Spiegelzeltblog 2013

5. Juni 2013


PFUNDSTYPEN


Vor der Pause fragt Lizzy Aumeier ihren Bühnenpartner Ottfried Fischer und die Pianistin Tatjana Shapiro: „Wollen wir mal etwas Niveau reinbringen?“ Das soll eigentlich lustig und selbstironisch gemeint sein, aber es wirkt, als wolle man eventueller Kritik den Wind aus den Segeln nehmen. Das „Elefantentreffen“, so der Titel des Programms fällt in vieler Hinsicht aus dem diesjährigen Angebot des Spiegelzeltes heraus, und hinterlässt den Schreiber dieser Zeilen selten so ratlos.

Es beginnt mit dem Einspieler des Morricone-Hits „Spiel mir das Lied vom Tod“, und zu diesen eingängigen Takten bewegen sich Aumeier und Fischer, bewusst und grotesk ihre Pfunde zur Schau stellend, aufeinander zu. Und damit ist zur Programmatik des Abends eigentlich schon fast alles gesagt. Schaut her, wir sind dicker als die Anderen, aber damit leben wir und finden das gut, wollen sie damit offensichtlich sagen, und diese Haltung bringt berechtigte Sympathiepunkte im ausverkauften Zelt. Und mit diesem Gegensatz zwischen eingefordertem Anspruch und realer Erfüllung operieren sie den ganzen Abend und ernten dabei viele Lacher. Lizzy Aumeier präsentiert sich als Sexbombe, und macht die Männer in den ersten Reihen offensiv an. Wer die Wirkungsmacht von der Bühne zum Publikum kennt, sollte als Profi damit eigentlich verantwortlich umgehen. Lizzy Aumeier führt die Männer relativ brutal vor, und löst dieses Spiel auch nicht auf. Das bringt zwar schadenfrohe Lacher, aber fair ist das nicht. Sicher, die Aumeier ist eine „Rampensau“, sie ist urkomisch, versteht sich als fränkische Ulknudel zu inszenieren und beherrscht ihren Kontrabass. Sie kann erzählen und singend gestalten und kämpft mit selbstbewusster Körperlichkeit gegen Schönheitsdiktate und gesellschaftliche Einstufungen an. Nur verwendet sie dabei leider oft die Mittel, welche sie bekämpft: die Stereotypen von untauglichen Ehemännern, „verhungerten Blondinen“ und blöden Polizisten, und das kramt sie alles aus der untersten Karnevalsschublade. Es ist eine Anreihung von Kalauern, die von ihr präsentiert werden, und der überwiegende Teil des Publikums amüsiert sich prächtig. Kostprobe gefällig? „Mit dem Euro ist es wie mit dem Sex mit Männern: erst gibt es Probleme bei der Einführung, und dann Probleme mit der Stabilität!“. So wird die therapeutische Witzesammlung für Verklemmte für die Einen zum Schenkelklopfer, der Rest ist peinlich berührt. Beide Haltungen sind zu akzeptieren, aber wer beispielsweise im vorigen Jahr die körperlich ähnlich gebaute „Annamateur“ erlebt hat, kann die Fallhöhe wirklich ermessen.

Lizzy Aumeier zur Seite steht und sitzt gleichberechtigt Ottfried Fischer, der eigentliche Publikumsmagnet. Viele kennen ihn als „Bullen von Tölz“ oder als Gastgeber in „Ottis Schlachthof“. Sein Humor ist leiser und überwiegend schwarz eingefärbt, was er in zahlreichen Bonmots und bayerischen Geschichten unter Beweis stellt. Manchmal arbeitet er bewusst pointenlos, und bezieht durch die tröstenden Reaktionen seiner Mitspielerin die Lacher. Auch dies sein typischer Personalstil: assoziativ, schnell reagierend manchmal sehr speziell in den Andeutungen.

Aber der Koloss ist schwer angeschlagen. Die Auswirkungen der parkinsonschen Krankheit sind deutlich, und das Publikum bewundert Fischer ob der Energie, mit der er diesem Schicksal trotzt. Man ist versucht vom Mitleidsbonus zu sprechen: wie er da mit aller Kraft versucht zu tanzen und zu singen, wie er abliest und sprachlich oft undeutlich seine Gags präsentiert. Liebevoll putzt ihm die Aumeier den Speichel ab, und er dreht selbstironisch die „Parkinsonpirouette“ und verlangt eine Infusion. Doch die Feinfühligen erkennen die tiefe Tragik und Einsamkeit des Mimen, und zwischen der Abwägung, ob das für Fischer Chance oder Vorführung ist, bleibt ihnen das Lachen im Halse stecken.

Dritte im Bunde ist die ukrainische Pianistin Tatjana Shapiro, die durch trockene Kommentare und versiertes Klavierspiel glänzt. Die musikalischen Beiträge sind sowohl Höhepunkte als auch Problem des Abends. Beim bayerisch-russischen Musikmedley sind Aumeiers Kontrabass und Shapiros Tastenarbeit humorvoll gesetzt, und durch Fischers Triangel witzig pointiert. Doch wenn Fischer den Song „Armer Gigolo“ singt, erinnert das an alte Zirkusbären: ringsherum ist alles voller Glanz, aber die Augen des Tiers sind müde. Michael Jacksons „Bad“ wird ebenso zur Clownsnummer wie Zarah Leanders „Nur nicht aus Liebe weinen“, doch die Duette sind sehr ähnlich in der Darbietung.

Insgesamt ist „Elefantentreffen“ eine Standup-Comedy der alten Hasen, die an sich selbst scheitert. Und trotz des tosenden Beifalls und einer Sissy-Parodie als Zugabe bleibt der schale Nachgeschmack, weil die Frontfrau unter ihren Möglichkeiten bleibt, und der Frontmann seine Möglichkeiten nicht mehr so nutzen kann, wie er will. Insofern fällt der Abend von den anderen Programmen der Zelt-Saison doch sehr ab. Es ist, als ob man urige Typen in einer Kneipe erlebt, und ein paar witzige Stunden mit ihnen verbringt. Für die große Bühne ist ein solches Konzept meiner Meinung nach nur bedingt tauglich, es sei denn, man ist in Faschingslaune. Und die Dicken werden leider wieder ins Kuriositätenkabinett geschoben.


FAZIT

Problematischer Ulkabend mit Erz-Komödianten und überwiegend flachen Gags.


SPRUCH DES TAGES

„Bei dir fühle ich mich so schlank.“

Lizzy Aumeier zu Ottfried Fischer


SPLITTER

Anita und Gerd Wilhelm aus Ilmenau hatten einen schönen Abend. Sie waren bei der Marlene-Verlosung die Gewinner und konnten das Menü, die Dorint-Übernachtung und das Bühnenprogramm genießen. Die Sonne war ihnen sogar auf der Hinfahrt gewogen, und auch Martin Kranz freute sich auf den ersten regenfreien Spiel-Abend. Doch schon bald mussten die Zeltfenster wieder geschlossen werden, da das kühle Nass aus den Himmelsschleusen strömte.

Mir kam da sofort ein Bild in den Sinn, welches momentan im Netz kursiert. Man sieht einen verregneten Kindergarten, und darüber steht folgender Text: „Der kleine November möchte bitte aus dem Mai abgeholt werden!“ Das gilt offenbar auch für den Juni...

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