Spiegelzeltblog 2013

21. Mai 2013


ZWEIERGESTIRN


Der Kabaretthimmel ist um einen Doppelstern reicher. Sicher sind Uwe Steimle und Alfons schon solistisch eine Klasse für sich, aber was das Spiegelzelt am Pfingstmontag im Zusammenklang erlebte, war eine Sternstunde der besonderen Art. Denn die Erzkomödianten verstanden es meisterhaft, dem Anderen nicht die Show zu stehlen, sondern sich im Dialog zu bereichern.

Schon die Vorstellung der Beiden gerät zum Kabinettstückchen. Während Steimle seine Verdienste als Essensgeldkassierer („wie die Merkel“) und seine Ehrungen aufzählt, konterkariert Alfons, dass er bis jetzt weder Ehrungen erhalten hat, noch Essensgeld kennt. Steimle tröstet ihn mit dem Billy-Wilder-Klassiker: „Mit Preisen ist es wie mit Hämorrhoiden – irgendwann kriegt jedes Arschloch so was“.

Nicht immer geht es so derb zu, meistens führen beide die feine Klinge, um ihre Sicht auf die Welt zu verkünden. Steimle vermittelt Alfons ostdeutsches Wissen, denn er ist ja „einer von uns“ weil er im Pariser Osten aufgewachsen ist. Obwohl man ja das Wort „ostdeutsch“ nicht mehr verwenden sollte, weil man ja laut Steimle nicht weiß, ob das ein Standortvorteil oder üble Nachrede ist. Und so lernt Alfons, das es im wiedervereinigten Deutschland einen Streusalzbeauftragten gibt, dass der Sachse fichelant ist, Hedgefonds, Kondome, Teebeutel und Mehrwertsteuer erfunden hat, und dass Bildungspakete bei CDU-Parteitagen zwar aufgeschnürt werden sollen, Finnland bei Schulessen und Kindergartenplätzen einigen Westpolitikern aber näher liegt als die nahe DDR-Tradition.

Alfons weiß natürlich ebenso zu erzählen. Einen Druckfehler in der „Le Monde“ beantwortet er mit einem Bonmot: „Gutenberg hat den Druck erfunden, Guttenberg das Kopieren“. Er findet es komisch, dass es in Deutschland vor den Kaufhallen Frauenparkplätze gibt, „denn in Frankreich dürfen wir die Frauen mit rein nehmen“. Er beschreibt den politischen Fortschritt in Frankreich am Beispiel der Präsidenteneskorte, die nun bei roten Ampeln halten soll, und hinterfragt den Sinn von Raucherquadraten auf Bahnsteigen.

Dieser sächsisch-französische Schlagabtausch ist ebenso witzig wie unterhaltsam. Doch die hohe Pointendichte enthält trotz aller Leichtigkeit auch viel politische Satire. Wenn Steimle von seinem Erlebnis mit Guido Knopp erzählt, der den D-Day und nicht Stalingrad als Wende im Zweiten Weltkrieg definiert, dann ist das brisant und entlarvt die aktuelle Medienmaschinerie. Auch seine Frage, wer Ratingagenturen bewertet („das wäre so, als ob man Gott fragt, woran er glaubt“) und wie es wirklich um die globalen Ressourcen steht, enthält viel Nachdenkenswertes und politischen Zündstoff.

Aufgelockert wird das Duo-Programm von Einspielern mit Alfons „Puschelmikrofon“. Seine Umfragen haben ja schon ein eigenes Fernsehformat, und legen viel von deutschen Befindlichkeiten und Denkweisen offen. Natürlich gibt es auch schlagfertige Antworten, doch hinter dem Amüsement lauert auch hier die tiefere Wahrheit.

Deswegen ergänzen sich die Beiden auch so gut, weil ihre Betrachtungsweise zwar unterschiedlich, aber ähnlich engagiert ist. Das Publikum ist natürlich vor allem begeistert, wenn Steimle die DDR-Seele streichelt. Ihm ist jede Ostalgie fremd, aber er fordert selbstbewusst einen ehrlicheren Umgang mit unserer Vergangenheit. Und er findet in der Görlitzer „Jesusbäckerei“ und beim Shampoo-Kauf die Auswüchse der neuen Konsum-Mentalität, und weiß das zwerchfellstrapazierend zu erzählen. Das Publikum lernt, dass Pulmotin aus Bernburg immer noch erhältlich ist, es dafür in Frankreich keine Koalitionen gibt. Und dass Thüringen nicht die Hauptstadt von Sachsen ist. Auch Weimar wird besonders bedacht, denn wie haben wir früher gesungen? „Weimar jung sind, ist die Welt so schön“. Ein toller Abend, der noch einmal am 13. und 14. Juni im Spiegelzelt wiederholt wird. Diesmal zwei Zugaben, einmal Alfons Gang über die Nürnberger Erfindermesse, und Steimles „Honeckerrede“, die er ja eigentlich nie mehr halten wollte.

Bleibt die Frage, ob die Beiden das Spiegelzelt auch in den nächsten Jahren wieder beehren sollten. Um Steimles „Schnappatmung“ zu aktivieren, antworten wir mit dem deutschen Neusprech: „Aber gerne, doch!“


FAZIT

Eine Sternenzeltstunde.


SPRUCH DES TAGES

„Was ist denn das für eine Anfangszeit hier? Halb neun haben wir im Sozialismus schon im Bett gelegen!“

Uwe Steimle


SPLITTER

Als Alfons von der Kriminalitätsrate in Marseille erzählt, und die Einwohner dieser Stadt, um sich zu erholen, nach Afghanistan fahren würden, regt sich leiser Protest am Nebentisch. Denn die Kommunikationschefin der Köstritzer Schwarzbierbrauerei, Katja Walther, war gerade braungebrannt aus Marseille wiedergekommen, und hatte die Stadt von ihrer schönsten Seite erlebt. Da es in Alfons Geschichte auch um hohe Geldbeträge ging, welche die französischen Elite-Polizisten einbehalten, und in der Zwischendecke ihres Reviers versteckt hatten, konnte mir Katja Walther glaubhaft versichern, dass sie von diesem Geld leider nichts bekommen hatte. Nicht, dass die Zwischendecken der Schwarzbierbrauerei jetzt in Gefahr sind, oder?


Intendant Martin Kranz lässt sich jeden Abend von Torsten Montags Küche verwöhnen. Sein Favorit ist das Kalbsschnitzel, und damit liegt er im Publikumstrend. Denn dieses Mahl ist das momentan meistbestellte Essen, danach folgt die „Italienreise“ und auf dem dritten Platz landet die „Köstritzer Schwarzbierbratwurst mit Schokoladensauerkraut und Heichelheimer Kartoffelpuffern“. Letzteres kann ich nach eigener Kostprobe auch wärmstens empfehlen, obwohl ich sonst nicht so der Sauerkrautfan bin. Viel Lob erfährt Torsten Montag auch von den Künstlern. Stefan Gwildis und sein Pianist Tobias Neumann priesen das Catering als „Best Tourschnitten forever“. Na wenn das schon die Hamburger sagen...

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