Spiegelzeltblog 2013

10. Juni 2013


DIE FAMILIÄRE

 

Als Kind glaubte sie fliegen zu können. Man kann sie sich gut vorstellen als brave Tochter mit viel Fantasie und rebellischem Potential. So erscheint sie auch auf der Bühne: unspektakulär, mit einer akustischen Gitarre und „ordentlicher“ Frisur, Jeans, Bluse und Halstuch. Die bayerische Tiefstprovinz in Überacker bei Fürstenfeldbruck ist ihr Herkunftsort, und aus dieser Erfahrung speist sie ihr Programm.

Martina Schwarzmann ist die zweite Neuentdeckung der diesjährigen Spiegelzeltsaison. Ihr erster Auftritt in ostdeutschen Gefilden wird zum vollen Erfolg, das Zeltpublikum ist begeistert, und das aus gutem Grund.

Martina Schwarzmann plaudert von Erlebnissen in einer Düsseldorfer Bahnhofskneipe, ihrer Oma, dem „Nackenschiss“ im Kindersitz oder den Parallelen von Massentourismus und Ameisenhaufen. Stark dialektgefärbt trägt sie ihre Beobachtungen vor, und begleitet ihre selbstgeschriebenen Lieder auf der Gitarre. Das Ganze hätte fast etwas Gemütliches, wenn es nicht so subtil bösartig, hintergründig und verschmitzt wäre. Denn die brave Tochter macht sich Gedanken über ihre Welt, und bekämpft Spießigkeit, Dummheit und falsche Heimeligkeit an ihren Ursprüngen. Es ist nicht die weite Welt samt Globalisierung, welche Martina Schwarzmann umtreibt. Es ist ihr kleiner Kosmos zwischen Mainau, Kinderwagen, Einkaufsstätten und Garten, der für sie zur großen Welt wird. Dabei spiegelt sie ohne Engstirnigkeit so viel Allgemeingültiges, dass das Publikum sie sofort gedanklich adoptiert und ihre Nöte versteht oder teilt. Ob es sich um das abendliche Fernsehverhalten, die Entdeckung von Körperfunktionen, lärmende Laubbläser oder den Nutzen von Augenbrauen handelt: Schwarzmann überzeugt mit unkonventionellem Blick und ist dabei saukomisch. Dabei ist sie die legitime Erbin eines ganz Großen der Zunft: Karl Valentin. Genauso assoziativ, anarchisch und intelligent spiegelt sie sich und ihre Erfahrungswelt und lässt den langen Abend damit so kurzweilig erscheinen, dass einige Besucher zum Programmende fast ungläubig auf die Uhr schauen.

Martina Schwarzmann nimmt Rücksicht auf ihr Publikum. Wenn der Dialekt zu unverständlich wird, dann liefert sie die hochdeutsche Übersetzung gleich mit. Sie ist dabei immer bescheiden aber durchsetzungsfähig, und diese Authentizität spürt man jederzeit. Sie hat das „Zu-nett-Syndrom“, aber in Gedanken kann sie dann richtig fies werden. Sie wehrt sich gegen labernde Verkäuferinnen, beschallt Maulwürfe mit Hansi Hinterseers Weihnachtsliedern, hängt Bananen in den Kirschbaum und annonciert geschickt Kleinanzeigen um die Oma zu beschäftigen, weist Freizeit-Rennradfahrer gedanklich ins Krankenhaus ein und träumt von den Auswirkungen ihrer Kastanienpflanzmaschine  auf dem Golfplatz. Sie schildert ihre Kindheitserlebnisse mit überharten Zucchinis („Kürbisschnitzen ist was für Sissys“), ist in der Pubertät „Greislig, aber voller Hoffnung“ und hat viel Spaß mit toten Hennen. Sie hasst die Modesprache, welche aus Ja und Nein das dämliche „absolut“ oder „nicht wirklich“ machen, zweifelt die Wirksamkeit von bunten Haarsträhnen an, und ist froh, das Vogelgezwitscher nicht zu verstehen. Conferenzen, Gedichte und Lieder wechseln sich in lockerer Folge ab. Natürlich gibt es eine Zugabe mit Tipps zur kostenlosen Briefbeförderung  und einem Nachtlied in Liedermachertradition.

Viel schwarzer Humor, pointierte Beobachtungen und ein warmes Herz schwingen in allen Erzählungen Schwarzmanns mit, und das macht sie ebenso einzigartig wie originell. Im Ansatz agiert sie ähnlich wie Michael Krebs, der vor zwei Wochen im Spiegelzelt gastierte. Beide gehören zu der jungen Generation von Kabarettisten, die ihr Erleben eher unpolitisch spiegeln, aber durch ihre Unmittelbarkeit viel mehr in den Herzen und Köpfen des Publikums bewegen. Insofern kann man mit Martina Schwarzmann sowohl auf der Weimarer Zeltbühne als auch im gesamten deutschsprachigen Raum sicher rechnen.


FAZIT

Eine ganz Große ihres Fachs: authentisch, anarchisch witzig und in der Tradition Karl Valentins.


SPRUCH DES TAGES

„Ich hatte schon gedacht, ich hätte eine Ost-Allergie“.

Schwarzmann zu Absagen wegen Krankheit in Gera und Erfurt


SPLITTER

Acht Jahre arbeitete Martina Schwarzmann in ihrem gelernten Beruf als Köchin. Insofern kann Zeltwirt Torsten Montag ihr Lob der Köstritzer Schwarzbierwurst mit Schokoladensauerkraut, welches sie auf der Bühne verkündete, auch als fachliche Anerkennung verbuchen.


Fast jeden Abend begrüßt Martin Kranz die Besucher vor dem Programm und fragt unter Anderem nach dem Befinden. Dabei kann er schon Unterschiede zwischen Kabarett- und Musikpublikum festmachen. Erstere reagieren am Anfang verhaltener und abwartender...

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