynamik, gespickt mit intelligenten und umwerfend humorvollen Aphorismen. “Die Amerikaner kennen kein Pardon weil sie nicht Französisch können”, wäre da so ein Beispiel. Malmsheimer geißelt Sprachidiotie, porträtiert nordrhein-westfälisches Omas (mit drei “m”), verzweifelt in der Vorweihnachtszeit am Bau eines Holzbahnhofs und sinniert über die Klebekraft von Prilblumen. Sein Wortwitz ist gepaart mit genauer Beobachtung. Dabei entgeht er geschickt den Stereotypen. Oftmals schwingt er auch den groben Keil, aber er sucht keine billigen Opfer. Er ist deshalb auch Einer der Wenigen, die sich im Publikum keine Opfer suchen. Es sei denn, man hätte nach seiner ausdrücklichen Vorwarnung (welche schon ein Kabinettstück an sich ist), vergessen sein Mobiltelefon auszuschalten. Irgendwann schwelgt Malmsheimer dann auch in Jugenderinnerungen. Man erfährt, was es mit dem Salat “Walter” und dem Lambrusco-ähnlichen Rotwein auf sich hatte, und in welcher Reihenfolge man Beides zu sich nehmen sollte. Das alles erzählt er so spritzig, schnell und humorvoll, dass das Publikum vor Lachen schon fast das Zwerchfell wehtut. Er jongliert genial mit Tempo, Stimmmelodie und Betonung, und trifft zudem mit seinen Pointen punktgenau. Malmsheimer ist ein Alleinstellungsmerkmal auf deutschen Bühnen, und diesem Platz wird man ihm auch nicht so schnell streitig machen. Abschließend gibt es eine geniale Spielszene zwischen Wörtern und Buchstaben in einer Kneipe. Das ist schon große Literatur, welche an Kästner oder Ringelnatz erinnert. Mit einer “Lanze gegen den Sport” gibt es dann noch eine hinreißende Zugabe. Das Publikum tobt euphorisch, als sich der Künstler verneigt, und es ist wohl vorauszusagen, dass Malmsheimer auch in den nächsten Jahren ein gern gesehener Spiegelzelt-Gast bleiben wird.
FAZIT
Sprachgewalt mit listigem Florett
SPRUCH DES TAGES
„Ich wäre so gern dabei wenn jemand Sinn macht.“ Jochen Malmsheimer
11. Mai 2012
Meeresprinzessin
Lampions und Lichtergirlanden schmücken die Spiegelzeltbühne, als Anna Depenbusch wieder ihre Erfolgslieder singt. Die zierliche Hamburgerin bedankt sich wieder artig bei ihrer Mentorin Ina Müller, die in ihrer Sendung zuerst mit Begeisterung ihre traurige Hymne „Kommando Untergang“ vorstellte. Und die Depenbusch wünscht sich wieder den Matrosen mit dem Kartentrick, und es findet sich auch diesmal kein Mann, der ihr diesen Wunsch erfüllt. Und um das „Wieder“ nicht allzu sehr zu strapazieren: das ist es, was mich an ihrem Weimarauftritt stört. Anna Depenbusch hat genau dieses Konzert vor einem Jahr in der Kulturarena Jena gegeben. Aber eigentlich erwartet man von einer Künstlerin ihres Ranges schon etwas Veränderung, das macht ja die Sonderheit und Intimität solcher Auftritte aus. Sicher, alles ist gut kalkuliert, und die vierköpfige Band, welche sie mittlerweile wieder umgibt, spielt versiert die mitreißenden Arrangements. Das Publikum geht begeistert bei den emotionalen Talfahrten und Höhenflügen mit, und schätzt zudem die unaufdringliche Authentizität der Künstlerin. Drei Zugaben beenden den Spiegelzeltabend bei rauschendem Regen und ebensolchem Applaus. Und da nach Depenbuschs Bekunden die Künstler nur mit dem Schiff anreisen, wird dadurch wohl genügend Wasser unter dem Kiel gewesen sein.
FAZIT
Perfektes Konzert mit allzu vielen Wiedererkennungswerten.
SPRUCH DES TAGES
„Schickt eure Kinder doch nach Island, damit sie sich selber finden.“ Anna Depenbusch
10. Mai 2012
Polarisationsstern
Sven Ratzke provoziert. Er tut das mit künstlerisch hochwertigen Mitteln und verspricht dabei, melancholisch oder frivol zu sein. Aber Ratzke löst Beides nicht ein, er ist ordinär. Das mag Manchem gefallen, aber es ist grenzwertig, was der Sänger und Geschichtenerzähler da auf der Bühne treibt. Exhibitionistisch stellt er seinen Körper und seine Befindlichkeiten zur Schau, und schont sein Publikum nicht mit Unterstellungen und Anzüglichkeiten.
Ratzke ist also ein echter Bürgerschreck, aber er versteht sein Handwerk perfekt. Lange, perfekt gebaute Geschichten über Selbstliebe, rote Pillen und ihre Folgen, Würmer und die Menschheitsentstehung bis hin zu einer Spontanhuldigung eines Bademantels aus dem benachbarten Dorinth-Hotel amüsieren das Publikum prächtig. Ratzke kriegt sie alle, mal als Womanizer, mal als schwule Diva, und er singt wie ein Gott. Ob er Brecht interpretiert oder Tom Jones „Sex bomb“ schmettert, Falco seine Referenz mit „Jeannie“ erweist oder mit Gloria Gaynors „I will survive“ Mut spendet: all das ist sehr gelungen und intensiv. Und es gibt zur Zugabe einen magischen Moment: Ratzke huldigt Hildegard Knef mit „Ich bin zu müde, um schlafen zu gehen.“ Eine bessere Version dieses Schlagers habe ich bislang noch nicht gehört, und das Zeltpublikum tobt entsprechend vor Begeisterung.
Das ganze Programm wäre allerdings nur die Hälfte wert, gäbe es da nicht den fantastischen Pianisten Charlie Zastrau. Dieser Virtuose versteht es, mit ausgeklügelten Harmonien und rhythmisch treibendem Spiel, jedem der Songs neues Leben einzuhauchen. Auch in den erzählerischen Überleitungen schweigt das Klavier nicht, und man könnte Zastraus Spiel noch stundenlang zuhören. Eine echte Entdeckung am Begleiterhimmel, die durchaus solistische Weihen verdiente. Insgesamt ein intensiver Abend mit zwei Vollblutkünstlern.
FAZIT
Reise in die dunkleren Bereiche der Seele mit zwei kongenialen Künstlern.
SPRUCH DES TAGES
„Weimar ist besser als Sex!“ Sven Ratzke
SPLITTER
Leider ist es nun traurige Gewissheit: die Pausenglocke des technischen Leiters im Spiegelzelt, Kristjan Schmidt, ist gestohlen worden. So erklingt jetzt ein Pausengong, und eine neue Glocke ist schon bestellt. Aber der Glockendiebstahl hat leider Tradition – schon im vorigen Jahr kam das Pausenzeichen solcherart abhanden...
9. Mai
Andersdenker
Horst Evers denkt in Spiralen. Sehr zum Vergnügen des Publikums. Es geht mit Banalem los, etwa dem Reiturlaub in der Rhön oder einem Schwimmbadbesuch mit Jugendlichen. Doch schnell schleicht sich das Absurde ein, denn der Urlaub wird nur angetreten, weil er Pferde nicht mag, und deshalb nichts tun muss. Auch das Schwimmbad wird zum Katastrophenort. Schon bei der Hinfahrt gibt es mannigfache Probleme mit seinen Schützlingen, die sich nach und nach verstärken. Das Ganze ist unschlagbar lustig und präzise beobachtet. Für Zeltstammgäste war der Niedersachse keine Neuentdeckung, schon im vorigen Jahr hatte er mit seinem „Gefühltem Wissen“ gepunktet. Evers ist eine Loserfigur, der die Welt widerfährt und das Leben ein ständiger Kampf ist. Er ist kein Kabarettist, sondern blödelt literarisch auf hohem Niveau. Das brachte ihm auch schon den deutschen Kleinkunstpreis ein. Über zweieinhalb Stunden gelang es ihm mit seinem aktuellen Programm „Großer Bahnhof“, das Spiegelzeltpublikum zu fesseln und gab auch bereitwillig zwei Zugaben. Und es ist zu erwarten, dass eine weitere Einladung für ihn im nächsten Jahr folgt.
FAZIT
Zwerchfellerschütternder Abend mit literarischem Humor auf hohem Niveau.
SPRUCH DES TAGES
„Die Rhön als Landschaft lässt Einen ja in Ruhe.“ Horst Evers
6. Mai 2012
Stimmenfang
Sechs kubanische Vokalisten sorgten am Sonntagabend für ein akustisches Feuerwerk. „Vocalsampling“ sind auf dieser Bühne keine Unbekannten, da sie schon im vorigen Jahr mit perkussiver Verstärkung begeisterten. Diesmal gab es ein breites stilistisches Angebot. Bob Dylans „Blowin in the wind“ wurde ebenso effektvoll gecovert wie Stings „Every breath you take“. Das Ganze geschah mit solcher Lockerheit und musikalischer Präzision, dass das Zeltpublikum schon von den ersten Takten an mitgerissen wurde. Bei dem Latino-Standard „Calente“ wandelte sich das Zeltrund in einen großen Chor samt begeistert ausgeführter Tanzeinlagen. Aber es gab auch stillere Töne, so das eindringliche südafrikanische Lied „Tumanina“. Nach zweieinhalb Stunden waren noch zwei Zugaben fällig, bevor die rund fünfhundert Besucher beseelt in die Frühlingsnacht entschwanden.
FAZIT
Lateinamerikanisches Sangesfeuerwerk in höchster Perfektion
SPRUCH DES ABENDS
„You are all members of the band!“ Vocalsampling
5. Mai 2012
Perfekte Imitation
Die Geschwister Pfister hatten sich für ihr diesjähriges Zeltprogramm zwei Titanen der deutschen Fernsehunterhaltung vorgenommen: Peter Alexander und Mireille Mathieu. Die Schlagersänger prägten ja damals mit ihren Hits eine ganze Generation. Erinnert sei hier beispielsweise an den „Badewannentango“ oder „Akropolis adieu“. Mit viel Lust am Spiel und ebensoviel Achtung vor den Vorbildern brachten die Pfisters mit sanftem Humor viele der Gassenhauer zu Gehör und begeisterten damit das Publikum. Alles wirkte sehr stilecht: der Bühnenaufbau, die Kostüme und vor allem die Kommentare und Bewegungen, die bis ins kleinste Detail genau kopiert wurden. Leider erschöpfte sich bei dieser Präzision auch bald die parodistische Wirkung, und so kamen eher die Wiederholungslacher zum Zuge. Trotzdem nötigt die Perfektion Bewunderung ab, denn hier wurde nicht auf die vordergründigen Gags gebaut. Im Laufe des Abends wurden dann auch noch Roy Black, Heintje und Anneliese Rothenberger, sehr zum Vergnügen des Publikums, kopiert. Begleitet wurde das Duo von dem versierten Jo-Roloff-Trio, welches mit seinem stilechtem Spiel eine Klasse für sich war. Selbstverständlich gab es dann mit der „Lorelei“ und der „Akropolis“ noch zwei begeistert erklatschte Zugaben. Insgesamt ein beeindruckender Retro-Abend, der Schlagererinnerungen weckte.
FAZIT
Legendäre Fernsehkost, geschickt aufgewärmt
SPRUCH DES ABENDS
„Hätte es in der Aufbauzeit Regen gegeben, wäre das Zelt noch regensicherer gewesen.“ Martin Kranz, Intendant des Spiegelzelts
SPLITTER
Als gastronomische Spezialität servierte das Team gesunden Wildkräutersalat. Das war auch angebracht, denn hätten sie sich nach den Schwärmereien von Ursli Pfister alias Peter Alexander gerichtet, hätten viele österreichische Mehlspeisen dem Publikum schwerer im Magen gelegen...
4. Mai 2012
Laue Stimmkost
Hamburg kann kaum Berge vorzeigen. Das A-cappella-Quartett „LaLeLu“ stammt aus der Hansestadt und will nach eigenem Bekunden mit seinem aktuellen Programm die Höhen der großen Kunst für sehr viel Geld erklimmen. Das gelingt den Sängern allerdings nicht. Denn der Spiegelzeltabend bot vor ausverkauftem Rund eher ein gefälliges Blödelprogramm. Stimmlich perfekt, allerdings musikalisch einseitig, spulten sie routiniert ihren Repertoiremix aus Pop und Klassik ab. Dabei gelangen einige schöne Bravourstücke, wie die Telemann-Kontaktanzeige und die gesungenen Witze der Mönche. Auch moderne Kinderlieder bekamen ihr Fett weg. Dass die Vokalisten um den Frontmann und künstlerischen Kopf Sören Sieg eigentlich nur Pfannkuchen wollten, entwickelte sich zum Running Gag. Das Publikum ließ sich von dem Blödelvirus schnell anstecken, und so war es folgerichtig, dass die Sänger erst nach langer und origineller Zugabe die Bühne verlassen wurden. Insgesamt also ein lustiger Sangesabend mit einigen Höhepunkten, mehr aber auch nicht. Da ist man eben von den Genre-Marktführern „Maybebop“ viel Besseres gewohnt.
SPRUCH DES ABENDS
„Frauen fliegen auf kleine Männer. Das sieht man an Helmut Lotti, Daniel Küblböck und mir“. Sören Sieg von „LaLeLu“
FAZIT
„LaLeLu“ eher so lala.
SPLITTER
Torsten Montag und seine gastronomische Crew hatten an dem Abend jede Menge zu tun. Die Schweinsmedaillons mit Kohlrabi-Kartoffel-Püree gingen im Nu weg, sodass schon vor der Pause das gesamte Essensangebot verkauft war.
Martin Kranz ließ es sich trotz Wahlkampfstress nicht nehmen, zumindest den ersten Konzertteil zu verfolgen. Das Zelt bleibt eben sein großes Kind, da muss die Stadtpolitik halt mal warten. Und das ist gut so, würde dazu ein Berliner OB sicherlich sagen.
Abenteuerliche Fahrten verspricht das Bionade-Mobil aus Montags Fuhrpark. Der Plaste-Kastenwagen ist ein klassischer Zweitakter, und brummt dementsprechend durch Weimars Straßen. Ein Schelm, wer da an Panzergeräusche denkt...
3. Mai 2012
Eröffnungsfeuerwerk
Der gute Spiegelzeltcocktail gönnt sich jährlich eine Prise Klezmer. Die lockt die Besucher zuverlässig an, und bringt das Zelt zum Schwingen. Diesmal eröffnete die „Amsterdam Klezmer Band“ das Angebot. Das Septett bietet, frei von genretypischer Schwermut einen furiosen Mix aus Polka, Musette und Balkanklängen. Bläserdominiert und immer swingend wechselt das Septett zwischen furiosem Solo und perfektem Ensembleklang. Sie singen über Amsterdamer Straßenleben, kulinarische Genüsse, vergangene Lieben und Raumfahrerin Valentina Tereschkowa, und das Ganze kommt mit soviel Spaß und Coolness rüber, dass der Funke problemlos überspringt und das Publikum zu Standing Ovations animiert. So war es auch zu erwarten, dass das Ensemble sich erst nach drei Zugaben verabschieden konnte.
Ansonsten erinnerte die neunte Auflage der Spiegelzeltsaison bei der Eröffnung an ein herzliches Familientreffen. Martin Kranz lobte sein Team, welches ihm seit Beginn die Treue hält. Ein weiterer Beweis für gelungenes Konzept und überzeugende Leitungstätigkeit. Der Frontmann der Köstritzer Brauerei äußerte sich auch hochzufrieden über die fruchtbringende Zusammenarbeit. ZGT-Chef Klaus Schrotthofer lästerte gekonnt Nike Wagner nach und freute sich sichtlich auf mehrere Zeltabende. Auch Premium-Caterer Torsten Montag gab mit altdeutschen Pfefferklopsen einen verführerischen kulinarischen Einstand. Insgesamt also ein gelungener Abend, der Lust auf die Nachfolgenden machte.
Am 11. 11.2011 gab es die Pressekonferenz für die Saison 2012. Der Vorverkauf ist gestartet, hier meine Empfehlungen:
Stimmenfang
Um es vorwegzunehmen: mit dem Spiegelzeltprogramm 2012 ist dem Team um Martin Kranz wieder ein feines Auswahlhändchen zu bescheinigen. Zwischen Musik, Kabarett, und Theater pendelnd ergibt sich eine ausgewogene Mischung von Stars, Neuentdeckungen und guten alten Bekannten. Schwerpunkt zwischen 3. Mai bis 17. Juni 2012 ist mit fünf Konzerten die A-cappella-Szene. Mit „LaLeLu“, „Vocal Sampling“, „Basta“, den letzten Publikumspreis- Gewinnern „Maybebop“ und dem Abschiedskonzert von „Ganz schön feist“ bietet das Festival einen repräsentative Bandbreite zwischen kabarettistischem Gesang und jazziger Virtuosität.
Die Eröffnung bestreitet diesmal die „Amsterdam Klezmer Band“, welche ihr Konzept furios zwischen Balkanklängen a la Goran Bregovich und europäischer Moderne ansiedelt.
Zu den Rennern dürften sicher die Dresdner Diva „Annamateur“, der Wortakrobat Jochen Malmsheimer, das spitzzüngige Duo „Malediva“ und der Soulsänger Stefan Gwildis zählen, die in diesem Sommer zu den gefeierten Zeltfavoriten gehörten. Die Chanson-Neuentdeckung Anna Depenbusch wird hier ihren Weimarer Einstand geben, während Lisa Bassenge in gleichem Genre schon zu den „Mehrfachtätern“ gehört.
Mit Gerd Dudenhöfer, Willy Astor, Hagen Rether und Horst Evers trifft man gewichtige Stars der deutschen Kabarett-Szene. Und es gibt die Neuentdeckungen, die in der Welt der Kleinkunst längst keine Unbekannten mehr sind: das schwedisch-südafrikanische Duo „Fjarill“ mit betörendem Gesang, den politisch-scharfzüngigen Sebastian Krämer, den Schauspieler Burkhart Klaußner, vielen bekannt durch den Film „Das weiße Band“ mit einer vielfältigen Chanson-Reise und das „Glas Blas Sing Quartett“, deren Name auch Programm ist.
Für Fans übermütiger Blödelei wird sicherlich „Paul Morocco & Ole“ ein Schmeckerchen sein, besonders wenn man gerne Tischtennisbälle in der Mundhöhle hat. Mein persönlicher Favorit ist Lars Reichow mit seinem neuen Programm „Goldfinger“. Er war im letzten Spiegelzeltjahrgang die Überraschung: pianistisch und textlich brillant und dazu ein faszinierender Entertainer, der den Vergleich mit Platzhirschen wie Konstantin Wecker locker standhalten kann.
Insgesamt also wieder ein attraktiver Jahrgang und ein Weimarer Festivalhöhepunkt, der zwar nicht vordergründig auf Kommerz schielt, aber sicher wieder mit hoher Besucherauslastung rechnen kann.
Die Tipps der Spiegelzelt-Kritikers:
Freitag, 11. Mai Anna Depenbusch
Mittwoch, 16. Mai Jochen Malmsheimer
Freitag, 18. Mai Fjarill
Mittwoch 23. Mai Annamateur
Donnerstag, 24. Mai Lars Reichow
Samstag/Sonntag, 26./27. Mai Malediva
Sonntag, 10. Juni Ganz schön feist
Montag, 11. Juni Hagen Rether
Mittwoch/Donnerstag, 13./14. Juni Stefan Gwildis
Sonntag, 17. Juni Maybebop
Splitter
Das Catering liegt wieder in den Händen von Torsten Montag. Böse Zungen behaupten ja, dass manche nur wegen des Essens ins Spiegelzelt kommen. Jedenfalls wird es diesmal eine stärkere Ausrichtung zur bodenständigen „Hausmannskost“ geben. Wer Montag kennt, weiß aber, dass auch die asiatische Linie wieder eine Rolle spielen wird.
Kristjan Schmitt wird wieder die gute technische Seele des Spiegelzelts sein. Und diesmal hat er eine Sorge weniger: die Einlassglocke, welche in diesem Jahr temporär abwesend war, ist diesmal an sicherem Platz deponiert.
Dafür fehlt aber das „Krrrtikrrrtsch-Schild“, was wohl übereifrige Fans oder übelmeinende Besucher einfach mitgehen ließen. Der Ersatz wird dann sicher funkelektronisch gesichert oder brachial festgeschraubt, damit ich auch sicher meinen Zeltplatz finde...