Spiegelzeltblog 2013

27. Mai 2013


DER SOLIDARISIERER

 

Er ist der diesjährige Favorit des Spiegelzelt-Intendanten und das aus gutem Grund. Michael Krebs findet für sein Programm „Es gibt noch Restkarten“ einen erfrischend neuen Ansatz. Er erzählt seine Geschichte, wie er als kleiner Junge in Neu-Kupfer aufwächst, sich für Heavy Metal und Wacken begeistert und schließlich nach Hamburg zieht. Dieser autobiografische Blickwinkel, gepaart mit Schwaben-Dialekt und jugendlichem Charme nimmt das Publikum sofort gefangen. Er ist einer der Ihren und es ist eine Art Solidaritätsbekundung die Krebs damit erreicht. Seine Provinzbeobachtungen sind universell, wenn er anfangs beispielsweise die Unterschiede zwischen schwäbischer und Hamburger Gastfreundschaft erläutert. Schon diese Geschichten sind sehr witzig und leicht geplaudert, doch hinter dieser freundlichen Maskierung verbirgt sich böse, schwarzhumorige Kritik an Spießerwahn, Kleingeistigkeit und politischer Intoleranz. Wenn er sich zum ersten Mal an den Flügel setzt, und mit Reggeae-Rhythmus das „Intoleranz-Lied“ singt, dann wird er schon deutlicher. Die Liebenswürdigkeit ist dramaturgisches Prinzip, aber ehe das in Heimeligkeit umschlägt, kontert Krebs immer wieder mit Liedern, die an Kreisler oder „Schwarze Grütze“ erinnern: boshaft, musikalisch abwechslungsreich und unaufdringlich virtuos.

„Ich hatte keine Chance“ thematisiert den medialen Hype um fernsehdominante Supernannies und Einrichtungsberaterinnen; bei der „Apple-Freundin“ wird die übermäßige Abhängigkeit von Konsumvorgaben aufs Korn genommen und mit dem „Flüsterfuchs“ geißelt Krebs merkwürdige Methoden bei der Kindererziehung. Sein scheinbar provinzieller Blickwinkel wird durch humorvolle Trugschlüsse dominiert. Das Liebeslied für „Barrbara“ entpuppt sich als Zombie-Huldigung, und sein Hit von dem „Mädchen von der Jungen Union“ als parteiübergreifende Sexualitätsansage. Er hinterfragt den Beruf der „Brotberaterin“ und des „Genitallesers“ und spiegelt dabei kritisch marktwirtschaftlichen „Neusprech“ und Internetabzocke. Das Publikum amüsiert sich bei diesem Spiegelzelt-Einstand, wirkt begeistert und zunehmend lautstark bei den Animationen mit, und rastet vollends aus, als Krebs „wackenesk“ zur E-Gitarre greift und den „Schwermetaller“ gibt. Sein Plädoyer für die Musikrichtung „Trash Metal“ ist ambivalent, und wenn er Texte dieser Szene ins Deutsche übersetzt („Pleasure to kill“) wird es rebellisch, und da ist die Show auf ihrem Höhepunkt. Denn Krebs will das teuflische Erkennungs-Zeichen für die „Metallerfans“ nicht als „Flüsterfuchs“ missbraucht wissen, und dahinter steckt eine Botschaft, die auch von nicht „Wacken“-affinen Zuschauern verstanden wird. Bei der Zugabe zeigt der Künstler noch einmal seine pianistische, genreübergreifende Vielseitigkeit mit Variationen des Clayderman-Hits „Ballade pour Adeline“ und lässt es dabei mit „AC/DC“-Klängen noch einmal richtig rocken.

Michael Krebs hat in der Kabarettsparte eine neue Nische erobert, die ebenso intelligent wie doppelbödig daherkommt und das Publikum nicht belehrt, sondern mitnimmt. Ein Forum wie das ausverkaufte Spiegelzelt hat er noch nicht so oft, aber man kann ihn mit diesem Können zukünftig viele große Hallen ohne Restkarten prognostizieren.


FAZIT

Faszinierende Neuentdeckung mit intelligentem Ansatz und vielseitigem musikalischen Können


SPRUCH DES TAGES

„Ich bin hier, um mich in euer Sodom und Gomorrha zu integrieren.“

Michael Krebs über sein Weimar-Bild


SPLITTER

Fast alle Künstler, welche im Spiegelzelt auftreten, weisen auf den „goldenen Tisch“ hin: den Merchandising-Stand. Meist gibt es dort CDs und Bücher zu kaufen, aber es ist auch manchmal Originelles dabei. Das „GlasBlasSing Quintett“ offerierte einen Flaschenöffner mit dem parodierenden Spruch „Durch dieses Land muss ein Schluck gehen!“. Vince Ebert verkaufte eine Kaffeetasse mit dem auf dem Kopf stehenden Motto „Denken hilft“. Auf dem Tassenboden findet man dann Tipps zur Entfernung von Flecken. Michael Krebs verschenkte massenhaft Aufkleber mit der Parole „Flüsterfuchs? Nein danke“. Es sind leider die letzten Exemplare, denn Krebs hat eine Abmahnung von den dänischen Atomkraftgegnern erhalten, weil sein Aufkleber mit ihrem Logo verwechselt werden könnte. Eigentlich sollte Satire solche grafischen Anlehnungen erlauben, aber Krebs hat sich nun geeinigt, dass er nur noch die Restposten veräußert. Schade eigentlich, aber das Abmahnwesen fordert eben nicht nur bei den kleinen Downloadern ihre sinnlosen Opfer.


Weimar kann auch Initialzündungen geben. Der öffentlich leider immer noch unbemerkte „Bundeswettbewerb für schulpraktisches Spiel“ der alle zwei Jahre im Kulturstädtchen ausgetragen wird, gilt als Talenteschmiede und Entdeckungsplattform im Kleinkunstbereich. Michael Krebs konnte bei diesem Ausscheid schon 1998 überzeugen, und bekam den Startschuss für seine zukünftige Karriere. Insofern war die Eroberung des Spiegelzelts ein weiterer Triumph für den Weimar-Gast und Wahlhamburger. Angelika Kranz regte bei dem diesjährigen Angebot an, doch mal einen Hamburg-Abend zu machen. Bei den vielen Qualitätsvertretern aus der Hansestadt sicher eine tolle Idee. Der Abend würde dann aber sicher in den späten Morgen gehen...


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