Spiegelzeltblog 2013

11. Mai 2013

DER POP-SCHMETTERLING

Eine weitere Facette der Genrevielfalt des Spiegelzelts wurde mit der Einladung von Mina Tindle aufgezeigt. Die junge Pariserin spielt das erste Mal in Thüringen, und es war für Intendant Martin Kranz durchaus ein veranstalterisches Risiko, sie im Programm zu platzieren. Letztendlich hat es sich aber gelohnt, denn das Zelt war gut gefüllt, das Publikum begeistert und das Ambiente stimmig.

Mina Tindle beginnt solistisch, sampelt ihren Gesang bis zu Vierstimmigkeit und erinnert dabei ein wenig an den genialen Jarle Bernhoft. Federleicht agiert sie mit ihrer Stimme, doch schon eingangs merkt man die Präzision, mit der ihre Kompositionen arrangiert sind. Mit Olivier Marguerit und Guillaume Villadier stehen ihr zwei weitere Multi-Instrumentalisten zur Seite und während des Konzerts werden alle Drei abwechselnd die Gitarren, Keyboards, Drummaschinen und Schlagzeuge bedienen.

Mina Tindle ist in den Spielarten des modernen Pop breit aufgestellt. Ohne  Ohrwürmer, mit eher artifiziellen Momentaufnahmen, aber immer abwechslungsreich, besingt sie schlechte Väter, Schwestern, den guten Morgen, Echos und zu laute Frauen. Glockenartige Synthesizer-Kontrapunkte, hammondartige Flächen und unverschnörkelte Rhythmen machen den Mix aus. Nicht, dass man so etwas nicht schon gehört hätte, beispielsweise bei Rumer, Adele oder Depeche mode, aber Tindle hat ihren eigenen Charme, und ab dem vierten Song klatscht das Publikum die perkussiven Vorgaben schon begeistert mit.

Der Musik fehlt vielleicht die Inszenierung. Mina Tindle ist durchaus anmutig und präsentiert sich samt ihren Musikern mit jugendlichem Charme. Doch gleichzeitig ist sie sehr stark in den musikalischen Abläufen verhaftet, so dass ihr Auftritt eher an eine öffentliche Studioproduktion erinnert. Einzige optische Raffinesse sind die drei beleuchteten Stoffsäulen auf der Bühne, wiederum eine Idee des Zeltlichtmeisters Jens Voigtländer.

Mich hat Mina Tindle, die mit Bands wie „The Limes“ und „Toy Fight“ schon einige Bekanntheit erlangte, auch an Kate Bush erinnert. Zwar ist ihre Stimme nicht so unverwechselbar markant, aber ihre Songs mit den flockigen Rhythmusstrukturen und den oft eingesetzten mehrstimmigen Samples sind nicht vordergründig eingängig, sondern genau durchkalkuliert. Trotzdem kommt das Konzert, welches sich vorrangig aus Kompositionen der aktuellen CD „Taranta“ bedient, wie ein Schwarm Schmetterlinge daher. Völlig unprätentiös liefert das Trio einen Reigen zwischen Rock, Pop, Country, Folk und Fado ab. Diese Grenzenlosigkeit, auch in den verschiedenen Sprachen der Songs (englisch, französisch, spanisch und portugiesisch) ist beeindruckend, und zieht das Publikum schnell in den Bann, obwohl ein Teil der Zeltgäste sicherlich solche Musik noch nie gehört hat. Obwohl vorher am Eingang vor hohen Dezibelzahlen gewarnt wurde, war der Sound nie aufdringlich und die Lautstärken bequem verkraftbar. Nach achtzig Minuten gab Mina Tindle mit einem portugiesischen Folk-Cover zu einem Text von Fernando Pessoa (der Philosoph, dem in Merciers Bestseller „Nachtzug nach Lissabon“ ein literarisches Denkmal gesetzt wurde) ihre dritte Zugabe. Und die Reaktion der Zuhörer bewies erneut, dass Martin Kranz mit seinem Gespür für Ungewöhnliches wieder richtig lag.

FAZIT

Anmutig präsentiertes, federleichtes und musikalisch durchdachtes Konzert.

SPLITTER

Mit „Taranta“ lieferte Mina Tindle den bisher kürzesten Spiegelzeltauftritt ab. Doch das bedeutet für die Techniker noch lange nicht, dass sie früher Feierabend haben. Denn der Abbau der Bühne kostet gehörige Zeit.  Oftmals nach einem Feierabend-Drink verlässt die Crew erst in den frühen Morgenstunden das Zelt. Und dann hören die Nachtarbeiter das Nachtigall-Männchen singen. Unentwegt trällert es in den Park bis es eine Partnerin gefunden hat. Dann, sagen die Ornithologen-Experten, wird es verstummen. Ein berühmter Zeltgast spekulierte, dass diese prognostizierte Lautlosigkeit darin begründet ist, weil das Männchen vollauf mit Nestbau, Versicherungen und Nahrungsbeschaffung beschäftigt sei. Vergleiche zum menschlichen Dasein waren bei dieser schmunzelnden Expertise durchaus gewollt...

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